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Harun Farocki - Die Ästhetisierung des Krieges

Die kollektive Vorstellung von Krieg ist vor allem von medialen Bildern geprägt. Dies beschäftigt auch seit jeher den Filmemacher Harun Farocki, zuletzt in seiner Ausstellung „Ernste Spiele“ im Hamburger Bahnhof. Ein Gespräch über die Bedeutung von Computerbildern in der visuellen Kultur und die Rolle von Medien im Krieg

Autoreninfo

Philipp Rhensius ist Journalist und Soziologe. Er schreibt vor allem über soziologische und politische Themen sowie über Musik, Theater und die Politik des Alltags. Seine Texte erscheinen u.a. in der taz, SPEX und auf Spiegel Online.

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Ein Splitscreen. Links: eine Gruppe gelangweilter US-Marines, die auf Laptopbildschirme starren. Rechts: Ein gepanzerter Militärjeep, der über eine computeranimierte Wüstenlandschaft fährt. Unter den Kaugummi kauenden Soldaten entfaltet sich ein zähflüssiger Dialog: „There is a tank, bravo“. Plötzlich fallen Schüsse. „Watson ist hin“, entgegnet einer der Soldaten emotionslos. Die Mission ist gescheitert. Was zunächst wirkt wie eine LAN-Party in der Militärbasis, ist ein zentraler Teil der Ausbildung amerikanischer Soldaten zur Vorbereitung auf reale Kriegssituationen. „Watson ist hin“ ist eine von vier Videoinstallationen aus der Reihe „Ernste Spiele“.

CICERO ONLINE: Wo liegt die Grenze zwischen einem „Serious Game“ und einem konventionellen PC-Spiel?
Harun Farocki: Diese militärischen Animationen sind ja weit weniger fantastisch als ein Computerspiel. Deshalb habe ich die Reihe auch „Ernste Spiele“ genannt. Sie verarbeiten die geografischen Koordinaten Afghanistans und orientieren sich auch sonst an den realen physikalischen Begebenheiten. Wenn man zum Beispiel einen Schuss abgibt, wird die Reichweite der realen Waffe eingerechnet.

In den Filmen herrscht ein interessanter Kontrast zwischen der virtuellen Ernsthaftigkeit der Situation und ihrer realen Harmlosigkeit. Es geht um eine richtige Übungssituation, doch die Soldaten wirken lethargisch und gelangweilt…
Das stimmt, sie sind wenig aufgeregt, denn sie haben natürlich ständig Übungen am Computer. Wenn Watson aus dem Hinterhalt erschossen wird, lehnt er sich zurück und wirkt plötzlich wie jemand, der auf einem Kindergeburtstag bei einem Gesellschaftsspiel ausscheidet.

Warum zeigen sie die Filme eigentlich im Museum und nicht im Kino? Hat der Kunst-Kontext eine größere Reichweite?
Ich habe die Filme schon in Kinos, in sonstigen Vorführräumen oder sogar im Fernsehen gezeigt. Aber eine Installation wie im Hamburger Bahnhof ist manifester. Und sie entführt den Zuschauer hoffentlich aus dem Kunstraum.

Mediale Kriegsbilder bewegen sich oft an der Schwelle zur Ästhetisierung. Ein Effekt, auf den sie bereits in ihrem Film „Nicht löschbares Feuer“ von 1969 hinweisen, der die Verwendung chemischer Waffen im Vietnamkrieg kritisiert. Besteht nicht die Gefahr, diese Ästhetisierung auch selbst zu betreiben?
Ich versuche, dieser ja entgegen zu wirken, indem ich sie bewusst mache und indem ich sie deplatziere. Ich bin überzeugt davon, dass gerade das Museum ein Ort sein kann, der einen anderen Blick ermöglicht. Denn gerade dort kann diese Ästhetisierung bewusst gemacht werden.

Die Abbildungen der „Feinde“ in den Übungsspielen entsprechen oft sehr eindeutig ethnischen Stereotypen. Das erinnert an Kriegsfilme…
Seit dem Ende des Kalten Krieges stammen die Bösewichte in Filmen und Fernsehserien meistens aus dem Orient. Dadurch werden sie zum einzig vorstellbaren Feind. In den Übungsspielen gibt es nur sehr wenige Menschen-Typen. Es ist so wie in einem Kino-Sub-Genre, indem ja auch nur sehr wenige Typen vorkommen. In „Drei tot“ geht es zum Beispiel um eine Übung mit Statisten, die orientalisch gewandet sind. Und da kommt es für die US-Soldaten darauf an, Freund von Feind unterscheiden zu lernen.

