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„Terror“ von Ferdinand von Schirach - Die Rückkehr des pädagogisch wertvollen Aufsagetheaters

Bestsellerautor Ferdinand von Schirach debütiert als Bühnenautor. Am Berliner Deutschen Theater wurde daraus eine zähe Angelegenheit. Als Alternative zum Regietheater taugt ein solch betuliches Schauspiel nicht

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Spannend ist die Frage schon: Dürfen Menschen getötet werden, um Menschen größerer Zahl zu retten, darf Leben gegen Leben abgewogen werden? Das Bundesverfassungsgericht sagte in seinem Urteil vom 15. Februar 2006 Nein, nachdem ein Jahr zuvor der Bundestag mit einem neuen Luftsicherheitsgesetz die Frage bejaht hatte. Rechtlich ist die Angelegenheit entschieden, moralisch keineswegs. Und da niemand so klug und gewinnend aus der Schnittmenge von Recht und Moral erzählerischen Honig zu saugen versteht, überrascht es keineswegs, dass Bestsellerautor Ferdinand von Schirach sich und uns diese Frage in seinem ersten Theaterstück vorlegt. „Terror“ heißt es, parallel wurde es nun uraufgeführt am Deutschen Theater in Berlin und am Schauspiel Frankfurt.

„Geschossmasse“, „Alarmrotte“ und „Luft-Luft-Lenkkörpergeschoss“


Doch war es ein Theaterstück, das unter der arg zahmen Regie Hasko Webers in Berlin zu besichtigen war? Im Theater versammelt sich Publikum, um einer durch Personen verkörperten inneren wie äußeren Handlung beizuwohnen, die sich mittels Sprache und Gestik fortentwickelt. Ein knapp 500-köpfiges Publikum war vorhanden, geredet wurde viel, an Text gebrach es nicht. „Sie können sich die endlose Debatte im Deutschen Bundestag vorstellen“, hieß es. Oder: „Das Bundesverfassungsgericht ist bekanntermaßen unser höchstes Gericht.“ Oder auch: „Bitte, bitte, meine Damen, wir sind in einer schwierigen Hauptverhandlung.“ Oder: „Der Befehl zur Abdrängung heißt Intervention.“ Vermutlich zum ersten Mal auf einer deutschen Bühne wurden die Worte „Geschossmasse“, „Alarmrotte“ und „Luft-Luft-Lenkkörpergeschoss“ ausgesprochen.

Dramatis personae waren ebenfalls vorhanden, deren sechs. Auf der Vorderbühne des Deutschen Theaters, einem schmalen Gang (Bühne: Thilo Reuther), traten auf: Vorsitzende, Staatsanwältin und Verteidigerin (in Frankfurt waren es Vorsitzender, Staatsanwältin und Verteidiger), der angeklagte Kampfjetpilot Lars Koch, ein Zeuge und eine Nebenklägerin. Die Schauspieler heißen mit bürgerlichen Namen Almut Zilcher, Franziska Machens, Aylin Essener, Timo Weisschnur, Helmut Mooshammer und Lisa Hrdina.

„Terror“ ist ein Gerichtsstück. Es zeigt den Schöffenprozess gegen Lars Koch, der eine von einem islamistischen Terroristen entführte Passagiermaschine auf ihrem Flug von Berlin nach München abschoss, um zu verhindern, dass diese in die vollbesetzte Allianz Arena gelenkt wurde. Er tötete 164 Menschen, um das Leben von 70000 Menschen zu retten und machte sich damit strafbar. Der Verteidigungsminister hatte sich getreu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen einen Abschuss entschieden. Der Staat darf neuerdings Leben nicht gegen Leben aufwiegen.

Nur ein einziger Höhepunkt


Eine äußere Handlung gibt es insofern, als „Terror“ den Gang dieses fiktiven Prozesses gerafft wiedergibt. Innere Entwicklungen sind spärlichst gesät. Man bleibt, wer man war. Seelisch tut sich nichts. Höhepunkt ist der Schlagabtausch zwischen Staatsanwältin und Angeklagtem. Sie beharrt: „Der Staat kann niemals ein Leben gegen ein anderes Leben aufwiegen.“ Er sieht sich auf der moralisch richtigen Seite: „Der Terrorist hat das Flugzeug in seine Waffe verwandelt, und gegen diese Waffe muss ich kämpfen.“ Und wenig später: „Der Staat streckt die Waffen. Wir haben aufgegeben.“ Er, Lars Koch, könne da nicht mittun, er müsse als Soldat den islamistischen Terror in die Schranken weisen. Diese Szene ist der eindeutige, da einzige dramatische Höhepunkt des erstaunlicherweise sehr zähen Abends.

Weisschnur und Machens spielen und ringen miteinander, da gibt ein Wort das andere, die Körper reden mit. Ansonsten kann ich mich an keine Premiere mit derart vielen Versprechern, Verhasplern, falschen Anschlüssen erinnern. Der Abend machte einen unausgeprobten Eindruck. Lag es an der sperrigen Sprache, den Fachtermini und dem komplizierten Satzbau, dass nur selten die Reden Ausdruck einer Person waren, sehr oft aber scheppernde Kurzreferate aus dem rechtsphilosophischen Propädeutikum?

Am Ende kehrte die Didaktik vollends zurück, wenige Steinwürfe entfernt von der einstigen Heimstatt Bert Brechts, dem „Berliner Ensemble“. Zu dessen Zeiten war der Einklang von Aufklärung und Belehrung fortschrittliches Mantra. Heute wirkt derlei Wiedergängerei stark aus der Zeit gefallen, sodass die Grenze zur unfreiwilligen Komik mehrfach touchiert wurde. Vollends am Schluss, wenn das reale Publikum in der Rolle der Schöffen qua Hammelsprung entscheidet und die Vorsitzende hernach brav abliest, was die Schauspielerin nicht auswendig lernen wollte oder durfte.

Mit 255 zu 207 Stimmen wird Lars Koch am Berliner Uraufführungsabend freigesprochen. Der gesunde Menschenverstand triumphierte. Er wird es vermutlich noch viele Male tun an all jenen 14 weiteren deutschen Theatern, die uns „Terror“ in der Spielzeit 2015/16 kredenzen werden. Hoffentlich dann mit etwas mehr Esprit in Darstellung wie Regie, mehr genuin theatralen Mitteln, mehr Textsicherheit. Die Rückkehr des pädagogisch wertvollen Aufsagetheaters, das sich wenig schert um sprachliche Valeurs und szenische Phantasie, wäre ein weiterer betrüblicher Trend in diesem Annus horribilis.

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