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Die Schwarzgeldmacher

Die größte Bank der Schweiz und eine der größten der Welt, die UBS, musste vom Staat vor dem Absturz gerettet werden. Aber wer hat die Macht über die Milliarden? Einblicke in eine Gesellschaft, bei der das Gesetz des Schweigens gilt.

Mehr zum Thema: Fred David: Die größte Schatzkammer der Welt Bildergalerie: Die größte Schatzkammer der Welt An seinen Exotenstatus hat er sich gewöhnt. Ulrich Thielemann lehrt an der Universität St.Gallen, Wirtschaftsethik und Philosophie. Mit seinem Kollegen Peter Ulrich veröffentlichte er ein Bändchen, 156 Seiten dünn: „Brennpunkt Bankenethik“. Seitdem gilt der gebürtige Deutsche als „vorgeschobener Gefechtsposten der deutschen Steuerbehörden“, wie ein renommierter Schweizer Privatbankier dekretierte. Eine unmissverständliche Warnung. Die beiden Autoren bezeichneten das Schweizer Bankgeheimnis als das, was es schon immer war, was aber niemand ungestraft schreiben soll: „ein Steuerhinterziehungsgeheimnis“. Wie schafft es eine Branche, diese staatlich geschützte Hehlerei gigantischen Ausmaßes als unverrückbare, nicht zu hinterfragende Ideologie im Bewusstsein einer an sich intelligenten Bevölkerung zu verankern? Wer besitzt die Macht, in allen Fragen des „Finanzplatzes“ eine kollektive Disziplin wie eine Staatsdoktrin herzustellen, ähnlich den Religionswächtern der Mullahs im Iran? Diese Macht, das ist gewiss, reicht tief hinein in Politik, Verwaltung, Diplomatie, Wissenschaft und Medien. Ihr wichtigstes Instrument ist nicht das legendäre Bankgeheimnis, das ist inzwischen löchrig wie ein Emmentaler Käse. The big trick, auf dem das billionenschwere System beruht, ist die winzige juristische Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Bei Steuerbetrug leistet die Schweiz anderen Staaten Amtshilfe, bei Hinterziehung nicht. Das vermeintlich winzige Detail im Gesetzbuch eröffnet ein unübersehbar weites Aktionsfeld für die Internationale aller Steuerhinterzieher dieser Welt. Sie können sich auf ein diskretes, erdumspannendes Netz von Banken, Anwälten, Treuhändern und Helfern in allen Steuerlagen stützen – eine durchorganisierte Industrie von Tricksern. „Es waren natürlich die Banken, die diesen gesetzlichen Unterschied hochstilisiert haben“, räumt Philippe Lévy ein, ehemaliger Chef des Schweizer Bundesamts für Außenwirtschaft. Hätte er das in seiner Amtszeit von sich gegeben, wäre es rasch sehr still um ihn geworden. So effizient ist dieses System. 1952 erzielten alle Schweizer Banken zusammen eine Bilanzsumme von 26 Milliarden Franken. Heute bringen es allein die zwei Riesen UBS (United Bank of Switzerland) und CS (Credit Suisse) auf über drei Billionen Franken (2007). In manchen Jahren schaffen diese beiden Banken die Hälfte des Wachstums der Schweizer Wirtschaft und ein Mehrfaches der gesamten Wirtschaftsleistung. Zwei Staaten im Staat. Sie kontrollieren sich selbst. Sie formulieren die sie betreffenden Gesetze und setzen sie durch. Jahrzehntelang betrieben sie eigene Kliniken und Luxushotels, um auf absolute Diskretion erpichte Kunden ihres Wealth Managements artgerecht unterzubringen. Eine abgeschottete Welt, die ein von außen kaum durchschaubares Eigenleben führt. Die Außenministerin der Schweiz agiert häufig als verlängerter Arm dieser Interessen. Der Finanzminister sowieso. Er