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Papst-Bohei in den Medien - Das Nichts, in Girlanden gewickelt

Die Wahl des neuen Papstes Franziskus zeigt, wie Medien heiß laufen, obwohl sie fast nichts wissen – und das Nichts in Worte hüllen müssen

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Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Hallelujah, gepriesen sei Jorge Mario Bergoglio. Der neue Papst… ja wie heißt er eigentlich genau?

Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran verkündete am Mittwochabend um kurz vor halb neun, dass der neue Papst „Franziskus“ heiße. Nicht Franziskus I., wie Medien seitdem weltweit verbreiten. Während die Katholische Nachrichtenagentur dies in einer Blitzmitteilung um 20:15 Uhr noch korrekt meldete, verbreitete die Deutsche Presse-Agentur um 20:19 (!) Uhr schon den Fehler in dem Porträt „Franziskus I. - Jorge Mario Bergoglio ist ein Anwalt der Armen“.

Vatikan-Sprecher Federico Lombardi stellte das zwar noch richtig: der Papst sei einfach nur Franziskus, und erst, wenn sich in Zukunft ein zweiter Papst diesen Beinamen geben wolle, sei eine römische Ziffer nötig. Doch der Namensfehler war bereits draußen und musste teils mit Sondermeldungen wieder eingefangen werden.

Es ist eine kleine Posse, die zeigt, wie heiß die Medien laufen können, seitdem es Twitter, Push-News und mobile Live-Ticker gibt. Mit der Papstwahl wurden wir Zeugen eines Spektakels, das noch die grandioseste mittelalterliche Prozession mit Huftieren und Schweizergarde zu einem Elternabend des Schulfaschings degradiert hätte.

Es beginnt mit dem Rückzug Benedikt XVI. Die Medien klammern sich an des Heiligkeits Letztes, als donnere das Jüngste Gericht heran: sein letztes Angelus-Gebet auf dem Petersplatz, seine letzte Generalaudienz, sein letztes Mal in purpurroter Mozetta, sein letzter Flug mit dem Papakopter, sein letzter Gruß an die Gläubigen in Castel Gandolfo, sein letzter Arbeitstag, der – wie eigentlich niemanden interessierte – um genau 20 Uhr endete.

Dann das Konklave, die Renaissance des Schwarz-Weiß-Fernsehens: die Live-Übertragung eines Ofenrohrs – und ein bisschen heiße Luft. Die Einstellung schafft es sogar in den arabischen Sender Al Jazeera. Wem das nicht genug ist, kann im Netz 72 Stunden lang die „Vatican Smoke Cam“ von CBS anstarren. ZDF-Reporter Stefan Leifert kalauert bei Twitter: „Was für ein Mistwetter in Rom! Wäre schon sinnvoll, wenn der neue Papst auch über Wasser laufen könnte.“

Und zwischen den Regenpausen? Da werden unsichere Kandidaten porträtiert, Datenmüll in Grafiken gegossen, über die roten Schuhe des Papstes räsoniert und sogar vermeldet, dass Kardinale zur Adoption freigegeben sind. Dabei ist das durchschnittliche journalistische Grundwissen über den Vatikan überschaubar. Die österreichische Presse formulierte es in seltener Bescheidenheit so: „Stellen Sie sich vor, über die amerikanischen Präsidentenwahlen schrieben ausschließlich Journalisten, die nicht einmal wissen, wo die USA genau liegen, wie viele Bundesstaaten sie haben, was ungefähr in ihrer Verfassung steht und aus welchen ideengeschichtlichen Quellen sich die Programme der Kandidaten speisen.“

Macht nix. Wie ein Staubsauger mit geplatztem Filterbeutel nehmen die Journalisten alle Flusen um den Katholizismus auf, um sie dann mit Hochdruck hinten wieder rauszuschleudern.
 

Seite 2: Himmel hilf, die Leute wollen das so!

Eilmeldungen am Dienstag um 19:41 Uhr, am Mittwoch um 11:39 Uhr, zweimal schwarzer Rauch, direkt aufs Handy. Eine Piep-Show mit Nachrichtenwert, der gegen null geht. 19:07 Uhr, weißer Rauch. Bis 20:15 Uhr, dem „Habemus papam“, passiert: nichts.

Und dieses Nichts müssen Tausende Journalisten, die auf den Petersplatz strafversetzt wurden, über eine Stunde lang füllen. Spiegel Online zitiert Betty aus Philadelphia oder Eric aus San Diego. Im ZDF stellt eine Expertin fest: „Die Vorstellung, dass der Papst auf den Balkon tritt und die Menge ‚buh‘ schreit, ist kaum denkbar.“ Ach was.

Zwischendrin nähert sich der Journalismus seinem vorläufigen Tiefpunkt: Der Petersplatz jubelt. Die Kapelle spielt auf. Menschen schwenken Fahnen. Um 19:50 Uhr lässt n-tv noch einmal den „Ansturm auf den Petersplatz“ hereinbrechen. Ein ZDF-Twitterer: „Tür der Mittellogia geht auf!“ N-tv: „Der Vorhang bewegt sich.“ Und in China fällt ein Sack Reis um.

Es ist ein Anachronismus der Geschichte, dass ausgerechnet eine der rückständigsten Institutionen der Welt die modernsten Kommunikationskanäle zur Perfektion treibt.

Die Papierpresse hatte dagegen keine Chance. Weder in der taz, dem Neuen Deutschland noch im Freitag war Franziskus am Donnerstag auf der Titelseite. Die Augsburger Allgemeine hatte nur noch Zeit, den weißen Rauch abzubilden. Dann war Redaktionsschluss. Warum auch dieses Bohei um den neuen Papst – das Feierabendbier schmeckt besser.

Was in den nächsten Tage auf uns zukommt, ist erwartbar: Biografien Jorge Mario Bergoglios, Diskussionen um seine Reformfähigkeit, Reportagen aus Argentinien. Wahrscheinlich wird sich die FAZ demnächst auf die Suche nach früheren Promotionskollegen Bergoglios an der Frankfurter Universität machen. So sicher – Achtung, Kalauer – wie das Amen in der Kirche.

Aber, noch schlimmer: den papalen Personenkult lieben die Leute (die Katholiken!?) offenbar. Sie lesen mit, schalten ein. Es ist das alte Märchen vom starken König, vom Hirten und Anführer, nach dem sich die Menschen sehnen. Der gleiche Stoff hält die konstitutionellen Monarchien in Europa am Leben, und er erhebt den Adel auf eine in rotem Samt gebettete Empore, zu dem das Fußvolk andächtig und ehrfürchtig heraufblicken darf.

Dass Medien und Publikum damit in der katholischen Kirche das zementieren, was beide eigentlich kritisieren –  Romzentrismus, Obrigkeitshörigkeit, starre Hierarchien und mangelnde Reformwilligkeit – scheint dabei niemanden zu stören.

Verrückte alte, neue Welt.

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