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Lehren aus Pegida - Unsere Demokratie steckt in den Kinderschuhen

Kisslers Konter: In Frankfurt lieferten sich einige Anti-Pegida-Demonstranten ein Scharmützel mit der Polizei. Nach der Spaltung und dem vorhersehbaren Ende der Dresdner Pegida bleibt eine Frage offen: Ist unsere Gesellschaft reif genug, Meinungen, wie schrill auch immer sie sein mögen, zu akzeptieren?

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es waren klare Verhältnisse gestern Abend. Fast überall, wo „Pegida“ demonstrierte, trafen die sich patriotisch nennenden Islam- und Medienkritiker auf eine Übermacht von Gegendemonstranten. In Duisburg lautete das Verhältnis 130:300, in Kassel 200:250, in Wien 250:4000, in Magdeburg 750:2000, in München dank breiter Beteiligung der Kirchen und Religionsgemeinschaften gar 350:15000 – sofern die Zahlen stimmen. Dass mehr Menschen für als gegen Weltoffenheit sich einsetzen, ist ein gutes Zeichen. Aus der Reihe schert das thüringische Suhl, wo mit 700:350 Teilnehmer der örtliche Pegida-Ableger die Oberhand behielt.

Bruch des Demonstrationsrechts im Namen der Toleranz
 

Und was war los in Frankfurt am Main? Dort gab sich die Polizei erst rat-, dann hilflos. Lag es daran, dass die Relation sich mit 85:1200 besonders deutlich ins Lager der Anti-Pegidisten verschoben hatte? Um 20 Uhr 30 twitterte die Stadtpolizei souverän: „Polizei ist für alle da. Wir schützen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aller. Das ist unser Auftrag.“ Wenig später mussten die Ordnungshüter erfahren, dass Teile der riesigen Mehrheit dieses Recht der winzigen Minderheit nicht zugestanden. Das Demonstrationsrecht sollte im Namen eines bunten Frankfurts gebrochen werden. „Fragida“ schien vogelfrei.

Erst flogen „Glasflaschen in Richtung Fragida. Wir fordern auf, damit aufzuhören!!“. Dann wurden „Teilnehmer der Fragida … angespuckt“ und daraufhin von der Polizei geschützt, wofür „unsere Kollegen vor Ort als ‚Nazipolizisten‘ beschimpft“ wurden. Dann flogen „Eier auf die Demonstranten“ von Fragida, „wir fordern nochmals auf, das Werfen von Gegenständen zu unterlassen!“ Die Lage eskalierte, als „Pyrotechnik auf Fragida-Teilnehmer“ geworfen wurde; das sei „brandgefährlich!!! AN ALLE, DIE SO ETWAS VERHINDERN KÖNNEN, SPRECHT EUREN NACHBARN AN!!!!“ Die Großschreibung wie auch die sieben Ausrufezeichen im Tweet von 21 Uhr 34 deuten auf eine Kapitulation. Die Polizei appelliert an Gesetzesbrecher, die im Schutz einer wogenden und gesinnungssicheren Mehrheit ihre Lust am Radau austoben. Linker Mob wollte sein Mütchen kühlen.

Am Ende wurden mehrere Personen wegen Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen. Es war noch einmal glimpflich abgegangen. Dennoch wird nach der Spaltung und dem vorhersehbaren Ende der Dresdner Ur-Pegida diese Frage uns weiter beschäftigen müssen: Ist unsere Gesellschaft, die sich gerne ihrer Toleranz rühmt, reif genug, minoritäre Meinungen, wie schrill auch immer sie vorgetragen sein mögen, zu akzeptieren? Ist es nicht ein Zeichen kolossaler Unreife, wenn Störer des Demonstrationsrechts bejubelt werden, weil sie den Boden der Öffentlichkeit von einer „falschen“ Weltanschauung gereinigt haben?

Niederlage der Demokratie
 

Es bleibt eine Niederlage der Demokratie, wenn Demokraten, die von ihrem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch machen, zurückgedrängt und drangsaliert werden. Es ist beschämend, wenn, wie unlängst in München oder Berlin geschehen, der Abbruch einer friedlichen Demonstration als demokratischer Erfolg beklatscht wird, wenn Kundgebungen angesichts einer mitunter gewaltbereiten „Übermacht“ abgebrochen und Teilnehmer „eingekesselt“ werden, wenn Routen verkürzt werden müssen. Radikal ungenehme wie unangenehme, selbst falsche Auffassungen haben exakt dasselbe Recht auf öffentliche Präsenz wie ihr Gegenteil.

Jeder Hass trägt ein Gesicht, jeder Böller hat einen Absender, jeder Schlag einen Adressaten. Ob Rechte oder Linke die Freiheitsrechte der jeweiligen Gegenseite einschränken, ist einerlei und immer falsch. „National befreite Zonen“, Übergriffe auf Zuwanderer, Schmierereien an Moscheen darf es ebenso wenig geben wie Angriffe auf die Polizei. Die Mitte gewinnt nur dann an Kraft, wenn die Argumente der Ränder friedlich gehört werden dürfen. Pegida und die Linkspartei, AfD und Islam gehören inzwischen auch zu Deutschland. Unsere Demokratie aber steckt hie und da noch in den Kinderschuhen.

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