Sachbeschädigung in Museen - Kunst bis zum Anschlag

Am vergangenen Wochenende hat es erneut einen Anschlag auf Kulturgüter auf der Berliner Museumsinsel gegeben. Das Phänomen Kunst- und Bildersturm ist beileibe nicht neu. Es verrät viel über den Stellenwert der Kunst und über den Zustand der freiheitlichen Gesellschaft.

Eine große Granitschale im Lustgarten vor dem Alten Museum wurde beschmiert / dpa
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Teresa Ende ist promovierte Kunstwissenschaftlerin. Derzeit arbeitet sie im Editionsprojekt Heinrich Wölfflin an der Universität Zürich mit.

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Messerstiche, Säure, Speiseöl, Steinwurf. Kunstwerke müssen sehr viel aushalten. Leonardos „Mona Lisa“ trafen im Louvre Porzellangegenstände und Steine, Bilder Albrecht Dürers in der Alten Pinakothek wurden mit Schwefelsäure attackiert, ebenso erging es Rembrandts „Danae“ in der Ermitage. Auf einen Rubens in Zürich wurde ein Brandanschlag verübt, auf Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ gingen Faustschläge nieder und so weiter und so weiter.

Gerade berühmte Kunstwerke werden immer wieder zum Ziel von Anschlägen. Zuletzt – am 3. Oktober 2020, dem 30. Jahrestag der Deutschen Einheit – beschädigten Unbekannte im Berliner Pergamonmuseum, im Neuen Museum und in der Alten Nationalgalerie fast 70 Objekte durch Aufbringen einer öligen Flüssigkeit. Die Öffentlichkeit erfuhr erst Wochen später davon.

Kunst ist schutzlos

Anschläge wie diese führen nicht nur die große Gefährdung und Verletzbarkeit von Kunst und Kultur vor Augen, die derartigem Vandalismus ziemlich schutzlos ausgeliefert sind, wenn sie ins Visier von Personen mit ausreichend krimineller Energie und fehlgeleiteter Überzeugung geraten. Ein historischer Blick auf die Gewaltanwendung gegen Kunstwerke offenbart auch: Im Zentrum der Attacken standen und stehen meist nicht primär ästhetische, sondern vielmehr politische, gesellschaftliche oder religiöse Motive, zumeist ist es eine Mischung, angereichert mit reichlich Ignoranz, Geltungssucht, Propaganda und Menschenverachtung.

Das Phänomen Gewalt gegen Kunst ist wahrscheinlich so alt wie die Kunst selbst und reicht bis in die Antike zurück. Im Laufe der Jahrhunderte haben Werke der bildenden Kunst – und ihre Schöpferinnen und Schöpfer – immer wieder heftigste Angriffe erlebt, sei es durch Einzelpersonen, durch Gruppen oder aber, ganz offiziell und großangelegt, von staatlicher Seite.

Images werden zerstört

Schon er Kunsthistoriker Martin Warnke analysierte, dass es neben der Zerstörung eines bestimmten ‚Image‘ als greifbarem Zeichen von Herrschaft, auch darum geht, das eigene Handeln zu legitimieren und Menschen zu mobilisieren. Schließlich sind Kunstwerke – gerade wenn sie beschädigt oder zerstört sind – wirkungsstarke Mittel der Kommunikation sowie von Erinnerung, man denke an die öffentlichkeitswirksame feierliche Installation beziehungsweise die gewaltsame Deinstallation von Statuen und anderen Denkmälern.

Der folgenreichste Präzedenzfall für spätere Bilderstürme ereignete sich Anfang des 8. Jahrhunderts in Byzanz. Dabei ging es um die Frage, ob es erlaubt sei, von Jesus, Maria und den Heiligen Bilder anzufertigen – was umso brisanter war, als profane Darstellungen seit der Spätantike eigentlich kaum mehr üblich und erst mit der Renaissance wieder gebräuchlich wurden. Damit stand nichts weniger als die Zukunft der Kunst auf dem Spiel. Gemäß dem alttestamentarischen Gesetz „Du sollst Dir kein Bild machen“ hatte das Urchristentum zunächst bildliche Darstellungen aller Art abgelehnt.

