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Amtrak-Unfall - In den letzten Zügen

Die US-Bahnen darben. Nicht nur weil der Kongress mit Infrastruktur-Investitionen geizt. Sondern auch weil die Bürger einer unamerikanischen Vision von Transport Missgunst entgegenbringen

Autoreninfo

Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Nach einem der schwersten Bahnunfälle in den USA fragen sich Amerikaner: Warum wird das Eisenbahnnetz in den USA vom Kongress so stiefmütterlich behandelt? Das Unglück der vergangenen Woche geschah, weil der Zug mit hundert Meilen pro Stunde viel zu schnell in eine enge Kurve fuhr, die es bei einer modernen Hochgeschwindigkeitsstrecke gar nicht erst geben würde. Zudem war auf dem fraglichen Abschnitt bei Philadelphia das „Positive Train Control“-System, das Züge im Notfall bremst, nicht funktionsfähig. Um dessen Finanzierung wird seit Jahren gestritten.

Die USA knausern bei der Infrastruktur


Aber auch nach dem Unfall machte der Kongress kein Geld locker; im Gegenteil: Der Eisenbahngesellschaft Amtrak wurden am Tag drauf  260 Millionen Dollar gestrichen, ein Fünftel des Jahresetats.

Amerika gibt ungern Geld für Verkehrsinfrastruktur aus. Der Long Island Expressway etwa, der Highway über die gleichnamige Insel, wirkt über Meilen wie die Autobahn am Hermsdorfer Kreuz zu DDR-Zeiten. Der New Yorker Flughafen LaGuardia habe „Drittwelt-Standard“, befand die New York Times.

Nur 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts der USA fließt heute in Infrastruktur, berechnete der Business Insider. Aber ganz besonders wird die Bahn gebeutelt. Das liegt daran, glaubt der demokratische Senator Chuck Schumer, dass die Bahn „urban“ sei. Es gebe im Kongress ohnehin Feindseligkeit gegen die Finanzierung von Verkehrsmitteln, sagt Schumer. Aber gegen Amtrak herrsche eine „besondere Feindschaft“, denn deren Hauptfunktion sei es, urbane Areale zu bedienen; die Ostküste, Chicago, St. Louis, die Strecke von Los Angeles nach San Francisco, Städte eben, wo Schwarze, Latinos, Immigranten wohnen. Hingegen gebe es in großen Teilen des mittleren Westens gar keine Eisenbahn.

Amtrak dünnt die Strecken aus


Der Niedergang der US-Eisenbahn begann nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Aufstieg des Autos und den autobahnähnlichen Interstates; eine Idee, die sich Präsident Dwight D. Eisenhower in Deutschland abgeguckt hatte. Auch das Aufkommen des Flugzeugs trug zum Niedergang der Eisenbahn bei.

Während der Flugverkehr und die Interstates staatlich gefördert wurden, mussten die privaten Bahngesellschaften ihre Gleise und Bahnhöfe selber bezahlen. Das brachte eine Reihe von ihnen dem Konkurs nahe. 1971, unter Richard Nixon, wurden die, die übriggeblieben waren, in die bundesstaatliche Amtrak überführt. Die baut seitdem beständig Strecken ab, oder dünnt sie aus. Zuletzt wurde die Trasse von New Orleans nach Jacksonville stillgelegt, die 2005 vom Hurrikan Katrina beschädigt worden war.

Drei Mal so langsam wie der Shinkansen


Überdies gehören die Gleise heute dem Güterverkehr. Das hat zur Folge, dass die überlangen, oft nur im Schritttempo fahrenden Güterzüge Vorfahrt vor Passagieren haben. Auch deshalb brauchen die behäbigen Dieselzüge von Amtrak beispielsweise für die 3500 Kilometer lange Strecke von Chicago nach San Francisco 52 Stunden; mit im Schnitt weniger als 70 Stundenkilometern. Der japanische Shinkansen ist dreimal so schnell.

