lesen, hören, sehen: favoriten - Eine Moschee in München

Nur zufällig geriet der Pulitzerpreisträger Ian Johnson auf die Spur von Münchner Islamisten. Deren Geschichte aber ist atemberaubend: Sie zeigt, dass der Westen den Islam, den er heute fürchtet, selbst mit erschaffen hat von Ronald Düker

Ziemlich genau ein Jahrzehnt liegen die Anschläge vom 11. September nun zurück. Wie lange sie sich vorbereitet haben, ist aber auch im Gedenkjahr noch nicht geklärt. Man weiß zwar, dass Osama bin Laden einmal ein Bündnisgenosse der Amerikaner war, die ihn in den achtziger Jahren als Mitstreiter gegen die Sowjetunion finanzierten. Über diese Allianz in Afghanistan reicht der Horizont historischer Erklärungen aber nur selten hinaus. Deshalb sticht unter allen nun im 9/11-Gedenkjahr erscheinenden Büchern dieses hier besonders hervor: Ian Johnsons «Die vierte Moschee» greift viel weiter zurück und ist für deutsche Leser besonders aufregend. Es macht nämlich plausibel, warum sich die Attentäter des 11. September ausgerechnet hierzulande auf ihre Taten vorbereitet haben.

 

Begonnen, so erinnert sich Johnson, hatte alles im Winter 2003, als er in London einen Buchladen mit radikal-islamischer Literatur durchstöberte. Hier stieß er auf eine sonderbare Weltkarte. Der prozentuale Anteil der muslimischen Bevölkerung einzelner Nationen war farblich gekennzeichnet. Den Rand der Karte schmückten die Bilder von vier offenbar besonders bedeutenden Gebetshäusern. Abgebildet waren die Große Moschee von Mekka, der Jerusalemer Felsendom, die blaue Moschee in Istanbul – und die Freimann-Moschee, Sitz des Islamischen Zentrums München. Dies irritierte den Pulitzerpreisträger. Wie konnte es sein, fragte sich Johnson, dass ausgerechnet dieser Moschee, die nicht einmal die größte in Deutschland oder gar in Europa ist, eine derart prominente Stellung eingeräumt wurde? Ein knappes Jahr später begegnet ihm die sonderbare Karte ein zweites Mal: Sie hängt über dem Schreibtisch von Scheich Mohammed Mahdi Akef, dem damaligen Führer der ägyptischen Muslimbruderschaft, dem Johnson in dessen Kairoer Büro gegenübersitzt. Wie sich herausstellt, hat auch Mahdi Akef eine besondere Beziehung zu München: Mitte der achtziger Jahre wirkte er dort als Oberimam und spirituelles Oberhaupt des «Islamischen Zentrums».

Dass der Autor über London und München nach Kairo geriet, entspricht dem Bogen seiner Darstellung. Dieses Buch handelt vom Aufstieg des islamischen Fundamentalismus in Europa, dreht sich um die unscheinbare Münchner Moschee, die Johnson als «Epizentrum» der expansiven Bewegung begreift, und setzt früh an: in den Schützengräben des Zweiten Weltkriegs.


Braune Seilschaften

Adolf Hitler hatte 1942 eine folgenschwere Devise ausgegeben: «Für sicher halte ich nur die Mohammedaner.» Tatsächlich hatte der Russlandfeldzug gezeigt, dass sich die muslimischen Soldaten der sowjetischen Armee kaum mit ihren als Unterdrücker empfundenen Befehlshabern identifizierten und schnell zum Überlaufen bereit waren. Dies machten sich die Deutschen zunutze: Kasachen, Kirgisen, Turkmenen, Tschetschenen, Tataren, Geor­gier und Usbeken tauschten nach ihrer Gefangennahme sowjetische Uniformen gegen deutsche ein. Andere kamen freiwillig.

