Raphaël Glucksmann - Macron muss weg

Der Bestsellerautor Raphaël Glucksmann trägt einen berühmten Namen und hat ein großes Ziel: Er will die französische Linke durch eine neue Bewegung einen. Der französische Präsident dient da gut als Feindbild

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„Unser Scheitern ist grandios. Aber wir werden das Haus wieder aufbauen“, verspricht Raphaël Glucksmann / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Der Andrang ist groß in den Straßen von Montreuil, wo die Bobos von der bourgeoisen Boheme noch erschwingliche Mietwohnungen finden und Immigranten einen links-grünen Stadtrat. Über hundert Meter lang ist die Warteschlange für den neuen Star der französischen Politik. Raphaël Glucksmann hat die Linke aus ihrer Lethargie geweckt. Im Kulturzentrum La Marbrerie des Pariser Vororts wird er frenetisch beklatscht, als er auf die Bühne springt und im Teenagerjargon mit entwaffnender Offenheit ruft: „Je suis flippé“, „Ich flippe hier gleich aus vor Lampenfieber“.

Ganz Frankreich schaut auf den Mann mit dem berühmten Namen. Der Sohn des 2015 verstorbenen Philosophen André Glucksmann ist 39 Jahre jung, auch wenn seine Schläfen schon er­grauen. Wie sein Vater, der sich in der 68er-Ära als Maoist hervortat, später aber von Sarkozys Konservativen bekehren ließ, beginnt Raphaël politisch links. Aus dem väterlichen Schatten trat er mit TV-Debatten und als Chefredakteur des Nouveau Magazine Littéraire. Dort wurde er nach eigenen Angaben wegen einer kritischen Glosse über Macron gefeuert.

Der Neoliberalismus des Präsidenten

Sein Buch „Die Kinder der Leere“ schaffte es auf den ersten Platz der Bestsellerliste. Darin dankt er „Glucks“, wie er seinen Vater nennt, für die Freiheit und Offenheit im Pariser Elternhaus. Aus der jüdischen Tradition habe er aber auch mitgenommen, dass Geschichte tragisch sei. „Unsere Eltern wuchsen in einer Welt voller Dogmen und Mythen auf, während wir eine Gesellschaft mit leerem Sinn sind“, schreibt er nicht zuletzt an die Adresse seines Alterskollegen Macron, der die präsidiale „Funktion“ der versprochenen „Mission“ vorziehe.

Der Neoliberalismus des Präsidenten sei schuld am populistischen Aufstand, meint Glucksmann junior, um seiner freiheitlich-liberalen Generation den Spiegel vorzuhalten: „Unser Scheitern ist grandios.“ Aber nicht endgültig! „Wir werden das Haus wieder aufbauen“, verspricht der zweifache Familienvater an diesem Abend in Montreuil. Er weiß, der Moment ist günstig, Frankreichs Linke liegt brach. Präsident Macron enttäuscht viele übergelaufene Sozialisten, Linksaußen Jean-Luc Mélenchon disqualifiziert sich mit aggressivem Verhalten. Zwischen ihnen, im Herzen der Linken, hebt Glucksmann an diesem Gründerabend seine neue Formation Place publique aus der Taufe.

Ein „kleiner Links-Bonaparte“

Vier Grundpfeiler stehen ihr Pate: Europa, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Umwelt. „Von Ökologie zu sprechen, ohne von Europa zu sprechen, und umgekehrt, ist heute unmöglich“, meint der zum Politiker mutierende Philosophensohn, womit er sich von seinen politischen Hauptgegnern abgrenzt. „Emmanuel Macron ist ein beherzter Europäer, aber er kümmert sich nicht genug um Ökologie, um in ihr den Zweck und Antrieb des europäischen Projekts zu sehen“, hat Glucksmann in seinem Buch festgehalten. „Jean-Luc Mélenchon wiederum ist für den Umweltschutz, aber er verachtet zu sehr die europäische Idee, um in ihr die Voraussetzung für eine wirksame Klimapolitik zu sehen.“

An der Soiree in Montreuil nehmen zahlreiche Linkspolitiker von den Grünen bis zu den Kommunisten teil, Kinostars wie Emmanuelle Béart, auch der Assistent von Starökonom Thomas Piketty. Abwesend sind die Mélenchonisten und die Trotzkisten. Sie nennen Glucksmann einen „kleinen Links-Bonaparte“ und meinen, Place publique sei „bezeichnend für das aktuelle Klima, das persönliche Initiativen fördert“. Solche Miesmacher übergeht Glucksmann wie die Journalisten der Druckpresse. Place publique agiert über die sozialen Medien.

Vereint er die Linken?

Seiner „partizipativen Demokratie“ treu, überlässt Glucksmann die Bühne der Marbrerie die meiste Zeit jungen Aktivisten. Diese berichten von Initiativen für Textilarbeiterinnen, für nachhaltige Fischerei oder eine Migrantenschule. Anwalt Jérôme Karsenti erzählt von seinem Kampf gegen die Korruption, Ökologin Claire Nouvian erklärt, warum die Macron-Regierung der Nuklear- und Jägerlobby verpflichtet sei. Als sie anfügt, Raphaëls neue Formation werde in Frankreich „mehrheitsfähig“ sein, steigert sich der Applaus zum Orkan.

Die Pariser Medien erkennen an, dass Glucksmanns erstes politisches Meeting gelungen sei und dass er dank seiner positiven Energie das Zeug habe, die Linke zu einigen. Er bietet den vielen Überläufern zu Macron oder Benoît Hamon ein Auffangbecken jenseits der Parteien. Denn die haben auch in Frankreich ausgedient. Place publique könnte davon ebenso profitieren wie die Bewegung der Gelben Westen, deren Aggressivität Glucksmann nicht wundert: „Während ein Teil der Bevölkerung ins Elend abgestuft wurde, hat sich ein anderer Teil der Gesellschaft fröhlich bereichert. Die Lage in Frankreich ist äußerst gefährlich, die Wut unkontrollierbar.“

Dies ist ein Artikel aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.












 

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