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Konkurrenz - Wir sind vom Neid zerfressen

Auf dem Spielplatz gilt: Wer hat den schönsten Buddeleimer, bei Facebook: Wer postet die tollsten Urlaubsbilder und in Regierungskreisen? Wer macht die erfolgreichste Wirtschaftspolitik

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Mit dreieinhalb beginnt der Ernst des Lebens. In einem  Gespräch verkündete  meine Tochter vor einigen Tagen, dass sie nicht genügend Freunde habe. Das ist gerade Thema im Kindergarten: Wer spielt mit wem, wer wird zum Geburtstag ein- und wer wird spontan wieder ausgeladen. Bis vor kurzem erklärte sie noch mit fester Stimme, Lilou* und Mathilda seien ihre Freundinnen. Nun muss sie erfahren, dass Lilou auch mal alleine spielt und Mathilda mit Ava. Das ist bitter. Und es führt zu sturzbachartigem Tränenfluss, der allerdings den Freundinnen keinerlei Mitleid abringt. [[nid:54227]]

In solch unsicheren Zeiten kann man schon mal darauf kommen, dass mehr Freunde mehr Sicherheit geben. Dasselbe gilt für Eimer, Schaufeln, Bonbons. Mehr ist immer besser. Das ist eine der wichtigsten Lektionen zur Prävention von Eifersuchtsdramen und Neidgefühlen, die im Haifischbecken Kindergarten gelehrt werden.

Das ist natürlich Quatsch, wissen wir Erwachsenen, zwei gute Freunde reichen doch völlig. Das habe ich dann auch erklärt. Das stimmt doch, oder? Moment, ich habe zurzeit 351 Freunde bei Facebook. Bei dem sozialen Netzwerk, das mehr Neid schürt als jede noch so erbittert geführte Schlacht im Sandkasten um Freunde, Förmchen und Schaufelbagger. Dass Facebook neidisch macht, haben Forscher von Humboldt-Universität Berlin und Technischer Universität Darmstadt herausgefunden, indem sie 600 Studenten mit Facebook-Profil befragten. Es ergab sich, dass fast 30 Prozent Neid als großes Problem in diesem virtuellen Sandkasten ansahen. Die User dort würden mit ihren selbstbeweihräuchernden Posts eine Neid-Spirale in Gang setzen, aus der man sich nur schwer lösen könne.

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Wer auf Facebook sein dickes Auto, den blauen Ferienhimmel, den gutaussehenden Partner, die prächtigen Kinder oder den Blick aus seinem Bürozimmer im obersten Stockwerk der erfolgreichen Unternehmensberatung postet, der generiert Neid. Er hält seinen Facebook-Freunden den glitzernden Eimer vor die Nase und brüllt: „Ich habe den schönsten!“ (So gesehen gestern auf dem Klettergerüst des örtlichen Spielplatzes). Die Reaktionen auf diesen Angebermoment reichen von heulenden Mitspielern (analog) bis zu jenen neidzerfressenen Netzwerkkollegen (digital), die sich Freunde auf Facebook nennen.[[nid:54227]]

Nun sind wir gerade sowieso die neidgebeuteltste Nation in Europa. Bei uns läuft wirtschaftsmäßig alles super – Armadas arbeitsloser Jugendlicher, zusammenbrechende Immobilienmärkte, zerfleddernde Sozialsysteme – damit schlagen sich die anderen herum. Unsere Bundesregierung müht sich denn auch nach allen Regeln der Kunst, die deutsche Statusmeldung immer rosig-rot und up to date zu halten: Noch vor einigen Monaten verkündete Merkel, Deutschland habe die erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung, Finanzminister Schäuble lobte sich und sein Land als Vorbild in Europa und Vizekanzler Rösler tönte, die Welt sei neidisch auf unsere erfolgreiche wachstumsorientierte Konsolidierungspolitik. So zitiert auf die Nachrichtenagentur Reuters den Wirtschaftsminister.

Wenn das mal gut ist für die Stimmung im Brüsseler Buddelkasten. Wer so großspurig auftischt, muss schon damit rechnen, dass er von ein paar Bekannten entfreundet wird, die mit so viel Selbstlob nicht klar kommen.

Kinder sind gemein, angeberisch und kaltherzig? In Wahrheit rüsten sie sich nur für das Leben. Wenn die Fronten geklärt sind, die Tränen getrocknet und die ersten Sandkuchen gebacken, entzerrt sich das Freundesdrama meist ganz von alleine. Dann spielt Lilou wieder mit Marlene, Mathilda schaukelt mit Jonathan, Ava verbuddelt den Regenschirm. Und alle sind zufrieden.

* alle Kindernamen geändert

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