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Bank of England - „Bewerbungen bitte nur von Übermenschen“

Mark Carney ist der erste Ausländer an der Spitze der Bank of England. Schon jetzt gilt er als George Clooney der Geldpolitik. Die Anforderungen an ihn sind riesig

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Olaf Storbeck beobachtet für das Handelsblatt die neuesten Trends in den Wirtschaftswissenschaften. Er lebt und arbeitet in London.

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Mark Carney, der neue Gouverneur der Bank of England, ist ein Mann der Superlative. „Der herausragendste Zentralbanker seiner Generation“, schwärmt der britische Finanzminister George Osborne. Der erste Ausländer an der Spitze der 319 Jahre alten Institution, der am besten bezahlte öffentliche Angestellte des Vereinigten Königreichs, der am besten aussehende Notenbanker. Als „George Clooney der Geldpolitik“ bezeichnete ihn die Huffington Post gar.

Sein erster Arbeitstag begann gleich mit einer Sensation: Carney kam mit der Tube ins Buro, nicht mit Limousine und Fahrer. Seinem Vorgänger, dem für seine Arroganz berühmten Hochschullehrer Mervyn King, wäre das im Traum nicht eingefallen.

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Carneys U-Bahn-Fahrt zeigt, wie der neue Notenbank-Chef denkt: gnadenlos zielorientiert. Natürlich hat auch er Anspruch auf Dienstwagen und Chauffeur. Aber im Londoner Verkehrschaos ist die U-Bahn schlicht schneller. Genauso pragmatisch ist Carneys Geldpolitik. Der in Harvard und Oxford ausgebildete Volkswirt ist der Archetyp des unorthodoxen Okonomen. Ihn leiten Daten, nicht Dogmen.

Er plädiert seit Jahren für mehr Flexibilität in der Geldpolitik. In der Vergangenheit habe die strikte Regelbindung durchaus ihre Berechtigung gehabt - als die Zentralbanken noch Glaubwürdigkeit bei der Inflationsbekämpfung aufbauen mussten. Jetzt aber sei diese Reputation vorhanden, weswegen die Notenbanken ihren größeren Spielraum auch nutzen sollten.

Carney gilt als U-Bahn-fahrender Vordenker


Der 48-Jährige, der 13 Jahre fur die US-Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet hat, gilt als ein Vordenker moderner Geldpolitik. Er war der Pionier einer neuen geldpolitischen Kommunikationsstrategie, die heute als richtungsweisend gilt: der sogenannten „forward guidance“. Mit diesem „Blick in die Zukunft“ legen sich moderne Notenbanker schon heute darauf fest, was sie morgen tun werden.

„In normalen wirtschaftlichen Zeiten sollte man damit vorsichtig seing“, betont Carney. Wenn die Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt und die Leitzinsen bereits bei null angekommen sind, kann das Versprechen, die Zinsen lange niedrig zu halten, die Lage aber stabilisieren. Dass das in der Praxis funktioniert, hat Mark Carney als Chef der kanadischen Notenbank seit 2007 bewiesen. Die amerikanische Federal Reserve und neuerdings auch die EZB haben seine Strategie übernommen - und mit seinem Amtsantritt jetzt auch die Bank of England.

Auch vor noch radikaleren Reformideen hat Carney keine Scheu. Möglicherweise sei es sinnvoll, das Inflationsziel als Maßtab der Geldpolitik neu zu definieren und die Maßnahmen der Notenbank am Niveau der nominalen Wirtschaftsleistung auszurichten, das durch Wachstumsrate und Inflation bestimmt wird. Die Aufgaben, die Carney in London erwarten, sind gewaltig. Das Land hat sich noch
immer nicht von der Finanzkrise erholt: Das Wirtschaftswachstum ist chronisch schwach; die Inflation liegt deutlich über der Zielmarke von zwei Prozent, der Staatshaushalt ist tief in den roten Zahlen. Die Banken halten sich mit der Kreditvergabe zurück, die Exporte schwächeln, der private Verbrauch lahmt - und das, obwohl die Notenbank die Leitzinsen auf nahezu null gesenkt und zudem Staatsanleihen im Wert von 375 Milliarden Pfund gekauft hat. „Die Bank of England sucht einen neuen Gouverneur - Bewerbungen bitte nur von Übermenschen", spottete der Labour-Politiker Ed Balls bereits im vergangenen Jahr.

Wenn es einen perfekten Kandidaten gibt, dann ist es wohl tatsächlich Mark Carney. Kanada hat die tiefste Finanzkrise seit der Großen Depression ohne einen einzigen Banken-Zusammenbruch überstanden. Die Inflation ist im Griff, das Wirtschaftswachstum robust.

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In monatelangen Geheimverhandlungen bearbeitete der britische Finanzminister den zunächst unwilligen Carney. Osborne verdreifachte das Gehalt und kam Carney mit Blick auf die Amtszeit entgegen. Selbst die Opposition spendete Beifall, als Osborne die Personalie verkündete.

Geht es der kanadischen Wirtschaft wirklich so gut?


Aber es gibt auch skeptische Stimmen, die davor warnen, Mark Carney zu überschätzen. Für die Stabilität des kanadischen Bankensystems ist nicht allein die aktuelle Notenbankpolitik verantwortlich, zeigt eine Studie des US-Wirtschaftshistorikers Michael Bordo, sondern vor allem die Struktur des Finanzsystems, die auf jahrzehntealte Weichenstellungen zurückgehe.

Zudem mehren sich Zweifel, ob die kanadische Wirtschaft tatsächlich in so guter Verfassung ist. Zu Jahresbeginn stufte die Ratingagentur Moody’s sechs der wichtigsten Banken des Landes herab wegen der Risiken auf dem Immobilienmarkt und stark gestiegener Konsumentenverschuldung. „Es sieht zunehmend danach aus, als wäre es Carney nur gelungen, die Kreditblase in Kanada länger am Laufen zu halten“, kommentiert  das Finanzportal Market Watch.

Offen ist zudem, inwieweit die Probleme der britischen Wirtschaft überhaupt durch unkonventionelle Geldpolitik zu lösen sind. Mehr als 30 Prozent aller britischen Staatsanleihen befinden sich schon jetzt in ihrem Bestand – die Zins- und Kursgewinne daraus schüttet die Notenbank an die Regierung aus. Damit ist die Bank of England deutlich näher an der Finanzierung des Staatshaushalts über die
Notenpresse als die EZB. Mark Carney ist dennoch überzeugt: „Wir haben unser Pulver noch lange nicht verschossen.“

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