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Europas Ukraine-Politik - Auf Anti-Putin-Kurs

In Brüssel will man keine Rücksicht mehr auf Russland nehmen. Polen und Briten geben außenpolitisch den Ton an, Deutschland ist in die Defensive geraten. Steinmeiers Versuch einer „De-Eskalation“ steht in Widerspuch zu den neuen, weitgehend unbekannten Expansionsplänen der EU

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Hart auftreten, aber besonnen handeln: Dies scheint die Devise der Europäer in der Ukraine-Krise zu sein. Beim Krisentreffen der EU-Außenminister am Montag gaben zwar die Scharfmacher den Ton an. Statt vorsichtig von einer „Verletzung der ukrainischen Souveränität“ zu reden, wie die G-7 am Tag zuvor, verurteilten sie undiplomatisch die russische „Aggression“ auf der Krim.

Zudem setzten sie Moskau ein Ultimatum: Wenn die russischen Truppen nicht bis zum EU-Sondergipfel am Donnerstag in ihre Kasernen zurückkehren, setzt es Sanktionen. Verbal haben sich damit Polen, Balten und Briten durchgesetzt, die wie schon beim (völkerrechtlich mindestens ebenso umstrittenen) Irak-Krieg zu den unbedingten US-Verbündeten und Hardlinern zählten.

Doch es gibt auch andere Stimmen, die auf eine „politische Lösung“ setzen. Dazu zählen Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten. Sie wollen der Diplomatie eine Chance geben, ihr Schlachtruf heißt „De-Eskalation“. Das Mittel der Wahl ist eine Kontaktgruppe, die Kanzlerin Merkel in einem Telefongespräch mit Präsident Putin schon am Wochenende vorgeschlagen hatte - und eine Beobachtermission unter der Ägide der OSZE.

Sarkozys Georgienkrieg-Diplomatie ist in dieser Krise nicht anwendbar
 

Die „Tauben“ können sich dabei auf einen Präzedenzfall berufen: das europäische Krisenmanagement beim Georgien-Krieg 2008. Damals war es Frankreich, das binnen fünf Tagen einen Waffenstillstand aushandelte. Der damalige Präsident Nicolas Sarkozy zögerte nicht, Putin direkt in die Verantwortung zu nehmen und persönlich das Krisenmanagement zu übernehmen. Zur Hilfe kam ihm, dass Frankreich nicht nur Vetomacht im Uno-Sicherheitsrat ist, sondern auch den EU-Vorsitz innehatte.

Allerdings hatte die erfolgreiche Friedensmission einen Schönheitsfehler: Die umkämpfte Provinz Südossetien spaltete sich von Georgien ab und wurde zu einem russischen Protektorat. Genau das will die EU auf der Krim vermeiden. Im Unterschied zu Georgien sind die Europäer diesmal auch nicht weitgehend unbeteiligte Vermittler. Durch ihr aktives Eingreifen in die Ukraine-Krise zugunsten der pro-europäischen, aber auch der nationalistischen Kräfte sind sie selbst Partei.

Und die Beziehungen zu Putin sind, anders als 2008, auf dem Nullpunkt. Damals versuchte die EU wenigstens noch, Russland als jenen „strategischen Partner“ zu behandeln, der er auf dem Papier ist. Brüssel unterstützte den russischen Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO und schickte EU-Beobachter nach Georgien. Zudem wurden Gespräche über Visa-Erleichterungen gestartet, die vor  allem russischen Geschäftsleuten zugute kommen würden.

Genau diese Verhandlungen könnten nun den EU-Sanktionen in der Ukraine-Krise zum Opfer fallen. Und das dürfte nur der Anfang sein. Die Außenminister diskutierten nämlich auch Handelssanktionen gegen Russland, konnten sich bisher jedoch noch nicht einigen. Neben Deutschland, das traditionell enge Handelsbeziehungen pflegt, steht offenbar auch Großbritannien auf der Bremse. Russische Oligarchen haben Milliarden in die englische Wirtschaft investiert, in London sind sie omnipräsent.

Deutschland und Großbritannien könnte damit eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Krise zukommen - wobei die Briten bisher eher aggressiv, die Deutschen eher defensiv auftreten. Doch auch das könnte sich ändern. Merkels kolportierte Bemerkung, dass Putin „in einer anderen Welt“ lebe, spricht ebenso für eine Abkühlung der Beziehungen wie Außenminister Steinmeiers überraschende Warnung vor einer „Spaltung Europas“.

Unbemerkt wird die nächste Expansion der EU vorbereitet
 

Eine Spaltung - auf der Krim? Bisher war den meisten EU-Bürgern wahrscheinlich nicht einmal bewusst, dass die Krim zu Europa gehören soll. Doch genau das ist das Ziel der EU-Politiker in Brüssel. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, bereiten sie die nächste Expansion der EU vor. Die Ukraine - die ganze Ukraine - soll (genau wie Georgien) Teil der neuen „Östlichen Partnerschaft“ werden, die die EU als Gegenentwurf zu Putins „Eurasischer Union“ konzipiert hat. Einige Länder wie Polen fordern sogar einen EU-Beitritt. In Brüssel spricht man lieber vage von einer „europäischen Perspektive“ - doch im Kern läuft es auf dasselbe hinaus.

Bisher versuchten die EU-Chefs, Putin ihre Expansionspläne durch freundliches Zureden schmackhaft zu machen. Beim letzten EU-Russland-Gipfel in Brüssel, der wegen der Ukraine-Krise bereits auf ein Arbeitsessen verkürzt worden war, setzen Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy sogar Expertengruppen ein, die beweisen sollen, dass das geplante EU-Assoziierungsabkommen und die russische Zollunion mit der Ukraine miteinander kompatibel sind.

Damals hatten Barroso und Van Rompuy offenbar noch die hohe europäische Abhängigkeit von russischem Erdgas im Hinterkopf. 60 Prozent der russischen Gasexporte in die EU fließen durch die Ukraine, einige baltischen Staaten sind zu 100 Prozent von Gazprom abhängig. Doch auch diese - manche sagen: falsche - Rücksichtnahme ist nun offenbar beendet. Die EU-Kommission hat ein Verfahren gegen die russische South-Stream-Pipeline eingeleitet und schwenkt mehr und mehr auf Anti-Putin-Kurs ein.

Neue Machtverteilung innerhalb der EU
 

Dies spiegelt die neuen Machtverhältnisse in der EU wieder. Beim Irak-Krieg waren Polen und die baltischen Staaten noch in der Minderheit; die „neuen Europäer“ wurden außenpolitisch noch nicht richtig ernst genommen. Dies hat sich grundlegend geändert. Über das so genannte „Weimarer Dreieck“ haben Deutschland und Frankreich die Polen außenpolitisch eingebunden und massiv aufgewertet.

Polen war denn auch die treibende Kraft bei der Annäherung der Ukraine an die EU - und bei der Forderung nach Sanktionen gegen das alte Janukowitsch-Regime. Auch bei den Strafmaßnahmen gegen Russland gibt Polen den Ton an. In Berlin glaubt man zwar gern, die „neue deutsche Außenpolitik“ entscheide über den Ausgang dieser Krise. In Wahrheit sind Merkel und Steinmeier zwischen Warschau, London, Washington auf der einen und Moskau auf der anderen Seite hin- und hergerissen - Ausgang ungewiss.

 

 

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