- So wurde im Norden gewählt
In unserer Serie „Deutschland, Deine Wahlkreise“ haben wir noch einmal die spannendsten Wettrennen um Stimmen und Direktmandate am gestrigen Wahlsonntag zusammengefasst. Lesen Sie im ersten Teil alles Wesentliche über den Norden der Republik.
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Der SSW mischt erstmals wieder mit
Flensburg – Schleswig
Hoch im Norden wachsen die Möglichkeiten. Hatte man andernorts nur die Wahl zwischen dem Immergleichen, so trat im Wahlkreis 1, der sich aus der Stadt Flensburg sowie dem Kreis Flensburg-Schleswig zusammensetzt, eine Partei an, die es so nur einmal und nur hier gibt: der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die Partei der dänischen Minderheit. Erstmals seit vielen Jahrzehnten hat der SSW wieder einen eigenen Kandidaten im Bundestag.
Mit Stefan Seidler, einem langjährigen politischen Berater und derzeitigem Dänemark-Koordinator der schleswig-holsteinischen Landesregierung bekommt die Bekenntnisminderheit im hohen Norden wieder eine eigene Stimme. Immerhin 50 000 Menschen rechnen sich in Schleswig-Holstein zu dieser Gruppe. In dem Wahlkreis mit seinen 226 833 Wahlberechtigten haben sich viele für Seidler ausgesprochen. Die Konkurrenz indes war groß: So ist Flensburg-Schleswig auch der Wahlkreis von Robert Habeck, der sich für das Direktmandat in seiner Heimat beworben hat und dieses am Ende auch mit 28,1 Prozent gewonnen hat. han
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 40,0; SPD 28,0; Grüne 10,5; Linke 7,1; FDP 6,5; AfD 6,2
Erststimmen 2021 in Prozent:
Grüne 28,1; CDU 23,4; SPD 21,8; SSW 7,3; FDP 6,9; AfD 5,5
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Direkt gewählter Abgeordnete:
Robert Habeck (Grüne)
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Wenig Raum links der Mitte
Nordfriesland –Dithmarschen Nord
Kaum eine Region verkörpert die Energiewende derart plastisch wie der nördlichste Wahlkreis Deutschlands mit seinen 200 Gemeinden und seinen fast 187 000 Wahlberechtigten. Denn auf Marsch und Geest sowie im vorgelagerten Wattenmeer stehen mehr Windräder als in Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Erneuerbare Energie ist hier seit Jahrzehnten bereits ein starker Wirtschaftsfaktor.
Traditionell bekommt die CDU mit ihrer derzeitigen Spitzenkandidatin Astrid Damerow die meisten Stimmen; diesmal waren es 30,4 Prozent.
Das mag mit der landwirtschaftlichen Prägung der Region zu tun haben, könnte aber auch daran liegen, dass an der Nordspitze das teuerste Dorf Deutschlands liegt. In Kampen auf Sylt zahlt man gerne mal zwischen 25 000 bis 35 000 Euro für den Quadratmeter. Für Träume links der Mitte ist hier nur wenig Raum.
Und dennoch dokumentiert vielleicht gerade das hier ansässige oberste Ende der sozialen Leiter, wie wichtig die Themen Wohnen und Mieten für alle Parteien im Wahlkampf waren. han
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 45,1; SPD 25,2; Grüne 9,4; FDP 8,1; AfD 5,9; Linke 5,2
Erststimmen 2021 in Prozent:
CDU 30,4; SPD 27,8; Grüne 14,3; FDP 9,7; SSW 6,5; AfD 5,7
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Direkt gewählte Abgeordnete:
Astrid Damerow (CDU)
15
Wer folgt auf Merkel?
Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald
Die AfD ist im Nordosten sehr stark. Ihr Landessprecher Leif-Erik Holm und der neue CDU-Kandidat Georg Günther konkurrierten um die Nachfolge im Wahlkreis, den Merkel seit 1990 gewonnen hat. Der 50-jährige Holm gilt als gemäßigter Vertreter seiner Partei. 2017 erreichte die AfD 18,6 Prozent, diesmal waren es 19,9 Prozent. Im Mai wurde der studierte Ökonom auf Listenplatz eins aufgestellt; die Wahl musste mehrfach wiederholt werden, weil mehr Stimmen abgegeben wurden, als Mitglieder anwesend waren.