Vom Berliner Ostministerium aus wurde die Anwerbung solcher Soldaten gesteuert: Gerhard von Mende, ein deutsch-baltischer Turkologe, leitete dort die «Führungsgruppe III Fremde Völker». Dieser überzeugte Antisemit ist eine Schlüsselfigur in Johnsons Untersuchung. Von Mende scharte eine Gruppe muslimischer Emigranten um sich und nährte in ihnen die Hoffnung, nach dem Krieg zu Führern ihrer von den Deutschen befreiten Länder zu werden. Bis es so weit war, verbreiteten von Berlin aus organisierte Zeitungen wie «Der Heilige Krieg» oder das «Deutsch-Tatarische Nachrichtenblatt» vor Ort antisemitische und antikommunistische Propaganda. Sogenannte Nationalkomitees schienen die künftig unabhängigen Regierungen ernsthaft vorzubereiten, die dafür zuständigen Emigranten standen auf der Gehaltsliste des Ostministeriums. Ausführlich schildert Johnson die Bemühungen der Nationalsozialisten um ihre muslimischen Handlanger: Weil von Mende argwöhnte, dass die nationalistische Gesinnung der Emigranten oft deren religiösen Eifer übertraf, holte er den Rat des Großmufti von Jerusalem zur Ausbildung von Imamen in Deutschland ein, in Dresden veranstaltete ein deutscher Islamwissenschaftler «Mullah-Lehrgänge».

Man könnte vermuten, dass der verlorene Krieg diesem grotesken Treiben 1945 ein notwendiges Ende gesetzt hätte. Dass es dennoch weiterging, ist ein erschütterndes Beispiel für die gescheiterte Entnazifizierung der jungen Bundesrepublik. Zugleich zeugt diese Geschichte von der umstandslosen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA an der Schwelle zum Kalten Krieg. Das einmal in Deutschland etablierte Netzwerk der muslimischen Emigranten spielt darin eine zentrale Rolle: Eine Rückkehr in die stalinistische Sowjetunion hätten sie kaum überlebt. Stattdessen versammelten sich die meisten von ihnen in München, dem damals wichtigsten deutschen Anlaufpunkt der osteuropäischen Emigrantenszene.

Es dauerte nicht lange, bis auch von Mende wieder in Erscheinung trat. In den fünfziger Jahren eröffnete er in Düsseldorf einen eigenen Geheimdienst: Der «Forschungsdienst Osteuropa und Büro für heimatlose Ausländer» wurde von Bundeseinrichtungen wie dem Auswärtigen Amt und dem bayerischen Verfassungsschutz finanziert. Ohne den Schutz brauner Seilschaften wäre das nicht möglich gewesen. So konnte sich von Mende in Theodor Oberländer auf einen Nazi der ersten Stunde verlassen, der unter Adenauer als Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte diente. Derselbe Oberländer hatte schon 1923 an Hitlers gescheitertem Putschversuch im Hofbräuhaus teilgenommen und später ein aus kaukasischen Freiwilligen zusammengesetztes Wehrmachtsbataillon kommandiert. Überhaupt ließ das geschichts­vergessene Klima dieser Jahre den schauerlichsten Gestalten Luft. So ernannte das Bundesvertriebenen-Ministerium 1957 einen Usbeken namens Nurredin Namangani zum «Hauptimam der mohammedanischen Flüchtlinge» – Namangani war während des Krieges Oberimam des zur SS gehörenden «Osttürkischen Waffenverbandes» gewesen, der bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands durch besondere Brutalität aufgefallen war.

 


Die Szene wird international

Johnsons Liste solch dubioser Karrieren ist lang. Und beinahe alle entfalten sich in München, wo später die Freimann-Moschee gebaut werden sollte. Hier hatten auch die Amerikaner die Zentrale ihrer außenpolitischen Aktivitäten errichtet. Die CIA, so zeigt Johnson, kopierte das von den Nationalsozialisten entwickelte Vorgehen und unterstützte muslimische Emigranten als Waffe gegen die kommunistische Sowjetunion. Amcomlib (American Committee for Liberation from Bolshevism) hieß die zu diesem Zweck hier angesiedelte Abteilung des Dienstes. Zunächst hauptsächlich mit dem Betrieb eines antikommunistischen Radiosenders beschäftigt, der seine propagandistischen Botschaften nach Osteuropa sendete, spann die CIA ein immer engeres Netz aus Kalten Kriegern muslimischen Glaubens. Dwight D. Eisenhower hatte die Devise dazu selbst ausgegeben: «Ich plädiere immer dafür», so der amerikanische Präsident, «den Glauben an Gott im Widerstand gegen den atheistischen Kommunismus als unseren gemeinsamen Nenner zu betrachten.»

