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(picture alliance) Der französische Garten als Ausdruck des Absolutismus?

Leibniz' Vision der Moderne - Der Garten des Philosophen

Wie Gottfried Wilhelm Leibniz in Hannover die Idee der Moderne inszenierte: Darüber schreibt Horst Bredekamp in seinem Buch „Leibniz und die Revolution der Gartenkunst“. Ein mögliches Bild der Moderne

Mit dem Herrenhäuser Garten ließ sich prunken, seine Größe und Pracht übertraf die des zugehörigen Schlossgebäudes bei Weitem. Während die Konkurrenten in Berlin ein Barockschloss bauten, wie es in Norddeutschland kein zweites gab, konzentrierten sich die Welfen auf die Gartengestaltung. Nachdem Herzog Ernst August 1692 die lange erstrebte Kurfürstenwürde erlangt hatte, wurde das Gelände nach Süden hin verdoppelt, 1710 umfasste die damals weitgehend vollendete Anlage mit 200 Hektar so viel Fläche wie die Stadt Hannover mit ihren rund zehntausend Einwohnern. Gottfried Wilhelm Leibniz plante Wasserspiele „so gut als zu Tivoli oder Frascati, ja Dinge so sie zu Versailles selbst nicht haben“.

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat die zum großen Teil unveröffentlichten Briefe und Zeichnungen aus der Planungszeit des Großen Gartens gemustert und erzählt in gedrängter Form die Geschichte des Gartens, vor allem der Projekte von Leibniz, die wie so vieles, was der atemberaubend vielseitige Gelehrte unternahm, zunächst scheiterten. Als die Probleme mit dem Wasserdruck gelöst waren und die Fontäne 1720 höher hinaufschoss als jede andere in Europa, war der Ideengeber, der dem ehrgeizigen Unternehmen vorgedacht und zahlreiche detaillierte Vorschläge ausgearbeitet hatte, schon vier Jahre tot. Seine Absicht, durch technische Spitzenleistungen dem Herrenhäuser Garten eine einzigartige Stellung unter den Gärten der Zeit zu sichern, wurde erreicht.

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Intellektuell aufregend ist dieses Buch, weil Bredekamp uns die Augen für Schönheit und Anspruch des barocken Gartens öffnet. Unser Vergnügen an den exakten Linien der Bosketten, an Wasserspielen, Heckentheatern und den allegorischen Dekorationen ist oft begriffslos. Eine Legende verschattet das Bild, eine Legende, die im 18. Jahrhundert entstand und allzu lange bereitwillig tradiert wurde. Sie verkoppelt Herrschaftsform und Garten, wobei der „französische Garten“ dem Absolutismus, der „englische“, sich scheinbar den schönen Unregelmäßigkeiten der Natur anbequemende, der Freiheit, dem bürgerlichen Zeitalter zugeordnet wird. In diesem dichotomen Geschichtsbild erscheinen die beschnittenen Bäume und Hecken der Willkür des Einen unterworfen, während die sanften Abwechslungen, geschlängelten Wege und unauffälligen Begrenzungen allein das freie Spiel der Einbildungskraft unterhalten sollen. Dass diese suggestive Gegenüberstellung den tatsächlichen Entwicklungen nicht entspricht, haben jüngere Forschungen gezeigt. Horst Bredekamp geht einen Schritt weiter. Er liest den Herrenhäuser Garten mit Leibniz und findet in ihm, was dem Barockgarten nie recht zugestanden wurde: „die Freiheit des Individuellen“.

Seite 2: Das Zerrbild des Barockgarten dekonstruieren

In seinen „Nouveaux Essais“ erzählt Leibniz, wie eine „hohe Fürstin von feiner Geistigkeit“ während eines Spaziergangs durch den Garten sagte, „sie glaube nicht, dass es zwei vollkommen gleiche Blätter gäbe“. Ein Edelmann, der sie widerlegen wollte, suchte, staunte, suchte weiter und fand doch stets Unterschiede zwischen zwei verschiedenen Blättern. Auf einem Kupferstich des Königsbusches und des Galeriegebäudes aus dem Jahr 1725 sind die Linien so gerade gezogen wie möglich. Wer mit Bredekamp genauer hinschaut, erkennt jedoch, dass die Formen der einzelnen Blätter sich nicht wiederholen. So sei die Bildsprache des Barock, laut Bredekamp, nicht allein auf „Symmetrie und Geometrie“ zurückzuführen: „Im Detail entfaltet sich vielmehr eine freie Variabilität, die um so stärker wird, je mehr sie durch gerade Linien begrenzt wird.“ Regel und „infinite Autonomie“ stehen einander also nicht unvereinbar gegenüber, sondern gehören zusammen, bedingen einander. Beider Zusammen- und Wechselspiel inszeniert der Große Garten in Herrenhausen.

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Als Philosoph hat Leibniz Begriffe der Gartenkunst zur Beschreibung der Natur genutzt, und Bredekamp nutzt nun Leibniz, um das Zerrbild vom Barockgarten zu dekonstruieren und zu zeigen, wie hier die „Dynamik alles Natürlichen“ erscheint. Dabei spielen kleinste Abweichungen – der Herrenhäuser Garten ist nicht rechtwinklig – ebenso eine Rolle wie eine scheinbar rasch hingeworfene Zeichnung auf der letzten Seite eines Briefkonzepts. Neben die Harmonie von Mikro- und Makrokosmos tritt mit der Neigung der Gartenwege „jene systematische Abweichung, ohne die keine Individualität zu denken war“. Die einzelnen Formen sind also nicht dem einen Willen unterworfen oder vom absoluten Herrscher gebändigt. Sie zeigen dank innerer Vielfalt und verschachtelter Entfaltung die unendlichen Möglichkeiten. Abschließende Überlegungen zur „Modernität des Barockgartens“ lösen diesen endgültig aus dem starren Geschichtsmodell. Wer die Anstrengung nicht scheut, entdeckt dank dieses klugen Buches den Großen Garten von Herrenhausen als ein mögliches Bild der Moderne.

Horst Bredekamp
Leibniz und die Revolution der Gartenkunst
Wagenbach, Berlin 2012.
176 S., 29,90 €

 

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