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Wer war Mohammed?

Von Legenden überwuchert, Denkverboten und Sprachregelungen entstellt, ist das Bild des Propheten Mohammed bis heute eher verschwommen. Wer war der Mann, der als Stifter des Islams gilt?

Mehr zum Thema: Aziz Al-Azmeh: Mohammed und die Frauen Sylke Tempel: Die Luther des Islam Cicero-Dossier: Die Bedrohung Islamismus Geboren um 570, um 610 durch Allah zum Propheten berufen, in Erfüllung dieser Berufung von den meisten Mekkanern verlacht und gepeinigt, wurde Mohammed 622 zur Auswanderung nach Medina genötigt, wo er als erfolgreicher Staatsmann wirkte, als genialer Feldherr seine mekkanischen Feinde und deren Verbündete in mehreren Kriegen bezwang und während der letzten Lebensjahre den Islam, die unmittelbar auf Allahs Befehle zurückgehende und daher einzig wahre Religion, über ganz Arabien ausbreitete. Dies ist zusammengefasst Mohammeds Lebenslauf, wie er den Muslimen als geschichtliche Wahrheit gilt. Diese Wahrheit dient allerdings weniger der Befriedigung einer auf das Vergangene gerichteten Wissbegierde als vielmehr der Absicherung des eigenen, muslimischen Daseins und der von der Beachtung der gottgegebenen Normen abhängigen Heilszusage. „Ohne Mohammed kein Islam“ meint etwas ganz anderes, als es der Satz „Ohne Jesus kein Christentum“ ausdrücken würde. Denn was Mohammed in der Form des Korans verkündete, das gilt als Allahs wortwörtliche Rede, und alles, was Mohammed von sich aus sagte, was er tat oder stillschweigend zuließ, das hat der Muslim als die durch Allah ins Werk gesetzte authentische Verwirklichung der koranischen Rede im Diesseits anzuerkennen. Christ ist man, indem man, dem Gewissen folgend, so weit als irgend möglich den in den Herrenworten enthaltenen ethischen Forderungen nachzuleben bemüht ist; Muslim hingegen ist man, indem man die durch den Koran und das Vorbild Mohammeds vermittelten konkreten Vorschriften des Ritenvollzugs und der Daseinsgestaltung einhält. Bedeutet die Nachfolge Christi eine nicht in Einzelbestimmungen zu fassende Lebenshaltung, so ist das muslimische Ideal der Nachahmung des Propheten die peinlich genaue Beachtung des nach muslimischer Ansicht mittels Mohammeds von Allah selber gestifteten Regelwerks. Der Inhalt der Prophetenvita formt infolgedessen unmittelbar den muslimischen Lebensvollzug, eine Glaubensüberzeugung, die schon seit dem ausgehenden 7.Jahrhundert die Ausgestaltung der über Mohammed und die Anfänge des Islams im Umlauf befindlichen Überlieferungen beeinflusst: Da Mohammed die einzige Quelle der das Heil verbürgenden göttlichen Anordnungen ist, muss glaubhaft gemacht werden, dass er die Offenbarungen vollständig und ohne eigene Beimengungen wiedergegeben hat und dass alle seine Lebensregungen zumindest seit dem Augenblick seiner Berufung vollkommen mit Allahs Gesetzeswillen im Einklang gewesen sind; ja, wenn die Muslime in ihrer Glaubens- und Lebenspraxis unerschütterliche Gewissheit haben wollen, dann muss der Prophet sündlos und unfehlbar gewesen sein. Ein Indiz für die Dringlichkeit dieses Wunsches ist beispielsweise die Legende von der Öffnung und Reinigung der Brust Mohammeds durch von Allah ausgesandte Engel: Nach der ältesten Version geschah dies kurze Zeit vor der Hedschra, als Mohammed um die Durchsetzung der von ihm verkündeten Gebetsriten rang; die später allgemein anerkannte Fassung verlegt das Ereignis in die frühe Kindheit, denn er soll schon vor seiner Berufung als von Allah „rechtgeleitet“ gelten. Es darf selbst aus seiner Jugend keine Überlieferung geben, die seinen absoluten Gehorsam gegen Allah in ein Zwielicht rücken könnte. In den zahlreichen muslimischen Prophetenviten hat man demgemäß keine historiografischen Werke vor sich, deren Autoren erkunden wollen, „wie es eigentlich gewesen ist“, sondern Schriften, die ein Bild von Mohammed zeichnen, das den