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Rechtspopulist Farage - Der Schrecken der Konservativen

Die Ukip dürfte bei den Europawahlen in Großbritannien sehr gut abschneiden. Die Folgen ihres Aufstiegs aber reichen noch weiter: Es könnte David Cameron in einem Jahr das Amt kosten

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Simon Marti hat in Bern Geschichte und Politikwissenschaft studiert und die Ringier Journalistenschule absolviert. Er arbeitet für die Blick-Gruppe in der Schweiz.

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Großbritannien steht eine Zeitenwende bevor. Ausgerechnet die unpopulären Europawahlen könnten den Anfang vom Ende des traditionellen Parteiensystems bedeuten und zugleich die ungeliebte konservativ-liberale Koalition aus den Angeln heben. Nigel Farage, charismatischer Chef der United Kingdom Independece Party (Ukip), setzt zu seinem bislang größten Coup an. Danach wird die Politik auf der Insel nicht mehr dieselbe sein.

Die Briten wählten bereits am Donnerstag, noch sind die Endergebnisse nicht bekannt. Laut etlichen Prognosen dürfte die Ukip dabei die meisten Stimmen erhalten. Manche Demoskopen trauen ihr gar einen Wähleranteil von über 30 Prozent zu. Bei den Lokalwahlen, die zeitgleich am Donnerstag stattfanden, zeichnet sich ebenfalls ein Triumph der Populisten ab.

Deren aggressive Anti-Europa-Rhetorik kommt bei den Wählern an: Die Forderung nach einem EU-Ausstieg bildet die Grundlage des kometenhaften Aufstiegs der einstigen Parias der britischen Politik, die noch vor wenigen Jahren keiner in Westminster für voll nahm.

„Wir haben die Kontrolle über unsere Grenzen verloren“, erklärt Nigel Farage gerne und fordert lautstark den Austritt aus der Union. Dass manche seiner Ukip-Kameraden auch mal über Schwarze, Frauen oder Homosexuelle herziehen, ficht ihn nicht an. Die etablierten Parteien haben derweil Mühe, Schritt zu halten. Besonders die konservativen Tories von Premier David Cameron liegen in Umfragen abgeschlagen bei 22 Prozent. Labour steht bei 26. Ein ungewohntes Bild: Die beiden großen britischen Parteien, deklassiert von einem illustren Grüppchen aggressiver Populisten.

Im Zentrum der britischen Politik


Es ist durchaus passend, dass gerade eine europäische Wahl den EU-Gegner Farage  ins Zentrum der britischen Politik katapultiert. Denn dieses vereinte Europa ist das Feindbild und die Konstante in seiner politischer Biografie. Einst, noch als Schuljunge, den Konservativen beigetreten, verließ er die Partei im Zorn, als die sich unter dem damaligen Premier John Major 1993 anschickten, den Vertrag von Maastricht zu ratifizieren.

Stattdessen half er mit, die Ukip aus der Taufe zu heben. Lange Zeit ohne Aussicht auf einen Sitz im britischen Parlament, zog es ihn aus seiner Sicht ins Zentrum allen Übels: Seit 1999 sitzt Farage im EU-Parlament. Anders als bei Unterhauswahlen werden die britischen Europaabgeordneten im Verhältniswahlrecht bestimmt. In kleinen Schritten hat er die Partei seither stetig vergrößert. Am Ende dieser Woche könnte Farage nun der große Durchbruch gelingen. „Die Europawahl“, sagt der Historiker Franz-Josef Brüggemeier, „könnte sein Ritterschlag werden.“

Tatsächlich markiert das europäische Votum bloß eine Zwischenetappe. Im Mai nächsten Jahres muss sich Cameron Neuwahlen stellen. Und Farage steht bereit, seine alten Parteifreunde aus der Regierung zu kippen. Erste Umfragen zum nationalen Urnengang prophezeien der Ukip rund 20 Prozent der Stimmen. Selbst der zurückhaltenderen Schätzung des Economist zufolge stehen bis zu 20 der rund 300 konservativen Sitze auf der Kippe. Mit einem Schlag bräche eine vierte Partei ins althergebrachte System ein.

Ob die Ukip dieses Potenzial ausschöpfen kann, wird sich zeigen. Einem ungefährdeten Einzug ins House of Commons steht immer noch das britische Mehrheitswahlrecht im Weg. „Ob und vor allem mit wie vielen Sitzen die Ukip nächstes Jahr tatsächlich ins Unterhaus einziehen wird, ist unsicher“, sagt denn auch Franz-Josef Brüggemeier. Der Freiburger Professor forscht zur britischen Geschichte und kennt die Eigenheiten des Wahlprozederes für das Parlament in Westminster genau.

Die meisten der 650 britischen Wahlkreise seien traditionell fest in der Hand der etablierten Parteien, sagt Brüggemeier. Selbst die darbenden Liberalen können damit rechnen, in ihren Hochburgen Sitze zu erringen. „Farage muss sich auf die Kreise konzentrieren, in denen er überhaupt eine Chance hat. Besonders viele sind das nicht“, so Brüggemeier.

Für Cameron ist das aber noch lange kein Grund zur Entwarnung, denn die Ukip muss noch nicht einmal im neuen Parlament vertreten sein, um seiner Regierung den Garaus zu machen. „Camerons viel größeres Problem ist die Verteilung der rechten Stimmen auf zwei Parteien. Verlieren die Tories zu viele EU-kritische Wähler an die Ukip, profitiert am Ende der größte Konkurrent der Konservativen: die Labour Party“, sagt Brüggemeier.

Labour profitiert

Da im britischen Mehrheitswahlrecht die relativ stärkste Partei in jedem Wahlkreis den Sitz erhält, die Konkurrenten aber, egal wie stark, leer ausgehen, könnte Labour als lachende Dritte vom Kampf um die Stimmen der EU-Skeptiker profitieren. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, würden damit doch die lautesten Brüssel-Kritiker zum Steigbügelhalter der europhilen Linken.

Während Labour-Chef Ed Miliband sich klar für einen Verbleib Londons in der Europäischen Union ausspricht, sieht sich Cameron gezwungen, die Mitgliedschaft einem Referendum zu unterstellen, wenn er die Wiederwahl denn schaffen sollte. Die Ankündigung einer solchen Grundsatzabstimmung für 2017 war wichtig, um die europakritische Fraktion der Konservativen bei Laune zu halten. Denn nächstes Jahr wird in manch umkämpfter Region wohl nur ein pointierter Anti-EU-Kurs die konservativen Abgeordneten vor einer Abwahl bewahren.

Doch diese Abstimmung über die Zukunft Großbritanniens in der EU wird es nur geben, sollte Cameron an der Macht bleiben. Mit einer erstarkten Ukip im Nacken ist dies aber mehr als fraglich.

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