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„Forbes“-Liste - Nur Putin steht noch über Merkel

Angela Merkel ist die mächtigste Frau der Welt – zumindest nach der aktuellen Rangliste des Magazins „Forbes“. Dann sollte sie aber auch ihre Macht nutzen, um Europa voranzubringen. Statt durch Alleingänge die radikalen Kräfte innerhalb der EU zu stärken

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Angela Merkel ist jetzt laut Wirtschaftsmagazin Forbes die zweiteinflussreichste Persönlichkeit der Welt. Noch vor Obama, nur einen Platz hinter Putin! Wie heißt es immer so schön: Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich. Als Bewohner des von der angeblich zweiteinflussreichsten Weltpersönlichkeit regierten Landes wundert man sich sogar gleich doppelt. Oder meint Forbes vielleicht eine ganz andere Angela Merkel als jene, die immer wieder beteuert, nicht einmal die eigenen Staatsgrenzen schützen und kontrollieren zu können? Eine andere als jene, die auch sonst eher dem Prinzip nachsorgender Erklärungsansätze folgt?

Papa Francesco und Mama Merkel
 

Aber wahrscheinlich haben die Kollegen des New Yorker Hefts diesmal besonders auf die „Soft power“ geachtet – also auf jene Form von Machtausübung, die sich weniger aus militärischer und daraus abgeleiteter politischer Potenz speist. Sondern vielmehr aus den Möglichkeiten geistig-moralischer Einflussnahme. Immerhin ist ja auch der Papst auf Platz vier gelandet. Was das Familienbild eigentlich ganz hübsch abrundet: Papa Francesco und Mama Merkel, über den beiden der verlorene und unartig gewordene Sohn Wladimir Putin, und zwischen ihnen Barack Obama als eine Art weltpolitischer Opa, der seine letzten Tage im Austraghäusel verbringt. The world according to Forbes: Das hat schon eine kabarettistische Note.

Wahrscheinlich ist die deutsche Bundeskanzlerin die erste, die über diese doch etwas seltsam anmutenden Macht-Charts schmunzeln kann. Immerhin weiß sie ja am allerbesten, wo ihre Einflusssphäre endet: Manchmal und immer öfter ist das schon in ihrer Schwesterpartei CSU der Fall. Geradezu täglich bei unbotmäßigen Staats- und Regierungschefs diverser europäischer Länder, die den flüchtlingspolitischen Eingebungen der Vize-Einflussreichsten einfach nicht folgen mögen. Und ganz sicher bei einem, der es auf der Forbes-Liste nicht einmal unter die ersten 73 Plätze gebracht hat. Nämlich dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, inzwischen ein zum Zwecke der Eindämmung von Massenmigration auch von Merkel gern hofierter Potentat.

Merkel als Rückgrat der Europäischen Union
 

Forbes bezeichnet die Kanzlerin als Rückgrat der Europäischen Union, die in der Schulden- und in der Flüchtlingskrise den Takt vorgegeben habe. Womöglich stehen die New Yorker Listenmacher ja auf dem Presseverteiler des CDU-Generalsekretärs Peter Tauber. Aber es könnte ein Fehler sein, dessen Mitteilungen wie Kabelberichte aus der europäischen Wirklichkeit zu behandeln. Dem Vernehmen nach besteht die eigentliche Neuigkeit vom Alten Kontinent nämlich darin, dass die Europäische Union seit einiger Zeit überhaupt kein Rückgrat mehr hat. Sondern nur noch viele Nervenstränge, die sehr unterschiedliche Signale ans Brüsseler Großhirn senden. Das führt dann zu konvulsiven Zuckungen, die außerhalb der EU unverschämter Weise als Ausdruck von Hilflosigkeit wahrgenommen werden. Aber immerhin schön, dass man in den Vereinigten Staaten noch an eine europäische Machtperspektive glaubt, die nicht zuletzt unter tatkräftiger Mithilfe im Berliner Kanzleramt weitgehend verspielt wurde.

Wenn Angela Merkel tatsächlich über so viel Einfluss verfügte, wie es ihr bei Forbes unterstellt wird, dann wäre es jedenfalls an der Zeit, dass sie davon auch Gebrauch macht. Dass sie Europa nach vorn bringt, anstatt durch ihre derzeitigen Alleingänge die radikalen Kräfte innerhalb der EU zu stärken und das europäische Gemeinschaftsprojekt so an die Grenzen der Belastbarkeit zu führen. Sie könnte es sich mit ihrer Machtfülle auch leisten, die Interessen Deutschlands endlich klar und deutlich zu definieren und gleichzeitig aufzeigen, wie der Wohlstand in der Bundesrepublik aufrecht erhalten und vielleicht sogar vermehrt werden kann. Sie könnte auch dem verunsicherten Mittelstand eine Perspektive vermitteln, anstatt hohle Phrasen in die Welt zu setzen. Ja, es gäbe viel zu tun für die zweitmächtigste Frau der Welt. Wenn es denn in ihrer Macht stünde und ihren Neigungen entspräche.

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