Die Grafik der Übungsspiele wirkt sehr abstrakt und distanzierend. Das erinnert auch an die Bildschirme, die zur Steuerung von Drohnen dienen. Ist Ihre Ausstellung auch als Kritik an dem von den USA geführten Drohnenkrieg zu verstehen?
Die Übungs- oder Manöverspiele distanzieren sogar noch stärker als etwa eine Generalstabskarte, weil sie dreidimensional und nah an der fotografischen Abbildung sind. Aber es gibt einen zentralen Unterschied, denn die Soldaten üben für den Einsatz in Afghanistan. Der Drohnenkrieg wird jedoch von außerhalb des Einsatzgebietes geführt, oft von einem Gefechtsstand in den USA aus. Da ist die Drohne eine Distanzwaffe neuer Qualität.

Welche Rolle haben Medien heute im Krieg?
Ein zentraler Gesichtspunkt ist, dass Kriegsführung und Kriegsberichterstattung immer näher zusammen rücken. Dies ist auch in vielen Computerspielen, also auch in den nicht-ernsten der Fall. Dort ist das Sichtfeld auch immer gleichzeitig Schussfeld.  

Könnten Sie das näher erläutern?
Im Golfkrieg von 1991 waren im Fernsehen erstmals Bilder aus der Perspektive der Geschosse zu sehen, die auf ihr Ziel zuflogen. Bei den Unterhaltungsvideospielen wird auch oft ein Standpunkt eingenommen, bei dem das Sichtfeld dem Schussfeld entspricht.

Wie hat sich diese Rolle seit ihrem Film „Nicht löschbares Feuer“ verändert?
Im Vietnam-Krieg kontrollierte das Militär die Bilder noch nicht so stark wie heute. Rückblickend kommt einem die damalige Medien-Industrie unbedeutend vor.

Inwiefern?
Die Zahl der Fernsehprogramme hat sich seither verhundertfacht. Die Presseabteilungen des Militärs sind sich der Medienwirkung ganz anders bewusst als zu Zeiten des Vietnam-Kriegs. Heute würden die Presseabteilungen das Abbrennen von Dörfern womöglich nicht filmen lassen. Andererseits führt die technische Entwicklung dazu, dass die Berichterstattung immer schwerer zu kontrollieren ist. Es gibt heute eine Gegenöffentlichkeit, die etwa den Drohnenkrieg in Pakistan untersucht und dokumentiert. Das geschieht mit Hilfe von Satelliten-Bildern und ohne Anwesenheit im Kriegsgebiet.

Der Film „Immersion“ zeigt einen Kriegsveteranen, der eine Virtual Reality-Brille trägt und von einem traumatischen Kriegserlebnis erzählt. Dies ist eine neue softwareunterstützte Therapieform, die posttraumatische Belastungsstörungen behandeln soll. Kann eine solche Konfrontationstherapie erfolgreich sein?
Es gibt wissenschaftliche Zeitschriften, in denen diese Therapie bewertet wird, aber ich möchte mir kein Urteil anmaßen. Im US-Kino hat es das ja oft gegeben, dass die Szene, die ein Trauma ausgelöst hat, ins Bild gesetzt wird - mehrfach etwa bei Hitchcock. Diese Erzählungen berufen sich auf Freud. Die Therapie in „Immersion“ basiert hingegen auf dem Ansatz der De-Konditionierung von Pawlow (Anm. d. Red.: Iwan Petrowitsch Pawlow war einer der wegweisendsten Verhaltensforscher des 20. Jahrhunderts). Der Soldat soll lernen, dass das Sprechen über ein schlimmes Ereignis nicht weh tut. Es soll helfen, die Macht der Repräsentation zu brechen. Interessant ist, dass damit dem Illusionsmedium selbst aufgetragen wird, die Macht der Illusion zu brechen.

Unsere kollektive Vorstellung von Krieg ist seit jeher von Fernsehbildern und Fotos geprägt. Welche Veränderungen haben Ihrer Ansicht nach PC-Spiele herbeigeführt, deren Grafik immer realistischer wird?
Das ist genau meine Fragestellung. Warum sind die Computer-Animationen dabei, den fotografischen Bildern den Rang abzulaufen? Weil sie den technischen Fortschritt, die technische Macht verkörpern? Oder weil mit ihnen die Ideal-Typisierung leichter fällt? 

Harun Farocki ist einer der wichtigsten deutschen Filmemacher. Sein Werk aus über 100 Filmen und Videoinstallationen wird sowohl im Kino als auch in Museen gezeigt. Seit rund 40 Jahren hinterfragt er in seinen Arbeiten vor allem die gesellschaftlichen Folgen der medialen Bildrezeption.

Die Ausstellung „Ernste Spiele" ist noch bis zum 13.07.2014 im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin zu sehen.

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