umrissenen Glaubensbedürfnissen Rechnung trägt. Eine wirkmächtige Abhandlung aus dem 12.Jahrhundert legt gewissermaßen als ein Dogma fest, was der Muslim mit Bezug auf seinen Propheten auszusagen hat und was nicht, damit auf keinen Fall dessen Funktion, diejenige des alleinigen Garanten der Wahrheit des Islams, beeinträchtigt oder kritischen Zweifeln ausgesetzt werde. Ausdrücklich warnt der Verfasser vor der Lektüre der älteren muslimischen Geschichtswerke, die Material enthielten, das die weniger Gefestigten in Anfechtungen verstricken könnte. Diese Dogmatisierung der Prophetenvita und ihre weitreichenden Konsequenzen muss der moderne Historiker studieren, bevor er sich der Aufgabe widmet, die Überlieferungen zum Leben Mohammeds kritisch zu durchleuchten. Die ältesten arabisch-muslimischen Sammlungen von Nachrichten zur Prophetenvita, die bis ins späte 7.Jahrhundert zurückgehen, sind uns nur aus – allerdings sehr zahlreichen – Zitaten in jüngeren Kompilationen bekannt. Aus dem frühen 8.Jahrhundert stammt Ibn Ishaqs Lebensbeschreibung (arab.: as-sira) des Propheten, die erste, die uns als Ganze erhalten ist, allerdings in einer Überarbeitung. Wegen seines am Geschehen an sich ausgerichteten Interesses geriet Ibn Ishaq in einen Konflikt mit jenen Gelehrten, denen allein der Normengehalt des Überlieferten am Herzen lag. Diesem einer historischen Betrachtungsweise fremden Leitmotiv folgend, revidierte ein gewisser Ibn Hischam (gest. um 830) das Werk, ohne seinen Charakter völlig zu verändern, und erklärte dabei ausdrücklich, dass er vieles wegkürze, was nicht unmittelbar mit der Person des Propheten, mit der „Herabkunft“ eines Koranverses oder dessen Auslegung durch Mohammeds Handeln zu tun habe, desgleichen Dinge, an deren Wiedergabe man Anstoß nehmen könnte. Im Zeitalter Ibn Ishaqs bildete sich zudem die Literaturgattung des Hadith heraus. Das Hadith enthält genau das, was Ibn Hischam vor allem anderen als tradierungswürdig erachtete: das Mohammed zugeschriebene möglichst unter Bezugnahme auf den Koran das muslimische Leben reglementierende Reden und Handeln. Freilich machte das, was man bei Ibn Ishaq davon wiederfinden konnte, nur einen kleinen Bruchteil des Materials aus, das im Hadith zusammenfloss und von dessen Spezialisten gesichtet sowie unter dem Gesichtspunkt des Normengehalts bewertet wurde. Die europäische kritische Leben-Mohammed-Forschung – eine autochthon muslimische gibt es nicht – fand sich somit vor allem auf zwei Quellengattungen verwiesen, auf den Koran als Mohammeds eigene Äußerungen und auf Ibn Hischams Überarbeitung der Prophetenvita Ibn Ishaqs, die man, dessen ursprüngliche Intentionen übersehend, als eine Auswahl aus dem koranexegetischen Hadith missdeutete. Das Hadith aber konnte, wie sich anhand zahlreicher Beispiele belegen ließ, gar nicht zu Lebzeiten Mohammeds aufgekommen sein. Es musste vielmehr als eine nach seinem Tod entstandene und auf den Gewinn von Normen zielende Textgattung betrachtet werden. Damit brach eine der beiden Hauptstützen der westlichen Leben-Mohammed-Forschung weg, und auch die andere, der Koran, hielt nicht lange der Kritik stand. Denn wenn die außerkoranischen Nachrichten über Mohammed eine spätere Fiktion waren, was blieb dann noch von einem historischen Mohammed übrig, dank dessen Person die muslimische Offenbarungsurkunde eigentlich erst ihren Ort in der Geschichte erhielt? Spekulationen über die Fiktivität dieser Gestalt wurden somit Tür und Tor geöffnet. Hypothesen über den Koran als ein anonymes Zeugnis für das Überleben eines frühen Christentums, das die Gottessohnschaft Jesu leugne, wurden formuliert. Sie sind allerdings unhaltbar, denn der Koran selber weist religiöse Vorstellungen und Bilder auf, die im Christentum des 6.Jahrhunderts aufkamen und die Religionspolitik Justinians widerspiegeln. Überdies werden sie durch den Koran in einen heidnischen – sich vom Judentum und Christentum ausdrücklich abgrenzenden – Zusammenhang verpflanzt, und damit erhalten wir über eine Analyse des Korans Zugang zu der hinter ihm stehenden Person, zu Mohammed. Er spricht von sich zunächst als von dem Gesandten Allahs, ein oder zwei Jahre vor der Hedschra nennt er sich zum ersten Mal den zu den Heiden geschickten Propheten (Sure 7, 157 f.). Dem Koran entnehmen wir ferner, dass es Sache dieses Propheten sei, seinen heidnischen Landsleuten Allahs authentische Ritualordnung zu übermitteln; diese sei einst auch den Juden und Christen offenbart worden, die sie aber entstellt hätten und die folglich dem Zorn und dem Fluch Allahs unterlägen. Sie hätten Allah die ausdrücklich von ihm gewünschten Tieropfer – man denke an Abraham! – verweigert. Die Gemeinde Mohammeds sei Allah dagegen in dieser ritualrechtlichen Frage wie in allen übrigen Geboten und Verboten gehorsam, sei mithin die wahre Erbin Abrahams (Sure 2) und vor dem Zorn Allahs sicher (Sure 1). Der Koran belegt, dass sein Urheber nicht geradlinig zu diesen Überzeugungen gelangt ist, die sich auf die im 4.Jahrhundert einsetzende hochreligiöse Durchdringung der heidnisch-arabischen Gedankenwelt zurückführen lassen. Ihr gehören die Kernbegriffe der koranischen Botschaft an, die schon lange vor Mohammed in Inschriften auftauchen. Die im Koran erkennbar werdende religiöse Entwicklung Mohammeds steht im Übrigen in einem vielfältigen Bezug zu den Ereignissen der mekkanischen Clangeschichte, zu den überregionalen Stammesrivalitäten und nicht zuletzt zum Ringen des Byzantinischen Reiches und des sasanidischen Iran um die Vormacht in Arabien. Die Grundlinien seines Lebens seien hier nachgezogen: 1. Während Mohammed zum Mann reifte, orientierten sich die führenden mekkanischen Clane, zu denen derjenige Mohammeds nach dem Ableben seines Großvaters Abd al Muttalib nicht mehr zählte, auf die Sasaniden. Der Clan allerdings, dem Mohammeds erste Ehefrau Chadidscha angehörte, vertrat seit langem die Interessen der Byzantiner und wurde deswegen kritisiert. Deren schwere Niederlage gegen die Sasaniden, die 614 Jerusalem eroberten, schlug sich in der hiernach entstandenen Sure 30 (Vers 1) nieder. Mohammed war damals bereits mit seinen Verkündigungen an die Öffentlichkeit getreten. Seine Forderung, der Pilgerkult um die Kaaba sowie an den anderen heiligen Stätten in der unmittelbaren Nachbarschaft dürfe nur noch dem einen Allah gelten, stellte das labile religiös-politische Gleichgewicht infrage, dessen Bewahrung für Mekka lebenswichtig war. Den Mekkanern selber unterstanden nur die Riten an der Kaaba, an den anderen Kultorten hatten andere Stämme das Sagen, und indem Mohammed auch dort für seinen Eingottglauben warb, verstieß er gegen alles Herkommen. In seiner Person, so schien es, überschritten die Mekkaner ihre Kompetenzen. In ihrem wohlverstandenen Interesse suchten diese ihn an Kontakten dieser Art zu hindern. Sie waren auch deshalb gegen ihn aufgebracht, weil er von seinen Anhängern verlangte, sie sollten sich niederwerfen, sobald bei der rituellen Verehrung des einen Allah Koranverse vorgetragen wurden. Eine solche Proskynese war im damaligen Christentum während bestimmter Augenblicke der Messe üblich, und so wird verständlich, dass etliche der Anhänger Mohammeds in das christliche Äthiopien, in byzantinisches Interessengebiet mithin, auswichen, wo sie ihren Kult ungestört ausüben konnten. 2. Der Konflikt mit den führenden Mekkanern schwelte indessen weiter. Mohammed selber war dank der traditionellen Sippensolidarität und des heidnisch-arabischen Schutzrechts zunächst vor Anschlägen gegen sein Leben sicher. Seit 620 verschärften sich jedoch die Spannungen. Zugleich bildete sich in losem Kontakt mit Mohammed eine Gemeinde in Medina, wohin er enge verwandtschaftliche Beziehungen hatte. Wie schon erwähnt, beanspruchte er nun auch das Prophetentum, wodurch er ausdrücklich seinen Willen zur Veränderung der mekkanischen Kultordnung bekundete. Wie sich bald darauf zeigte, bedingte sein Prophetentum zudem eine klare Abgrenzung gegen Juden und Christen. Die Mekkaner vertrieben ihn jetzt (vgl. Sure 47, 13), und er wandte sich zu seiner Gemeinde nach Medina, wo er wiederum vom heidnischen Schutzrecht profitierte. 