Der Vorsitzende der Jungen Union Mecklenburg-Vorpommern, der 32-jährige Georg Günther, erhielt im Februar als einziger CDU-Bewerber um das Direktmandat 91 Prozent der Stimmen. Der Diplom-Finanzwirt wollte sich stark machen für Bürokratieabbau. Gewonnen indes hat am Ende die lachende Dritte: Anna Kassautzki von der SPD. pad
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 44,0; AfD 19,2; Linke 15,9; SPD 11,6; FDP 3,1; Grüne 3,0
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 24,3; CDU 20,4; AfD 19,9; Linke 13,7; Grüne 7,3; FDP 6,6
–
Direkt gewählte Abgeordnete:
Anna Kassautzki
16
SPD gegen Amthor
Mecklenburgische Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II
Philipp Amthor hatte den Wahlkreis 2017 gewonnen. Doch dann war der 28-Jährige 2020 wegen Lobbyarbeit unter Druck geraten, sodass er seine Kandidatur für den CDU-Landesvorsitz zurückzog. Im März nun wurde der studierte Rechtswissenschaftler jedoch abermals im Kreis nominiert, als einziger Kandidat. Auf der Seite des Deutschen Bundestags wurde er als „Shootingstar“ bejubelt, der „die Kunst der Rhetorik beherrscht und vielleicht das begabteste Politiktalent der CDU seit Jahren“ sei.
Doch im strukturschwachen Wahlkreis wurde es schwierig für ihn, jetzt, da sich Wähler nicht nur fragten, wie ein Abgeordneter Zeit haben kann für Nebentätigkeiten, sondern auch, wie er auch noch bestreiten konnte, dass er sich das hat vergolden lassen. Zu seinen Wahlkampfthemen hat er lange geschwiegen.
So hat am Ende Erik von Malottki von der SPD gegen Amthor gewonnen.
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 31,2; AfD 23,5; Linke 19,1; SPD 13,9; FDP 5,8; Grüne 2,5
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 24,8; AfD 24,3; CDU 20,7; Linke 10,8; FDP 7,4;
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Direkt gewählter Abgeordneter:
Erik von Malottki (SPD)
20
Elefantenrennen im Norden
Hamburg-Eimsbüttel
Hamburgs spannendster Wahlkreis lag nördlich der beschaulichen Binnenalster. Im wirtschaftlich starken Eimsbüttel, wo neben Beiersdorf und dem Versicherungsriesen Hanse-Merkur auch zahlreiche Medienunternehmen ihren Sitz haben, trat Hamburgs Spitzenriege gegeneinander an: Neben dem einstigen Juso-Vorsitzenden und heutigen Staatsminister im Auswärtigen Amt Niels Annen (SPD) zählte dazu der CDU-Umwelt- und Finanzexperte Rüdiger Kruse sowie Hamburgs ehemaliger Justizsenator Till Steffen von Bündnis 90/Die Grünen. Bei dieser Kombination war im bürgerlichen Eimsbüttel lange Zeit alles offen.
Während die Lokalpresse bereits von einem „Elefantenrennen“ sprach, bei dem der SPD-Linke Annen, der bereits dreimal das Direktmandat in Eimsbüttel für sich gewinnen konnte, die Nase leicht vorn hatte, ist Steffen am Ende seine Lokalprominenz zugutegekommen. Der Grüne gewann mit 29,9 Porzent knapp vor der SPD. han
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 31,6; CDU 28,7; Grüne 15,0; Linke 10,4; FDP 6,8; AfD 5,7
Erststimmen 2021 in Prozent:
Grüne 29,9; SPD 29,6; CDU 17,1; FDP 8,1; Linke 7,1
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Direkt gewählter Abgeordneter:
Till Steffen (Grüne)
32
Fest in der Hand der CDU
Wahlkreis Cloppenburg – Vechta
Dieser südwestlich von Bremen gelegene und stark ländlich geprägte Wahlkreis war schon immer eine absolute Hochburg der CDU. Im Jahr 1961 kam der Kandidat Kurt Schmücker sogar auf knapp 82 Prozent der Erststimmen. Und als vor vier Jahren erstmals die CDU-Frau Silvia Breher antrat, errang sie mit ihren 57,7 Prozent immer noch den Titel als bundesweite Erststimmen-Königin ihrer Partei. Breher, 48 Jahre alt, Juristin, vom Bauernhof stammend und äußerlich unverwechselbar durch ihre hellblonde Haartolle, war sich bei der bevorstehenden Wiederkandidatur ihrer Sache so sicher, dass sie von Anfang an auf einen Listenplatz verzichtet hatte – um anderen eine Chance zu geben.
Einem großen Publikum außerhalb ihrer Heimat ist die sympathische Katholikin zwar kaum bekannt. Aber als stellvertretende CDU-Vorsitzende und Mitglied in Laschets Zukunftsteam hat ihre Stimme innerhalb der Partei durchaus Gewicht. Die Sozialdemokraten schickten im Wahlkreis 32 den 36-jährigen Betriebswirt Alexander Bartz aus Vechta ins Rennen. mar
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 57,7; SPD 20,4; AfD 7,8; FDP 5,2; Grüne 4,3; Linke 4,1
Erststimmen 2021 in Prozent:
CDU 49; SPD 20,9; Grüne 10,5; FDP 8,8; AfD 7,8
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Direkt gewählte Abgeordnete:
Silvia Breher (CDU)
35
König Klingbeil
Wahlkreis Rotenburg I – Heidekreis
Der Heidekreis in Niedersachsen trägt seinen Namen nach der Lüneburger Heide, entsprechend ländlich geprägt ist diese zwischen Hamburg, Bremen und Hannover gelegene Gegend. Normalerweise müsste man denken, dass hier die CDU dominiert. Doch nichts dergleichen: Vor vier Jahren schlug SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil seine Herausforderin von der Union – und das auch noch ziemlich deutlich: Mit 41,2 Prozent der Erststimmen lag er sogar mehr als fünf Prozentpunkte vor Kathrin Rösel. Kein Wunder: Klingbeil ist in seiner Heimat gut vernetzt, er gilt als sympathischer Kümmerer und ist entsprechend beliebt.
