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Ein Jahr nach der Annexion der Krim - Kaltes Erwachen

Vor einem Jahr wurde die Krim von Russland annektiert. Die Frage, wie es den Menschen jetzt geht, wird entlang ethnischer Linien und politischer Überzeugungen entschieden. Ein Besuch bei Gewinnern und Verlieren der Annexion

Autoreninfo

Jan Vollmer ist freier Journalist in Berlin.

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Es ist Montag, „Tag des Verteidigers des Vaterlandes“, ein Feiertag in Russland. Simferopol ist  voller Männer in Uniform, tagsüber nehmen sie an Paraden Teil, abends stehen sie betrunken vor kleinen Läden, in denen es Alkohol und Zigaretten gibt. Sogar ein paar Kosaken sind dabei, mit staubigen schwarzen Stiefeln, in deren rechten Schaft sie eine schwarze Peitsche gesteckt haben.

Die Restaurants der Stadt sind mit russischen Flaggen dekoriert, die Werbetafeln zeigen Bären und zitieren alte Sowjet-Motive. Ukrainisch ist aus den Neon-Schriftzügen über den Geschäften und aus den Schaufenstern verschwunden. Auch Tatarisch, die turkstämmige Sprache der Krimtataren, soll seltener geworden sein.

Zu sagen, wie es den Menschen auf der Krim geht, ein Jahr nach der russischen Annexion, ist schwierig. Von den etwas über zwei Millionen Einwohnern der Krim sind eine Million ethnische Russen, 500.000 Ukrainer und 300.000 Krimtataren. Die anderen Bewohner gehören zu kleineren Gruppen, sie sind Armenier, Polen oder Moldauer. Die Frage, wie es den Menschen geht, wird entlang der großen ethnischen Linien entschieden – und der politischen Überzeugungen.

„Auf der Straße riefen die Leute Rossija, Rossija“
 

Maria ist eine Gewinnerin der Annexion. Sie sitzt am Tisch in ihrem geräumigen Büro in einem zentralen Polizeigebäude der Krim und bietet Kaffe aus einer kleinen Espressomaschine an. Gelegentlich klingelt das neue iPhone, ihre Fingernägel glänzen orange, ihre Lippen blass rosa und ihre Augen begeistert blau. Die blonde Frau Mitte 30 will nicht fotografiert werden und sie will auch nicht mit ihrem richtigen Namen erwähnt werden. Ein offizielles Interview hätte sie erst mit der Presseabteilung der Polizei in Moskau absprechen müssen. Aber sie will trotzdem erzählen, so begeistert ist sie von ihrer neuen Krim.

Nach dem Referendum konnte Maria nur vor die Haustür in ihrem Viertel gehen, nicht auf die Plätze in der Stadt. Sie war hochschwanger. Aber auch in ihrem Viertel waren die Straßen voller Menschen und abends explodierte über den Häusern ein Feuerwerk und sie sah ihre Nachbarschaft noch nie so glücklich. „Rossija, Rossija“ riefen die Leute auf der Straße.

In der Ukraine verdiente Maria noch 3000 Hrywnja, das waren damals 300 Euro. Ihre Eltern und die Eltern ihres Mannes mussten der jungen Familie helfen, über die Runden zu kommen. Es sah nicht so aus, als würde sich bald etwas ändern. Maria und ihr Mann überlegten, nach Europa auszuwandern. Vielleicht nach Deutschland, sie hatte dort als Kind fünf Jahre mit ihrer Familie gelebt. Ihr Vater war in einer Kaserne der Sowjetarmee stationiert, nicht weit von Berlin. Deutschland hat ihr gefallen. Sie selbst spricht noch ein bisschen Deutsch aus dieser Zeit.

