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(picture alliance) Die Provokation gegen die eigene Kirche hob er sich bis zum Schluss auf.

Provokation Papstreise - Mission Klartext

Die Reise von Benedikt XVI. war eine Provokation – zum Glück. Und die größte Provokation, gegen die eigene Kirche, hob er sich bis zum Schluss der Reise auf.

Der Papst hat provoziert in diesen vier Tagen in Deutschland – und das hat er gut gemacht. Benedikt XVI. hat seine Nadeln in schonungsloser Ehrlichkeit zielsicher dort gesetzt, wo es weh tut, ob gegenüber dem Staat, dem einzelnen Gläubigen oder seiner eigenen Kirche. „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung“, sagen die Juristen. Ein Blick in die Reden des Papstes auf dieser Deutschlandreise erleichtert die Beurteilung dieses Papstbesuchs. Er stand unter dem Motto: „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. In 17 Reden und Predigten hat Benedikt XVI. diesen Satz todesmutig durchdekliniert, ohne auf Applaus zu hoffen.

So hat er erstens in einer – entgegen allen Erwartungen – positiv aufgenommenen Rede in Berlin den Satz „Wo Gott ist, da ist Zukunft“ dem Staat, den Abgeordneten im Deutschen Bundestag, ins Gedächtnis geschrieben. Benedikt XVI. hat ihn uminterpretiert zur Mahnung an die Gesetzgeber, in ihrer täglichen Arbeit, bei der Gestaltung der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, zumindest einem Leitstern zu folgen, idealerweise dem christlichen Menschenbild. „Jeder Verantwortliche muss sich bei der Rechtsbildung Kriterien seiner Orientierung suchen, allein die Mehrheit reicht nicht aus.“

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Und es stimmt: Denn kann man als Abgeordneter etwa verantwortungsvoll über komplexe Fragen der Bioethik, des werdenden und endenden Lebens, entscheiden, wenn man nur der Vernunft, dem wissenschaftlich Machbaren, dem wirtschaftlich Wünschenswerten oder dem Fraktionszwang folgt? Man kann weiter fragen: Ist es eine Unterordnung des Staates unter die Religion, wenn (manche) Minister bei ihrer Vereidigung schwören: „So wahr mir Gott helfe.“ Oder ist es nicht vielmehr ein Zeichen der Demut, wenn man dem eigenen Wollen und Können misstraut? Bedenklich nur, dass vielen Abgeordneten selbst jene Demut fehlte, einen Menschen mit einer vielleicht anderen Meinung, den Papst, anzuhören.

Zweitens hat Benedikt XVI. den einzelnen Menschen in Deutschland den Satz „Wo Gott ist, da ist Zukunft“ ans Herz gelegt – gerade den jungen Menschen bei der Andacht in Freiburg. Bei seinem Besuch in Ostdeutschland hat er nachgewiesen, wie gerade jene Menschen den Diktaturen des Nationalsozialismus und dann des Kommunismus widerstanden, die innerlich durch den Glauben an einen Gott, an ein „Mehr“ als den Staat und seine vermeintlich „heilsbringende“ Ideologie, gefestigt waren. Auch hier steckte viel drin, in dem Motto „Wo Gott ist, da ist Zukunft“: In der Gegenwart kann das Gefühl, dass es „Mehr“, etwa einen Gott, geben könnte, dagegen den Einzelnen davor schützen, von der diesseitigen Konsum-/Perfektions-/und Schönheits-Ideologie überrollt zu werden.

Drittens hat Benedikt XVI. den Satz „Wo Gott ist, da ist Zukunft“ den beiden Kirchen in Deutschland ins Aufgabenbuch geschrieben. Auch wenn er kein „ökumenisches Gastgeschenk“ dabei hatte in Form einer vatikanischen Entscheidung in der ein oder anderen Frage – Benedikt hat die Ökumene vorangebracht, weil er über alle komplexen „Streitthemen“ hinweg auf den einfachsten Weg ökumenischer Begegnung verwiesen hat: Das gemeinsame Gebet, das gemeinsame Bezeugen des christlichen Glaubens, nach dem Motto: „Wo Gott ist, da ist Ökumene.“ Am provozierendsten aber ist Benedikt XVI. mit seiner eigenen Kirche in Deutschland umgesprungen.

Ihr hat er das Motto „Wo Gott ist, da ist Zukunft“ geradezu eingehämmert. Ausgerechnet der „Amtskirche“, die von Austrittsswellen gebeutelt ist und um die weitere finanzielle Ausstattung fürchtet, hat Benedikt XVI. klargemacht, dass eine finanziell ärmere Kirche auch eine spirituell reichere sein könnte. „Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben.“ Benedikt XVI. stimmt mit den Kirchenkritikern überein, die sagen, die Kirche bedürfe dringender Reform.

Doch er will eine Reform in die andere Richtung, die Kirche nicht der Welt anpassen, sondern gerade in der Andersartigkeit die Welt provozieren. „Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von der Weltlichkeit der Welt lösen.“ Erst wenn die Kirche wieder ausreichend mit „Gott“ und nicht mit „Kirchensteuer“ oder „Strukturen“ in Verbindung gebracht wird, so Benedikt XVI., habe sie auch Zukunft. Es ist eine unerhörte Provokation, doch die Wirklichkeit gibt ihm Recht: Warum führt das spirituelle Suchen viele Menschen in Deutschland in die Esoterik, zum Buddhismus, zu kleinen, oft viel konservativeren Freikirchen? Weil sie, anders als die Kirchen, frei davon sind, mit dem Staat assoziiert zu werden.

Die Medien werden nach dieser Reise dominiert vom Wort Enttäuschung. Benedikt XVI. hätte sich diese Reise einfacher machen können. Doch gerade darin, dass Benedikt XVI. provoziert hat, liegt der eigentliche Wert der Reise. Und das ist auch der Wert von Religion. Wenn sie genauso ist, wie die Welt um sie herum, macht sie sich selbst überflüssig.

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