3. Mit seinen mekkanischen Gefolgsleuten auf die Mildtätigkeit der Medinenser angewiesen, suchte er seine materielle Lage durch Angriffe auf mekkanische Karawanen zu bessern, behielt jedoch stets das Ziel der Umgestaltung des Kaabakults im Auge (vgl. Sure 2, 190–193). Die Medinenser wurden in diese Kriege verwickelt, die sich bis 627 hinzogen und mit dem Auseinanderbrechen einer von den Mekkanern zusammengefügten Stammeskoalition endeten. 4. Nach diesem Scheitern seiner Feinde entschloss sich Mohammed 628, mit einer durch Krieger eskortierten Pilgerkarawane nach Mekka vorzustoßen. Bei Al Hudaibija nordwestlich Mekkas traf er auf die Verbände der Stadt. Beide Seiten mochten es nicht auf ein Gefecht ankommen lassen. Man einigte sich vielmehr darauf, dass Mohammed und seine Anhänger noch nicht in diesem, wohl aber im darauffolgenden Jahr die Pilgerriten vollziehen dürften; des Weiteren vereinbarte man eine zehnjährige Waffenruhe. 5. In der Folgezeit schwand der Widerstandswille der meisten Mekkaner; mächtige arabische Verbündete gingen auf Distanz zu ihnen, Überläufer stellten sich in Medina ein. Überdies waren die Byzantiner 628 nach Syrien und Palästina zurückgekehrt. Mohammed zögerte nicht, Verbindung mit dem vorübergehend in Hims residierenden Kaiser aufzunehmen. Zugleich organisierte er ab jetzt einen rein auf Eroberung ausgerichteten Dschihad, zumal gegen die vermögenden Oasenortschaften nördlich von Medina. Nunmehr durch umfangreiche Ressourcen gestärkt, brach er im Winter 629 auf 630 unter einem Vorwand das Abkommen von Al Hudaibija und rückte gegen Mekka vor. In Anbetracht der dramatisch veränderten Lage konnte Mohammed die Stadt nahezu kampflos besetzen. Seine Stadtgenossen wurden Muslime. 6. Im Gegenzug gab Mohammed fortan den Prominenten unter ihnen in vielen kriegerischen Unternehmungen den Oberbefehl. Als er im Juni 632 starb, beherrschte er den größten Teil der Arabischen Halbinsel. Die ihm Unterworfenen hatten die islamischen Riten zu vollziehen und, wenn sie sich nicht dem Dschihad anschlossen, Abgaben zu leisten. Der sichtbare Triumph war allerdings mit dem Unmut seiner frühen opferwilligen Anhänger sehr teuer erkauft, die sich durch die spätbekehrten Mekkaner um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht glaubten. Bei Ibn Ishaq und in vielen weiteren Quellen, deren Material nicht oder nur zum Teil in das Hadith eingegangen ist, findet sich zu alldem eine Fülle von Einzelheiten. Erwägt man sie unter ständigem Rückgang auf den Koran, so erhält man das in sich stimmige Bild eines Mannes, der, eingefügt in die Verhältnisse seiner Epoche, zum Kristallisationspunkt einer religiös-politischen Bewegung von welthistorischer Bedeutung wird. Wesentliche Züge der bei den Muslimen üblichen hagiografischen Überhöhung und Verklärung Mohammeds erklären sich allerdings erst aus den Geschehnissen, in denen nach seinem Tod die Konflikte ausgetragen wurden, die sich in seinen letzten Lebensjahren angedeutet hatten. Jede Partei sah sich als den einzig rechtmäßigen Erben des Propheten, und so kamen ganz unterschiedliche Deutungen seines Lebenswerks in Umlauf. Auch diesen Zeitraum genau zu kennen, ist unerlässlich, damit die – vereinfacht gesagt – Trennung zwischen dem legendären Mohammed des Hadith einerseits und der geschichtlichen Gestalt andererseits gelingen kann; auf Letztere vor allem richtet sich naturgemäß die Wissbegier der Nichtmuslime. Foto: Picture Alliance

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