Korruption? „So was gibt es unter Russland nicht“
 

Nach der Annexion haben Maria und ihr Mann diese Pläne über den Haufen geworfen. Sie macht dazu mit ihrer linken Hand eine Bewegung, als würde sie tatsächlich etwas über ihre linke Schulter werfen. Europa ist nichts mehr für sie. Eine Freundin des Ehepaars lebt in Schweden. Als sie sie einmal besuchten, landeten sie in einer Bar, die voller schwuler Männer war. Ihr Mann scherzte, er hätte Angst aufs Klo zu gehen. Maria glaubt, dass die schwedischen Behörden einer Mutter das Kind wegnehmen, wenn es auf der Straße weint und sagt, dass die Eltern böse sind. Es werde dann auch nicht an alte Menschen gegeben, die es großziehen, sondern an junge, homosexuelle Paare. Maria findet es gut, dass die Krim nicht mit der Ukraine näher an Europa rückt. Sie will auch privat nicht mehr nach Europa. Auf einer Fortbildung in Moskau sei allen Beamten empfohlen worden, die Ferien lieber in Russland zu verbringen.

Nach der Annexion, sagt Maria, sind alle die bei der Behörde rausgeflogen, die es nicht verdient hätten, dort zu arbeiten: die Korrupten und Faulen. „Unter Russland gibt es sowas nicht“, sagt Maria. Schwer vorstellbar, dass sie das selbst glaubt – schließlich geht sie jeden Morgen an den teuren schwarzen Geländewagen vorbei, die vor dem Haupteingang stehen.

Von den rund zwei Millionen Menschen, die auf der Krim leben, sind etwas mehr als 10 Prozent Tataren. Unter Stalin wurden die Krimtataren enteignet und nach Sibirien, Zentralasien und in den Ural deportiert. Alle fünf Jahre wählen sie den Kurultaj, gewissermaßen ein Parlament der Krimtataren. Der Kurultaj bestimmt die Mitglieder des Medschlis, die politische Repräsentation der Tataren.

Bibliotheken werden nach verbotenen Büchern durchsucht
 

Vor der Machtübernahme sprach sich der Medschlis gegen die Annexion durch Russland aus. Am 26.02.2014, einen Tag bevor das Parlament gestürmt und die Regierung der Krim abgesetzt wurde, demonstrierten die Tataren vor dem Parlamentsgebäude. Seit dem die Halbinsel russisch ist, stehen die Tataren in der Opposition zum neuen Herrscher, Sergei Aksjonow. Die Polizei geht hart gegen die tatarische Minderheit vor: Etliche Moscheen und Bibliotheken wurden nach Büchern durchsucht, die auf der Krim jetzt verboten sind. Die Biografie von Tataren-Führer Mustafa Dschemilow „Die Stimme der Krimtataren, die für Jahrzehnte nicht gehört wurde“ ist so ein verbotenes Buch. Oder die zwölf Bände von „Ukrainischer Genozid, Holodomor 1932-33“ die den Massenmord des Systems Stalin an Ukrainern beschreiben. Auch Bibliotheken wurden schon nach verbotenen Büchern durchsucht. Mann muss sich das mal auf der Zuge zergehen lassen: Bibliotheken auf der Krim werden nach verbotenen Büchern durchsucht. Im Januar 2015 wurde sogar die Direktorin der Bibliothek von Feodosia zu einer Geldstrafe verurteilt, weil in Ihrer Bibliothek das verbotene Geschichtsbuch gefunden wurde.

Es gab auch Hausdurchsuchungen bei tatarischen Familien. Die Polizei sagte, sie suche nach Drogen oder befürchte Extremismus, aber allen Beteiligten ist klar, dass die Durchsuchungen politisch motiviert sind. Krimtataren wurden eingesperrt, manche verschwanden und sind bis heute nicht wider aufgetaucht. Der tatarische Aktivist Reschat Achmetow wurde am 03. März 2014 von Männern in Camouflage-Uniformen in Simferopol festgenommen. Knapp zwei Wochen später wurde seine Leiche gefunden. Er wurde mit Stichen in den Oberkörper getötet. Der Fall ist bis jetzt nicht aufgeklärt, die russischen Behörden verweigern den Anwälten der Familie die Akteneinsicht. Oft ist bei den Festnahmen nicht klar, von welcher Organisation die bewaffneten Männer kommen: Polizei, Geheimdienst oder bewaffnete prorussische Miliz.

