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Frau Fried fragt sich... - ... was aus den USA geworden ist

Kann man sich den Mythos Amerika bewahren? In einer Zeit, in der sich Ungleichheiten stetig verstärken, fällt das schwer. Amelie Fried über die Sehnsucht

Autoreninfo

Amelie Fried ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Für Cicero schreibt sie über Männer, Frauen und was das Leben sonst noch an Fragen aufwirft

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Nach dem Abi durchquerte ich einen Sommer lang die USA von Ost nach West. Ich war hingerissen von der Schönheit der Landschaft, der Freundlichkeit der Menschen und den 24 Stunden geöffneten Supermärkten. Amerika war groß und großartig und eine heftige transatlantische Lovestory (die ich mit vielen deutschen Landsleuten teilte) begann, sie dauerte mehr als drei Jahrzehnte. Inzwischen aber leide ich unter schwerem Liebeskummer.

Es geht schon bei der Ankunft los. Warum werde ich wie ein Schwerverbrecher behandelt, wenn ich als harmlose Touristin dort einreisen will? In ein Land, in dem dreimal so viele Tötungsdelikte geschehen wie in Deutschland, und die Chance, von einem wild gewordenen Waffennarren abgeknallt zu werden, 18-mal höher liegt als bei uns. In ein Land, in dem prozentual gesehen zehnmal so viele Menschen im Gefängnis sitzen wie bei uns, und wo in den meisten Bundesstaaten noch die Todesstrafe praktiziert wird. In ein Land, in dem nicht wenige (darunter der ehemalige Präsidentschaftsbewerber Mike Huckabee) nach dem Massaker von Sandy Hook erklärten, das sei die Vergeltung Gottes gewesen, und sich vehement gegen eine Verschärfung der Waffengesetze wehren.
 
In ein Land, in dem es in 21 Staaten erlaubt ist, Kinder in der Schule körperlich zu züchtigen (was als einer der Gründe für erhöhte Gewaltbereitschaft gilt), wo man in einem Biologiebuch der 10. Klasse den Satz „Und Gott schuf das Säugetier“ findet, und wo Eltern verhaftet werden können, wenn ihr dreijähriges Kind nackt im Garten spielt. Wo es mit die größten Einkommensunterschiede weltweit gibt, Steuererhöhungen für Reiche trotzdem als Sakrileg gelten, und die verfeindeten politischen Lager lieber den Staatsbankrott riskieren, als ihre ideologischen Fixierungen aufzugeben. Wo eine staatliche Krankenversicherung für kommunistisches Teufelswerk gehalten wird, und sich große Teile der Bevölkerung aus Armut oder Bequemlichkeit mit Fast Food systematisch ins Grab fressen. In ein Land, das sich noch immer für etwas Besonderes hält, obwohl es längst dabei ist, kaputt zu gehen an seiner Paranoia, seiner Bigotterie und seiner Selbstüberschätzung.
 
Bei uns in Europa ist wahrhaftig nicht alles toll, und in Deutschland schon gar nicht. Aber es kommt mir vor, als sei unsere Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion stärker ausgeprägt. Wir versuchen wenigstens, die größten Absurditäten zu vermeiden. In den USA scheint man sie nicht mal mehr zu bemerken. Was ist nur aus diesem großartigen Land, dem Land der Mutigen, dem Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten geworden? 
 
Ach, Amerika. Ich würde dich so gerne wieder lieben. Aber wie?
 

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