Bildverehrern drohte der Tod

Bald aber erfreute sich insbesondere im Osten der Verehrungskult der Bilder immer größerer Beliebtheit. Als Gegenströmung formierte sich der Ikonoklasmus, dessen Anhänger alle Bilder ablehnten und deren Verehrern mit Folter und Hinrichtung drohten. Nach dem zwischenzeitlichen Bilderverbot Leos III. entschied Kaiserin Irene im Jahr 787 zugunsten der Bilderherstellung und -verehrung, wobei der Zwist in der Folgezeit mehrfach wieder aufflammte.

Der frühe Bildersturm hatte Folgen für das Kunstschaffen: Frei von kirchlichen Aufgaben schufen Maler zunächst Werke mit stärker ornamentalen, dann enger am Naturvorbild orientierten Motiven, was sich die Mönche bis dato verbeten hatten. Die ungezwungenere Darstellung der menschlichen Figur führte zu mehr Bewegung und Freiheit in den Bildern. Man kann sagen, dass es gerade die Anfeindung der Bilder war, die für eine neue Blüte byzantinischer Kunst im 9. und 10. Jahrhundert sorgte.

Die Reformation griff durch

Zumindest die Bilderverehrer selbst blieben bei dem bekanntesten Bilderstreit rund 500 Jahre später von Gewalttaten weitgehend verschont. Doch verschwanden während der Reformation Tausende Heiligenbilder auf den Dachböden von Kirchen und Pfarrhäusern, sie wurden geraubt, beschädigt oder verbrannt. Martin Luther kritisierte Heiligenbilder zwar, ließ sie in evangelischen Kirchen als Schmuck aber weiter zu – trotz Warnungen vor ihrer übertriebenen Verehrung. Radikalere Reformatoren nahmen Luthers Kritik auf und griffen härter durch, wie der Theologe Karlstadt, der Anfang 1522 in Wittenberg einen Bildersturm anzettelte, dem viele Gemälde zum Opfer fielen. Auch die prominenteren Calvin und Zwingli befürworteten den Kampf gegen sakrale Bilder und riefen ihre Anhänger zu deren Zerstörung auf.

Der perfideste, umfassendste und am besten organisierte Bildersturm der jüngeren Vergangenheit war die von den Nationalsozialisten ab 1933 betriebene Aktion „Entartete Kunst“. Die Verfolgung betraf nicht nur die Werke der Klassischen Moderne selbst, sondern schloss die Beschimpfung, Pathologisierung, Verfolgung und sogar Tötung ihrer MacherInnen mit ein. So ziert die Begleitpublikation zur Wanderausstellung „Entartete Kunst“ die überlebensgroße Gipsplastik „Der neue Mensch“ von Otto Freundlich, einem Maler, Bildhauer und Theoretiker der abstrakten Kunst der ersten Stunde.

Bilder waren Stellvertreter

Die Figur ist heute verschollen, Freundlich selbst wurde 1943 als Jude interniert und im Konzentrationslager Lublin-Majdanek ermordet. Sein Schicksal führt brutal vor Augen, dass im nationalsozialistischen „Bildersturm“ die Kunstwerke lediglich propagandistisch ausgeschlachtete Stellvertreter für die Gewalt gegen Menschen waren.

Mag die Geschichte der Bilderstürme auch abgeschlossen sein, Bilderstürmerei ist es keineswegs. Gleiches gilt für die öffentliche Debatte zu dem Thema. Bei Gewalt gegen Kunst geht es nicht so sehr um die jeweiligen Kunstwerke selbst, wie zuletzt die ziemlich wahllose Besprühung der Objekte auf der Museumsinsel an einem keineswegs wahllosen historischen Datum verdeutlicht. Die Zerstörung von Kunst lediglich als Akt zunehmender Rohheit Einzelner zu deuten, verharmlost das Problem.

Gewalt gegen Kunst ist Gewalt gegen den Pluralismus

Gewalt gegen Kunst ist eine um Einschüchterung bemühte Metapher, die sich in Wahrheit gegen Meinungs- und Kunstfreiheit, gegen Demokratie und Pluralismus richtet. Wer Kunstwerke mutwillig beschädigt wie jüngst in den Staatlichen Museen, will die freiheitliche Gesellschaft in ihrem materiellen wie ideellen Kern treffen, denn dafür steht die Kunst in ihrer Vielfalt. Das sollten wir mehr diskutieren. Öffentlich.
 

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