verbirgt es gar nicht erst. Als die UBS in existenzielle Schwierigkeiten geriet, entschied sie selbst, wie sie vom Staat gerettet werden möchte: immerhin ein staatliches Hilfspaket über 66 Milliarden Franken. In keinem anderen Land, außer dem bankrotten Island, machte der Staat pro Kopf der Bevölkerung mehr Hilfsmittel für ein einziges Unternehmen locker. Trotzdem hat die Regierung keinerlei direkten Einfluss auf das Geschehen innerhalb der Bank. Selten traten die realen Machtverhältnisse in der Schweiz so schroff und offen zutage, wie in diesem Fall. Die Politik erscheint daneben in einem dramatischen Ausmaß hilflos. Im Teilzeitparlament, es tagt nur wenige Wochen im Jahr, gibt es keine institutionalsierte Opposition, die kontrolliert. Wie im Dorf sind alle mit allen verbandelt. Die großen Parteien sitzen in einer seit 51 Jahren regierenden großen Koalition. In einem halben Jahrhundert wechselte nur ein einziges Mal ein Ministersitz zu einer anderen Partei: verkrustete Stabilität. Zwar dürfen die Schweizer über die Anschaffung von Verkehrsampeln, über hochkomplexe Staatverträge und die Höhe ihres Steuersatzes volksdemokratisch abstimmen. Den Regierungs-, Verwaltungs- und Parlamentsapparat aber durchschaut kaum noch ein Außenstehender. In diesem Biotop konnten sich die zwei Großbanken UBS und CS zu oligarchischen Gebilden entwickeln. Im Hintergrund geben Großinvestoren aus den USA, aus Saudiarabien, Singapur und Katar den Ton an. Den wenigsten Schweizern ist das bekannt. Sie halten UBS und CS noch immer für urschweizerische Pfeiler, auf denen das Selbstverständnis ihres Landes ruht; unerschütterlich, rätselhaft und ewig wie die Sphinx im Wüstensand. Der kürzlich verstorbene Doyen unter den amerikanischen Historikern Gordon A.Craig – er recherchierte monatelang für ein Buch in Zürich (deutscher Titel: „Geld und Geist“) – fragte sich ratlos: „Warum identifizieren sich die Schweizer derart mit ihren Banken? Einem Amerikaner käme es nie in den Sinn, die Interessen der Banken mit den Interessen des Landes gleichzusetzen. Wir attackieren sie laufend und denken natürlich, dass sie es verdienen.“ Damit fangen die Schweizer erst ganz zaghaft an, seit die UBS in einem einzigen Jahr 45000 Millionen Franken in der Hypothekenkrise verzockte, 19700 Millionen an Verlusten bilanzierte und den Staat zu Hilfe rief. Noch funktioniert diese in Europa einzigartige und in ihrer Dimension unheimliche Symbiose zwischen ganz großem Geld, Politik und Bevölkerung. Noch. Der Grund ist offensichtlich. Zwölf Prozent des Schweizer Bruttoinlandsprodukts stammen von den Banken, über die Hälfte davon allein von den zwei größten. Weltweit ein Drittel des offshore, also außerhalb des Wohnsitzstaates angelegten Vermögens lagert in Schweizer Depots: 4559000000000 (4,559 Billionen) Franken (2007) allein bei UBS und CS. Vieles davon ist unversteuertes Schwarzgeld, das the big trick ins Land lenkt. Wie viel ist es genau? An diese Schlüsselzahl pirscht man sich nur über Umwege heran. Zwischen 1993 und 1997 wurden allein aus Deutschland 500 Milliarden D-Mark unversteuert im Ausland gebunkert, der größte Teil davon beim südlichen Nachbarn. Dem deutschen Fiskus entgingen dadurch in diesen vier Jahren 30 Milliarden D-Mark. Bis heute hochgerechnet sind das 60 Milliarden Euro. Auch Franzosen, Italiener, Russen, Amerikaner, Chinesen, Nigerianer, Brasilianer