[[{"fid":"65145","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":447,"width":672,"style":"width: 300px; height: 200px; margin: 3px 5px; float: left;","title":"Jan Vollmer","class":"media-element file-full"}}]]Die Verlierer der Annexion wohnen in Bachtschissaraj, 30 Kilometer von Simferopol entfernt. Im Mitjtelalter war Bachtschissaraj die Hauptstadt des Tatarenreichs. Man kann heute noch einen Palast des Khans auf einem Hügel über der Stadt besichtigen. Im Palast steht auch der berühmte Tränen-Brunnen. Alexander Puschkin hat ein Gedicht über den Brunnen geschrieben – da hatte Katharina die Große die Krim und Bachtschissaraj schon annektiert.

Elmira Chijgosa sitzt in einem tatarischen Café, im Osten der Stadt. Aus dem Fenster sieht man über eine schmale Schlucht, über die Dächer von Wohnhäusern und grüne Hügel. Sie trägt eine braune Lederjacke mit beigem Halstuch und ihr Haar offen.

Früher war Elmira Chijgosa als Geschäftsführerin für das kulturelle Erbe Bachtschissarajs und den Brunnen verantwortlich. Ihr Vertrag wurde nicht mehr verlängert, ohne dass man ihr gesagt hätte, warum. Als ich sie am Tag vor unserem Treffen anrufe, ist sie in Tränen aufgelöst. Ihr Mann, Achtem Chijgos, ist seit drei Wochen im Gefängnis. Gerade wurde die Untersuchungshaft bis zum 19.05. verlängert. Elmira wirkt konzentriert und aufgeräumt, aber man merkt, wie sie sich zusammenreißt. Hin und wieder glänzen ihre Augen im Gespräch wässrig, aber es fällt keine Träne.

Am 29. Januar 2015 wurde Elmiras Mann Achtem, Vizepräsident des Medschlis, während eines politischen Treffen verhaftet. Achtem durfte Elmira nicht anrufen. Sie erfuhr von Bekannten von der Verhaftung. Die erste Verhandlung wurde noch für den selben Abend um 22 Uhr angesetzt. Der Richter beantragte Untersuchungshaft. Achtem wurde vorgeworfen, bei einer Demonstration vor elf Monaten, am 26.02.2014 zu Massenunruhen aufgerufen zu haben. Auf besagter Demonstration starben zwei Menschen: Der eine erlitt einen Herzinfarkt, die Todesursache des zweiten ist nicht aufgeklärt. Nun wird Achtem Chijgos die Schuld an den Toden gegeben, da er die Menge aufgestachelt hätte. Die Tatsache, dass er erst 11 Monate nach dem Vorfall in Untersuchungshaft genommen wurde, legt nahe, dass es ein politisches Verfahren ist.

Am Morgen nach der Festnahme, um 7.15 Uhr, steht eine bewaffnete Spezialeinheit vor Elmiras Haustür und zeigt einen Durchsuchungsbefehl. Zehn Stunden, sagt Elmira, waren 20 Polizisten bei ihr zu hause. Sie haben in ihren Sachen gewühlt, sie haben Teile des Fußbodens aufgerissen. Und letztendlich 2000 Dollar, 100 Euro, zwei Laptops, zwei Mobiltelefone und ein paar alte Münzen mitgenommen.

„Fliehen ist keine Option“
 

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Fliehen, sagt Elmira, ist keine Option. „Meine Großeltern sind hier, meine Familie ist hier. Wir können ja jetzt nicht schon wieder gehen, wo wir gerade in unsere Heimat zurückgekehrt sind. Wo sollen wir denn sein, wenn nicht auf der Krim.“ Nach der Deportation durch Stalin war Elmiras Familie erst Mitte der 90er auf die Krim zurückgekehrt.

Jeder in Bachtschissaraj kennt Elmira und Achtem, jeder weiß, wofür sie stehen. Als wir nach dem Interview den Tee bezahlen wollen, sagt die Bedienung, die Rechnung sei schon beglichen worden.

