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(picture alliance) Die Philosophie des Staatsbanketts: Satte Menschen streiten nicht

Linke Feinesser - Satte Menschen streiten nicht

Früher solidarisierten sich die Linken mit der Volksküche, und die Konservativen aßen Gänsestopfleber. Heute treffen sich die politischen Gegner in den gleichen Nobelrestaurants. An ihren Differenzen ändert das trotzdem nichts
 

Satte Menschen streiten nicht. Wie oft schon ist es gelungen, einen politischen Dissens mit einem gemeinsamen Mahl zu beruhigen? Bei Staatsbanketten gehört es zu den Aufgaben der Kochkunst, von Kontroversen abzulenken. Weil sich jeder Gast an den gleichen Köstlichkeiten delektiert, entsteht ein gemeinsamer Geist, der von einem wohligen Bauchgefühl grundiert ist und in eine allgemeine Trägheit mündet, die Auseinandersetzungen scheut. Dass dieses Konzept der Beschwichtigung durch Speisen immer wieder aufgeht, zeigen zahllose Beispiele. Ein unpolitischer Ort des Friedens und der Verständigung ist die Küche trotzdem nicht. Denn auch um den Herd bilden sich widerstreitende Lager und prägen sich eigene Ideologien; und die Auseinandersetzungen um Zutaten und Zubereitungen werden den Zwistigkeiten der politischen Welt immer ähnlicher.

Die Teilung der Parteien in links und rechts geht auf die Anfänge der Historie zurück: Immer schon gab es Gruppen, die vorwärtspreschten, Änderungen anstießen und die geradezu zwangsläufig auch Gegenkräfte der Bewahrung auf den Plan riefen. Revolutionäre und Reaktionäre: Dieser Gegensatz zieht sich durch die Geschichte. Popularen und Optimaten in der römischen Republik, Protestanten und Jesuiten während der Reformation, Whigs und Tories im britischen Parlament – überall findet man Beispiele dieser Dualität. Auch wenn es ums Essen geht.

In deutschen Küchen folgte die Linke traditionell einem einfachen Rezept. Man solidarisierte sich mit den Massen und verurteilte jede Veredelung als unmoralisch, da sie den Kohldampf der Armen verhöhne. Simple Gerichte der Volksküche, wie sie in Kantinen mit der Schöpfkelle ausgeteilt wurden, waren das Ideal der Parteiführer. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums hingegen pflegte man eine andere Tradition: Keiner schämte sich, gesellschaftliche Unterschiede auch beim Dinner zu demonstrieren. Wertanhäufungen wie Tournedos Rossini, von gebratener Gänsestopfleber gekrönte Rinderfilets mit gehobelten schwarzen Trüffeln, wurden als Ausweis der bewährten Gesellschaftsordnung angesehen, den man mit Stolz von der Platte putzte.

Diese Verhältnisse schienen für immer zementiert. Doch wer die Situation heute betrachtet, trifft auf Linke, denen das Vokabular der Nouvelle Cuisine genauso leicht über die Lippen kommt wie das von Marx und Marcuse, und auf der anderen Seite auf Rechte, die mit den Verfeinerungen der Hochgastronomie nichts anfangen können. Offensichtlich ist man einander nähergekommen. Mehr noch: Es hat ein Rollentausch stattgefunden, der sich aus einer Zeitenwende in den siebziger Jahren erklärt. Damals hatte der Club of Rome Grenzen eines Wachstums definiert, auf das die Fortschrittspartei stets gesetzt hatte.

Daraufhin wandelte sich die Linke zu einer Bewegung für die Sorge um die Natur und für den Schutz der Ressourcen, während die Rechte, die bis dahin die Ökologie verwaltet hatte, das Atom und die Maschinen als Instrumente der Geschichte schätzen lernte. Auf diese Weise kamen die Konservativen den Werktätigen und deren einfachen Speisen nahe; und die Linke entdeckte Gaumenfreuden, die sie bisher verschmäht hatte. Möglich wurden diese Genüsse auch, weil der lange Marsch durch die Institutionen die Akteure mit einem Beamtensold ausgestattet hatte, der edle Weine und teure Zutaten ermöglichte. So konnte es geschehen, dass vormals strikt getrennte politische Lager sich in den gleichen Restaurants begegneten.

Das gemeinsame Speisen ändert aber nichts an den grundsätzlichen Differenzen der politischen Gegner. Es eröffnet vielmehr ein neues Themenfeld. Ideologische Standpunkte lassen sich inzwischen an Zubereitungsdetails ablesen. Dass Linke ihre Soßen mit Sahne verlängern, Rechte dagegen Fonds verwenden, ist schon eine ältere und inzwischen überkommene Beobachtung. Heute entspinnen sich Dispute aus Garmethoden, vegetarischen Gerichten oder Küchentechnik aus dem Labor. Doch auch bis aufs Messer ausgetragene Streitigkeiten machen Pause, sobald das Essen auf den Tisch kommt – selbst wenn es sich um Geschnetzeltes von der Friedenstaube handelte.

Julius Grützke und Thomas Platt sind Autoren und Gastronomiekritiker.
Beide leben in Berlin

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