Amtrak bekommt gut eine Milliarde Dollar pro Jahr an Subventionen, aber das reicht nicht, um die Defizite aufzufangen. Und während es früher noch eine Parteien-übergreifende Bereitschaft gegeben hatte, eine Grundfinanzierung zu garantieren — immerhin wurde Amtrak unter dem Republikaner Nixon gegründet — ist die Bahn heute politischer Spielball zwischen Demokraten und Republikanern.

Der Bremsblock der Republikaner


Das begann letztlich schon in den neunziger Jahren mit der „konservativen Revolution“ des republikanischen Mehrheitsführers Newt Gingrich. Und seit dem Amtsantritt von Barack Obama haben die Republikaner alle Versuche sabotiert, die Bahn zu modernisieren, und zwar nicht nur in Washington, sondern auch in den von ihnen kontrollierten Bundesländern.

So haben mehrere republikanische Gouverneure Gelder für Zugstrecken verfallen lassen oder versucht, sie für den Bau von Highways zweckzuentfremden.

Chris Christie etwa, der Gouverneur von New Jersey, cancelte einen mehrgleisigen, von Washington finanzierten Bahntunnel unter den Hudson nach New York City. Scott Walker, Gouverneur von Wisconsin, strich eine Bahnstrecke von Milwaukee in die Hauptstadt Madison. John Kasich in Ohio gab 400 Millionen Dollar zurück, die Cleveland, Columbus und Cincinnati per Bahn verbunden hätten.

Und Rick Scott, der Gouverneur von Florida, der der Tea Party nahesteht, legte sein Veto gegen eine von seinem Vorgänger geplante Schnellstrecke von Tampa über Orlando nach Miami ein, deren Kosten ebenfalls größtenteils vom Bund getragen worden wären.

Privatisierung des Baubetriebs auf Kosten von Umwelt und Arbeiterrechten


Scott bekam Rückendeckung vom Reason Magazine, das von den Koch-Brüdern finanziert wird, zwei libertäre Milliardäre, denen der Chemiekonzern Koch Industries gehört. Reason berechnete, dass die Strecke nicht genug Passagiere haben werde. Zudem seien die Kosten des operativen Betriebs zu hoch.

Hinter solchen Berechnungen stecken politische Gründe. Die Libertären wollen generell den Staat aus allem, vor allem aus Infrastrukturbauten herausdrängen; wenn überhaupt, sollte diese privat finanziert werden.

Praktischer Nebeneffekt ist, dass so die Gewerkschaften geschwächt werden. Denn bei öffentliche Bauvorhaben müssen gewerkschaftlich organisierte Bauarbeiter beschäftigt werden, bei privaten aber nicht. Außerdem werden so Umweltschutzgesetze ausgehebelt, woran die Kochs als Chemiebarone ebenfalls Interesse haben.

Die Koch-Brüder sind aber nicht nur gegen Züge, sondern gegen ÖPNV überhaupt. So finanzierte der von ihnen gesponsorte Super-PAC „Americans for Prosperity“ eine Kampagne gegen Schnellbusse in Tennessee. Dazu kommt aber auch, dass die Republikaner nicht wollen, dass in „Swing States“ wie Florida und Ohio, wo beide Parteien knappe Mehrheiten haben, Vorzeigeprojekte entstehen, die sich der Demokrat Obama zugutehalten kann.

Die Angst vor bahnreisenden Afro-Amerikanern


Aber die Feindschaft gegen das öffentliche Transportwesen hat auch ideologische Gründe. Nahverkehrszüge sind unbeliebt, weil damit — fürchten manche — Afro-Amerikaner von der Downtown in weiße Suburbs fahren könnten.

Und die Fernzüge von Amtrak, vor allem die zwischen New York und Washington, gelten als Verkehrsmittel für liberale Eierköpfe aus dem Nordosten, die demokratisch wählen und die kollektivistischen, europäischen Visionen vom Transport anhängen. Hingegen ist der mittlere Westen von weißen, konservativen Protestanten geprägt. Und die fahren, wie „echte Amerikaner“ eben, Auto, ganz individuell. Außer natürlich, sie fliegen.

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