50 Kilometer von Bachtschyssaraj entfernt liegt Sewastopol. Man kennt die Bilder des Hafens und der russische Schwarzmeer-Flotte aus den Nachrichten. Schon aus dem Bus kann man die U-Boote im dunklen Wasser sehen.

Als Anna vor 32 Jahren in Sewastopol geboren wurde, war die Stadt noch geschlossen. Nur mit einem Passierschein durfte man an dem Checkpoint vorbei in die Stadt. Man brauchte gute Gründe, um in die Nähe der sowjetischen Flotte zu kommen. Eine Bucht der Stadt, Balaklawa, war bis in die 80er eines der best gehütetesten Militärgeheimnisse der Sowjetunion. Stalin hatte hier einen Atombunker für U-Boote bauen lassen.

Sewastopol ist wohl die russischste Stadt der Krim. Bis 1991 wurden überhaupt keine Tataren in die Stadt gelassen. Bis jetzt gibt es dort wenige. Als Anna hier in die Schule ging, übten sie dort noch mit Gasmasken den Notfall, einen Angriff auf Sewastopol. Von den Problemen der Tataren weiß Anna wenig. Russische Medien berichten nicht darüber.

Unter den Spaziergängern an der Promenade ist sie leicht zu erkennen. Nicht viele Frauen laufen hier mit Jeans und in Turnschuhen rum, gar keine mit einem sportlichen, hellgrünen Rucksack auf dem Rücken. Zwischen den ernsten, sorgfältig geschminkten Minen an der Promenade wirkt sie wie eine ukrainische Pipi Langstrumpf.

In Sewastopol macht ein ukrainischer Pass nur Probleme
 

Als die Krim russisch wurde, war Anna gerade im Sinai tauchen. Einreisen konnte sie danach mit ihrem ukrainischen Pass noch – leben in Sewastopol aber nicht mehr. Bei Banken, Versicherungen oder einfach überall, wo man den eigenen Namen braucht, gab es mit dem ukrainischen Pass Probleme.

„Vor dem Referendum haben wir alle in einer seltsamen imaginären Welt gelebt. Hier in Sewastopol haben wir uns als Russen verstanden aber auf ukrainischem Land gelebt. Niemand wusste, was Russland wirklich ist“, erzählt Anna. Die ukrainische Verwaltung ließ das ukrainische und das russische Wort für Post auf die Briefkästen drucken. Den ukrainischen Begriff strich immer jemand durch.

„All die Probleme des echten Russlands kamen uns nur wie ein entferntes Echo vor, das uns nicht beeinflusste. Es gab keinen Druck von ukrainischer Seite. Wir haben in Sewastopol russisch gesprochen und uns als eine Stadt der alten ruhmreichen russischen Marine verstanden“, erzählt Anna. „Wir waren voller Stolz auf historische Ereignisse, die vor hunderten von Jahren passiert sind. Und uns schien nichts seltsam an dieser Situation. Das konnte nicht ewig so weitergehen“, sagt sie.

Annas Mutter ist Ukrainerin, Annas Vater Russe. „Ich weiß selbst nicht, auf welcher Seite ich stehe. Aber jetzt gibt keine Mitte mehr“, sagt sie. Eigentlich ist Anna kein überaus politischer Mensch, niemand der wegen des ukrainischen Passes große Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen würde. Und wer mehr Recht auf die Krim hat, die Ukraine oder Russland, kann sie auch nicht sagen. Aber die Art und Weise, wie die Krim genommen wurde, sagt Anna, das war sicher nicht rechtens.

Die Biker-Gang „Nachtwölfe“ verteidigt die russische Krim
 

Das es besser wäre, wenn die Krim in der Ukraine geblieben wäre, hört man nicht oft in Sewastopol. Sei es, weil man für diesen Satz nach russischem Gesetz juristisch belangt werden kann, oder weil tatsächlich wenige darauf bestehen. Dass der Prozess, die Annexion, nicht rechtens war, hört man von jungen Menschen jedoch oft. „Wenn du jemanden triffst, ist das erste was du herausfinden musst, was er über die Annexion denkt. Dann kann man weiterreden oder man lässt es“, sagt Anna.