Mit 100 Prozent der Stimmen machten ihn seine Genossen denn auch abermals zum Direktkandidaten. Sein Herausforderer von der CDU war diesmal der Polizeibeamte und Gewerkschafter Carsten Büttinghaus. Der aber war keine echte Gefahr für Klingbeil, der am Ende 47,6 Prozent der Stimmen holte. mar
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 41,2; CDU 36,1; AfD 8,2; Grüne 4,8; FDP 4,5; Linke 4,1
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 47,6; CDU 26,4; Grüne 8,1; AfD 7,4; FDP 7,9
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Direkt gewählter Abgeordneter:
Lars Klingbeil (SPD)
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Die Junge Union schickte ihren Chef
Wahlkreis Hannover-Land II
Der Wahlkreis Hannover-Land II grenzt von Süden, Osten und Westen an Niedersachsens Hauptstadt und wird seit 2005 im Bundestag vertreten durch Matthias Miersch. Der 52 Jahre alte Rechtsanwalt ist dort Sprecher der Parlamentarischen Linken innerhalb der SPD sowie stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ein gestandener Politiker, der auch über seinen Wahlkreis hinaus bekannt ist. Regelmäßig überrundete er die CDU-Kandidatin Maria Flachsbarth bei den Erststimmen, die seit 2002 über die Landesliste im Bundestag sitzt und seit 2018 Parlamentarische Staatssekretärin beim Entwicklungsminister ist.
Im Mai 2020 kündigte sie jedoch an, nicht mehr anzutreten; Flachsbarth hatte sich gewünscht, eine Frau möge ihr folgen. Doch es kam anders, die Delegierten nominierten mit 84 Prozent den Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, zum Direktkandidaten. Allzu große Beliebtheit genießt der 34 Jahre alte Jurist in seiner eigenen Partei nicht, vielen ist er zu polternd und konservativ. Doch über Kampfeslust verfügt er dafür umso mehr. Geholfen hat sie nicht. Am Ende gewann wieder der SPD-Mann Miersch. mar
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 37,0; CDU 35,2; AfD 9,4; Grüne 5,7; Linke 5,4; FDP 5,4
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 40,7; CDU 25,5; Grüne 12,4; AfD 7,5, FDP 6,6
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Direkt gewählter Abgeordneter:
Matthias Miersch (SPD)
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Kein Farbwechsel
Bremen I
Das kleinste Bundesland fällt auf – als Spitzenreiter bei den Corona-Impfungen. Ein Erfolg der rot-grün-roten Landesregierung? Bei der Bundestagswahl jedenfalls hätte das Direktmandat statt weiter an die SPD erstmals an die Grünen gehen können. Die 54-jährige Kirsten Kappert-Gonther zog 2017 mit einem Zweitstimmenergebnis von 11,1 Prozent in den Deutschen Bundestag ein. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist Obfrau der Grünen im Gesundheitsausschuss. Sie wolte sich für eine Frauenquote in den Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens einsetzen.
Sarah Ryglewski gewann 2017 für die SPD das Direktmandat. Die 38-Jährige ist seit 2015 Bundestagsabgeordnete und seit 2019 Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, Nachfolgerin von Christine Lambrecht. Ryglewski sitzt im Finanzausschuss. Sie gehörte zu den Politikern ihrer Fraktion, die die Schuldenbremse infrage stellten. Selbst jetzt im Zeitenwechsel von Corona sagte Ryglewski der taz: „Die Investitionen, die wir heute nicht treffen, sind die wahren Schulden, die den Menschen später auf die Füße fallen.“ pad
Erststimmen 2017 in Prozent:
SPD 30,0; CDU 24,2; Linke 12,2; Grüne 11,9; FDP 11,2; AfD 7,7
Erststimmen 2021 in Prozent:
SPD 30,2; Grüne 21,5; CDU 21,4; Linke 8,3; FDP 7,5; AfD 4,9
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Direkt gewählte Abgeordnete:
Sarah Ryglewski (SPD)
Dieser Text stammt aus dem Sonderheft zur Bundestagswahl des Cicero, das Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können. Er wurde nach der Bundestagswahl aktualisiert.
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Das klingt nach Annalena.
die natürlich den "deutschen Osten" zurückhaben wollen..
Kann man verstehen, dass er schnell noch gewechselt hat.