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(picture alliance) Nudeln mit Sauce war gestern – wie wäre es mit Paella und Matjes?

Küchenunion - Ein gemeinsames Rezept für den Euro

Wo bleibt die Küchenunion? Jedes Imperium braucht eine Leibspeise, die für ein gemeinsames Lebensgefühl steht. Rom hatte sein Garum, Österreich-Ungarn den Kaiserschmarrn. Wer den Euro retten will, sollte sich auf ein gemeinsames Rezept verständigen können

Jedes Imperium hat seine Leibspeisen. Nur mit einem gemeinsamen Lebensgefühl, das sich auch in der Küche ausprägt, lässt sich die Arbeitsteilung eines Großreichs rechtfertigen. Das Römische Reich hat nicht nur mit Arenen und Thermen noch in den abgelegensten Siedlungen den Lifestyle der Hauptstadt verbreitet, sondern auch an Herd und Tafel einen lateinischen Geschmack durchgesetzt. Garum, eine fermentierte Fischsauce, salzte und würzte die Speisen zwischen Cornwall und Tigris und stiftete eine kulinarische Identität, die aus Barbaren Bürgersleute machte. Mit dem Zerfall des Imperiums verschwand das durchdringende Gewürz von der Speisekarte, und der Zusammenhalt ging auch in der Küche verloren. Etwas Ähnliches wie Garum entdeckten Europäer erst tausend Jahre später in Südostasien wieder, wo die Fischsauce noch heute Verwendung findet.

Die Europäische Union als Nachfolger des Römischen Reiches kann nicht mit einer verbindenden Gemeinsamkeit in der Küche aufwarten. Aber vielleicht ist das auch zunächst einmal gar nicht gewollt. Die Gemeinschaft hat keine starke Hauptstadt, von der aus eine Elite einen führenden Stil etablieren und propagieren könnte. Brüssel vereint zwar viele Sternerestaurants auf engem Raum, aber eine Signalwirkung geht von diesen Lokalen nicht aus. Die letzten Küchenrevolutionen wurden eher am Rand der Union angezettelt, in Katalonien und Kopenhagen. Die Küche der Europäischen Gemeinschaft fußt weiterhin auf regionalen und nationalen Überlieferungen, die auf ihre Unterschiedlichkeiten bedacht sind. Um Ursprungsbezeichnungen und Originalrezepturen werden erbitterte Kämpfe geführt. Eine gemeinsame europäische Küche liegt ferner denn je.

Wer allerdings glaubt, dass eine solche Zusammenführung von vornherein undenkbar und ohnehin nicht wünschenswert sei, sollte den Blick auf ein anderes, ebenfalls untergegangenes Imperium richten, das zumindest in Kochbüchern überlebt hat: die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie. Vom Gulasch bis zum Kaiserschmarrn hat sich da aus dem Besten der beteiligten Völker eine Melange ergeben, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Und kulinarische Konvergenz braucht noch nicht einmal ein absolutistisches Königshaus. Die vor allem in Kalifornien herausgebildete Fusionsküche des Pacific Rim etwa vereinte die Anrainer des Pazifik und definierte gleichsam ihren Wirtschaftsraum, lange bevor Handelsabkommen ihn kodifizieren konnten.

Auf dem alten Kontinent hingegen existieren die Speisetraditionen nebeneinander her und machen das gemeinsame europäische Haus zu einem Apartmentkomplex, in dem höchstens im Treppenaufgang die Abluft aus den Kochnischen einen Vorgeschmack auf zukünftige Gemeinsamkeiten erahnen lässt. Bis jetzt sind nicht einmal bilaterale Menüs in Sicht. Welches Restaurant würde auf das Konzept irisch-italienischer Küche setzen? Kein Gastronom käme auf die Idee, Zaziki mit Foie Gras zu servieren oder Paella mit Matjes. Die Verschmelzung der Traditionen und Rezepte ist offensichtlich kein Teil der Lebenswirklichkeit unserer Union. Waren und Ideen werden getauscht und gehandelt, aber nicht gemeinsam fortentwickelt. Auf ein gemeinsames Rezept verständigen kann man sich so nicht.

Womöglich fehlt es an einem Gründungsmythos, wie ihn zum Beispiel die amerikanische Küche mit Thanksgiving und seinem typischen Truthahn hat. Die fantasievolle Geschichte der ersten Siedler, die von den Ureinwohnern durch den Winter gebracht wurden und sich mit einem Festessen bedankten, erzählt von der Überwindung größter Not und gegenseitiger Hilfsbereitschaft. So etwas sollte doch auch bei uns möglich sein: Was wäre zum Beispiel, wenn in größter Krise, über einer Pizza in später Nacht, der Euro gerettet würde? Das Fest zur Erinnerung daran könnte dann in jedem Land begangen werden, mit einem je eigenen Belag auf dem Hefefladen der Gemeinsamkeit.

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