[[{"fid":"65147","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":447,"width":672,"style":"width: 250px; height: 166px; margin: 3px 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Mit langen Schritten eilt sie durch den Hafen in Richtung des Sowjetdenkmals am Ende der Landzunge. Zwei Soldaten aus Metall, groß wie ein fünfstöckiges Wohnhaus, stehen da und verteidigen Sewastopol gegen einen Angriff von der offenen See. Etwas weiter weg, an der Promenade, stehen die neuen selbsternannten Verteidiger Russlands: Mitglieder der putin-treuen Biker-Gang „Nachtwölfe“. Vor kurzem, erzählt Anna, hätten sie eine Bikeshow in Sewastopol veranstaltet: Eine Art Rockkonzert mit russisch-orthodoxem Einschlag und patriotischen Parolen.

Um die Bucht zu überqueren, die Sewastopols Hafen ist, nimmt Anna die Fähre. Sie ist auf der anderen Seite der Bucht aufgewachsen, neben einer Fabrik, in der irgendwann mal Bauteile für Computer produziert wurden. Die Lenin-Gedenktafel hat jemand abmontiert und mitgenommen. Ansonsten, sagt Anna, sei seit ihrer Kindheit eigentlich alles nur verfallen. Nichts Neues sei hinzugekommen, keine Infrastruktur, keine Gebäude, nicht einmal die Straßen wurden ausgebessert. Die Auflösung der Sowjetunion hat nichts daran geändert. Die Annexion durch Russland auch nicht.

Statt dessen spielen die nächsten Generationen in den Ruinen der Computer-Fabrik: Eine Gruppe Jugendlicher raucht im Schatten des verwitterten Gebäudes, Mütter mit tobenden Kindern stehen auf dem Platz davor. Etwas abseits sitzen noch zwei Frauen mit Kinderwägen zwischen alten Säulen.

Der Unterschied zu früher ist, dass es jetzt überall Internet gibt. Statt die Infrastruktur der Krim zu reformieren, hat sich Annas Generation einen Weg drumherum gesucht: Viele arbeiten im Software-Bereich, etliche westliche Firmen ließen ihre Apps und Programme auf der Krim schreiben. Programmieren kann man sich selbst beibringen und zum Arbeiten braucht man keine funktionierende staatliche Struktur, nur Internet und einen Computer. Anna selbst ist freie Illustratorin und arbeitet oft für hier entwickelte Apps.

Nach den Sanktionen auf der Krim funktionieren Mastercard und Visa nicht mehr, man kann freien Programmierern kein Geld mehr aus den USA oder Deutschland schicken, ohne selbst ein Konto in Russland mit Rubel zu eröffnen. Western Union, Paypal, Ebay – nichts geht mehr. Dazu schließen die westliche Firmen ihre Ableger auf der Halbinsel, in denen zuvor ukrainische Programmierer beschäftigt waren. Nicht zuletzt, weil nicht abzusehen ist, welche Geschäfte und Gebäude in Zukunft noch von der neuen Regierung beschlagnahmt werden. Auch Apple hat alle Verträge mit Entwicklern auf der Krim abgebrochen. Es gibt nicht einmal mehr einen iStore.

Die erste Frage in Annas Freundeskreis ist daher nicht unbedingt, zu wem die Krim oder Sewastopol gehört. Die eigentliche Frage ist, ob man selbst überhaupt auf die Krim gehört, jetzt wo die Perspektive noch schlechter geworden ist. „Die meisten meiner Freunde sind in andere Städte oder andere Länder gezogen“, erzählt Anna. „Jeder, der Verwandte im Ausland hatte, ist da hingezogen und versucht da zu leben. Anstatt ‚Wie geht’s dir‘, fragen sich die Leute hier ‚bleibst du oder gehst du?‘“

Fotos: Jan Vollmer

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