Bei der Lektüre dieses umfangreichen Buches fällt es schwer, den Überblick über die verschachtelten Vorgänge und schier zahllosen Akteure zu behalten. Amerikanische Agenten und deutsche Behörden ziehen mal am selben Strang und konkurrieren dann wieder erbittert um die Hoheit über die immer schwerer kontrollierbare Szene. Sie gruppiert sich stets um den erst 1973 verwirklichten Bau der Münchner Moschee. Während die Deutschen vor allem auf die aus Kriegstagen vertrauten Emigranten gesetzt hatten, beschloss die CIA, sich künftig «auf Programme zur Stärkung der Reformgruppen zu konzentrieren». Damit war vor allem die aus Ägypten stammende Muslimbruderschaft gemeint. Und hier kippt die Entwicklung: Während die Emigranten vor allem von der verlorenen Heimat im Kaukasus träumten, tauchten im Umfeld des 1958 gegründeten Moscheebauvereins nun Muslime mit ganz anderen Ideen auf.

Zum Beispiel der Ägypter Said Ramadan, der in Deutschland als Jurist promoviert wurde und in Mekka an der Gründung der Islamischen Weltliga teilnehmen sollte – noch heute eine der einflussreichsten muslimischen Nichtregierungs-Organisationen. Ramadan war zugleich ein wichtiger Funktionär der Muslimbruderschaft und Schwiegersohn ihres Gründers Hassan al-Banna. Die Emigranten verloren den Machtkampf mit den Neuankömmlingen; zu diesen gehörten arabische Studenten und amerikanische Konvertiten mit schillernden Biografien.

München, so Johnson, wurde zum «Brückenkopf, von dem aus die Bruderschaft die westliche Gesellschaft erobern wollte». Gerhard von Mendes Einfluss auf die Muslime war aber schon vor seinem Tod im Jahr 1963 geschwunden. Und auch die CIA zog sich allmählich zurück: Agenten, die zuvor in München stationiert waren, wurden nach Vietnam versetzt. Allmählich entglitt die Entwicklung ihren eigentlichen Initiatoren: Deutsche und Amerikaner wurden die Geister, die sie gerufen hatten, nicht mehr los. Johnson zeigt, wie man dem Islamismus in fahrlässiger Weise eine europäische Basis verschafft hatte, gegen die kaum noch anzukommen war.


Verbindungen zum Terror?

Bis heute leugnen die Gemeindemitglieder der Münchner Moschee ihre Verbindung zur Muslimbruderschaft nicht. Diese ist, das geht auch aus Johnsons Darstellung hervor, eine ideologische Autorität und keine terroristische Vereinigung. Die Frage, ob von den Münchner Muslimen dennoch eine zumindest mittelbare Gefahr ausgeht, entscheidet sich aber an ihren möglichen Verbindungen zum Terror. Hier erinnert Johnson an Mahmoud Abouhalima, der 1993 in den USA wegen Beihilfe zum Sprengstoff-Attentat auf das World Trade Center verurteilt wurde. Er sei zuvor Stammgast der Münchner Moschee gewesen und habe sich geistlichen Rat von deren Oberimam Ahmed el-Khalifa geholt. Auch Mamdouh Mahmud Salim, 1998 als Finanzchef von Al Qaida identifiziert und in der Nähe von München verhaftet, habe denselben Imam um Beistand gebeten. Eine weitere Spur führe über einen Hamburger Geschäftsmann zu Mohammed Atta, der am 11. September das erste Flugzeug ins World Trade Center steuerte. Trotz intensiver Überwachung durch den BND hat es in diesem Fall aber nie eine Anklage gegeben.

Wer wie Ian Johnson mehrere Jahre seines Lebens in die Recherche eines derart heiklen Themas investiert, wer zahllose Archive sichtet und nach Möglichkeit alle noch lebenden Protagonisten der Geschichte persönlich befragt, kann seinem Gegenstand gegenüber vielleicht nicht nüchtern bleiben. Daher sind die politischen Bewertungen dieses in historischer Hinsicht hochinteressanten Buches nicht vorbehaltlos zu lesen. Je aktueller die Bezüge, desto stärker tritt Johnsons Hauptanliegen aus teils raunenden Formulierungen hervor. Es gelte, so befindet der Autor, einen leichtfertigen Umgang mit Organisationen wie der Muslimbruderschaft zu vermeiden; in diesem Sinne befinde sich Barack Obama auf dem Holzweg, wenn er Islamisten neuerdings als Dialogpartner rehabilitiere. Dennoch: Kulturkämpfer können sich mit diesem Buch nicht munitionieren. Es zeigt vielmehr, dass nicht Religion das Problem unserer Zeit ist, sondern deren Instrumentalisierung durch die Politik. Der Westen hat den Islam, den er heute fürchtet, selbst mit erschaffen.

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