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(picture alliance) Entscheidungen trifft die Generation Maybe ungern - erst recht nicht für ein ganzes Leben

Chantal, Kevin, Hannah - Wie aus Namen Menschen werden

Unsere hochschwangere Kolumnistin Marie Amrhein zerbricht sich den Kopf kurz vor der Geburt ihrer Tochter. Ein Name muss her. Eine undankbar schöne Aufgabe, die doch ein ganzes Leben mitentscheiden kann

Jetzt wird es langsam eng. Mir fehlt die Zeit für klare Gedanken, eine Kolumne soll her. In meinem Kopf aber schwirren nur Namen herum. Lotte, Liese oder Leah? Hannah oder Hedwig? Ida, Isa, Isi? Das Thema Namensgebung ist brisant, entscheidet sich hier doch so vieles. Der errechnete Entbindungstermin ist verstrichen und mit jedem Tag, den er näher rückte, wurde ich unsicherer mit der bereits getroffenen Entscheidung für den Namen unserer zweiten Tochter.

Ist er zu aristokratisch, wie meine Tante gerade anmerkte? Was sage ich dem Onkel, der bereits im Vorfeld verlautbaren ließ, dass er diesen Namen niemals würde aussprechen können und der sich bereits einen Alternativ-Namen für das Kind ausgesucht hat? Ganz zu schweigen von den vielsagenden und dabei wortlosen Blicken jener, die im Vorfeld eingeweiht wurden?

Meine Altersgruppe ist auch ohne Kinder schon gebeutelt durch die Maßlosigkeit der Entscheidungsmöglichkeiten. Wir werden als Generation Maybe gescholten, die Vielleicht-Sager.

  Das liegt unter anderem daran, dass alle gängigen Ideologien hoffnungslos verbraucht sind, den Problemen der Welt – Klima, Finanzmärkten, kriegerischen Konflikten – haben selbst die mächtigen Staatenlenker und ihre weisen Experten keine Lösungsansätze entgegenzusetzen. Wir seien „mit Freiheit beschenkt und von Freiheit getrieben“, schreibt Felix Kartte in der taz, dabei zeichne uns dieses Zweifeln, dieses Nicht-Entscheiden-Wollen auch gerade aus.

Ist es da ein Wunder, dass sich diese Generation schwer tut in Sachen Namensgebung ihrer Kinder? Gerade haben wir uns nach jahrelanger Suche eingerichtet in unserem Leben, haben uns – fürs Erste zumindest – entschieden für ein Land, eine Stadt, einen Bezirk, einen Partner, einen Job, da stellt uns der Nachwuchs vor den erneuten Entscheidungszwang. Uns, die wir doch so gerne das Leben im Provisorium vollführen, es täglich predigen, auch weil der Arbeitsmarkt keine anderen Chancen zulässt. Wir sollen uns plötzlich entscheiden. Für ein ganzes Leben. Und noch nicht einmal für uns selbst!

Kein Wunder, dass Folke Mitzlaff, ein junger Informatiker aus Kassel, nichts Besseres zu tun hatte, als eine Online-Plattform wie Nameling.net zu gründen, als er Gefahr lief, sich auf der Suche nach einem Namen für seine Tochter zu verrennen. Die neue Plattform soll werdenden Eltern helfen, mit wissenschaftlichen Mitteln den kulturellen und gesellschaftlichen Kontext eines Namens zu erfassen und so weitere passende Vorschläge zu ermitteln, die den Suchenden helfen können. Nach dem Prinzip, „Wem Erwin gefällt, der mag auch Fritz und Oskar“, schlägt Nameling immer weitere Namen vor.

Die Frage der Namensgebung erlegt den werdenden Eltern einen immensen Druck auf, der durch die neusten Studien zum Thema Kevinismus und Chantalismus noch erhöht wird. Denn nicht nur Lehrer und Personaler lassen sich von ihrem Schubladendenken leiten und vergeben schlechte Noten, beziehungsweise Absagen aufgrund des falschen Namens, wie schon seit Jahren gewarnt wird. Forscher der Humboldt-Universität in Berlin haben nun auch noch die Statistiken der Dating-Portale auseinander genommen und ermittelt: Das Profil eines Alexanders wird doppelt so häufig aufgerufen wie das von Kevin, auch wenn daneben nur noch das Alter und der Wohnort angegeben wurden. Ähnlich war es für Mandy und Chantal, im Vergleich zu Hannah und Charlotte. Welchen Rücklauf Rambo Ramon Rainer bei einem Dating-Portal zu erwarten hätte, kann man sich aufgrund der Daten nun selber denken.

Nicht nur Schullaufbahn und Karriere verpfuschen wir unseren Kindern also mit der falschen Entscheidung. Nein, auch noch das Liebesleben unserer gebeutelten Nachfahren haben wir auf dem Gewissen, wenn wir heute die falsche Entscheidung treffen.

Aber woher weiß ich, dass eine Henriette nicht eines Tages einen Amoklauf begeht? Oder dass wir eine dumpfbackige Ministerin mit Namen Thea bekommen, wenn unsere Tochter ihren ersten Job antreten will? Eine Entscheidung muss her, bevor das Kind überhaupt da ist. Bevor ich weiß, welche Fächer ihr in der Schule gefallen, welches Hobby sie sich erwählt, welche Freunde. Ob sie lieber auf Bäume klettert oder Puppenbetten im Moos baut?

Am besten wäre es vielleicht, den Schubladendenkern ein Schnippchen zu schlagen. Das würde für einen besonders seltenen Namen sprechen. Einen, der alle Personalabteilungsleiter, Lehrer und Dating-Börsen-Besucher in die Irre führt. Zofia? Kirara? Oder Litonya? Auf, auf jetzt. Es bleiben vielleicht noch ein paar Stunden, um einen Namen zu finden, der ihr das Leben rettet.

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