bunkern bei den Eidgenossen Schwarzgeld in riesigen Summen. Konzerne sammeln ihr Schwarzgeld häufig hier, um schwarze Kassen zu bedienen: Quellen weltweiter Korruption. Das belegen zahlreiche große Justizfälle der vergangenen Jahre. Ermittlern gilt als gewiss, dass alle weltweit tätigen Unternehmen solche schwarzen Kassen führen. „Etwa 30 Prozent der Bankeinnahmen aus diesen Vermögen sind von der Nichtgewährung der Steueramtshilfe abhängig“, räumte der Genfer Bankier Jacques Rossier wolkig ein. Auf Deutsch: mindestens ein Drittel ist Schwarzgeld. In Summa: über 1,5 Billionen Franken. Das hat Weltmaßstab. Es gibt seriöse Schätzungen, die bis zu 70 Prozent gehen. Zwar wurden internationale Vereinbarungen getroffen, um mittels Zinssteuern etwas davon wieder an die Herkunftsstaaten zurückzuführen. Es fließt natürlich nur tropfenweise. Die Zinssteuer ist leicht zu umgehen. In jeder Buchhandlung kann man Ratgeber mit präzisen Anleitungen kaufen. Wie ist es möglich, dass ein Land dies deckt und sich eine eigenartige Kunstwelt schuf, die alles rechtfertigt, was darin geschieht? Wer zieht die Fäden? Die Recherche führt erneut zu einem Historiker. Der 78-jährige Jean-François Bergier lebt zurückgezogen in der Kleinstadt Zug. Als Chef einer staatlichen Kommission erforschte er die Wirtschaftsbeziehungen zur Nazidiktatur im Zweiten Weltkrieg. Tausende Seiten wurden veröffentlicht, kein schönes Bild. Nebenbei stieß der Professor auf Machtstrukturen in der Schweiz, die nie zuvor beschrieben wurden. In den frühen vierziger Jahren abgeschirmt von der demokratischen Kulisse, „riss eine Gruppe von Leuten die Macht an sich“, Funktionäre mächtiger Wirtschaftsverbände, Manager einiger weniger Großunternehmen sowie einige einflussreiche Spitzenbeamte. Insgesamt nicht mehr als zwei Dutzend Personen. Es war „noch keine Diktatur, aber eine autoritäre Form der Machtausübung ohne jede demokratische Kontrolle“. Das Parlament hatte kaum Einblick. Die Regierung war zum Verwaltungsrat einer AG degradiert. Viele dieser verdeckten Machtstrukturen, so fand Bergier heraus, haben sich bis heute völlig intakt erhalten. Im Bericht durfte er nichts darüber erwähnen. Es gehört nicht zu seinem Auftrag. Aber darüber reden darf er. Wer übt heute die tatsächliche Macht in der Schweiz aus? Bergier antwortet ohne das Zögern des abwägenden Wissenschaftlers: „die Wirtschaft“. – Auch die politische? „Ja, mehr denn je. Mich beunruhigt das. Der Staat muss den Willen haben, die ihm zustehende Kontrollfunktion auszuüben. Weil in der Schweiz die politische Macht bewusst nicht präzis definiert ist, kann sie auch nicht kontrolliert werden.“ Eine Verschwörung? Noch nicht wirklich. „Aber es kann eine daraus werden, wenn wir nicht aufpassen.“ Einige Bundesräte (Minister) hätten ihm im persönlichen Gespräch gesagt: „Die Warnung ist bei uns angekommen. Wir haben sie verstanden.“ Davon spürt man nichts. Das alarmierende Interview mit dem Professor erschien bereits vor sieben Jahren in der größten Wirtschaftszeitung des Landes. Es führte zu keinerlei Reaktionen. Man schwieg im Kollektiv. Den Professor wunderte es nicht. „You & Us = UBS“, heißt der Slogan der größten Schweizer Bank. Eine einzige große Familie, die weiß, wann sie zu schweigen hat. Foto: Picture Alliance

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