Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Die globale Menschheitsbedrohung Klimawandel findet in der digitalen Welt der Jung-Partei kaum statt

Parteien - Warum der Klimawandel an den Piraten vorbeigeht

Erstmals haben die Piraten die Grünen auf der Umfrageskala überholt. Ausgerechnet die jüngste Partei lässt die Zukunftsthemen Umwelt- und Klimaschutz nun altbacken aussehen. Für die Öko-Bewegung ein ernstes Problem – für Schwarz-Gelb ein willkommener Trend. Ein Kommentar

Vor einem Jahr hätte die Expertenwarnung noch für dicke Schlagzeilen gesorgt: Deutschland droht, seine Klimaziele zu verfehlen. Der Ausstoß gefährlicher Treibhausgase ist sogar wieder gestiegen. Vielleicht lag es an der Osterpause, dass dieser Alarmruf fast lautlos verhallte. Man würde es gern glauben. Plausibler ist jedoch eine andere Deutung: das Weltklima hat sich in den vergangenen zwölf Monaten keineswegs zum Positiven gewandelt. Im Gegenteil. Geändert hat sich das öffentliche Klima in Deutschland

Noch vor einem Jahr konnte das Land gar nicht grün genug schimmern. Eine wahre Öko-Welle schwappte durch Medien, Unternehmen, Politikerreden und PR-Kampagnen. Hunderttausende gingen nach der Katastrophe von Fukushima auf die Straße. Doch mit dem schwarz-gelben Atomausstiegsversprechen scheint nicht nur das griffigste Thema der Umweltbewegung in Abwicklung begriffen. Auch die grüne Welle scheint in den Mühen der Alltagspolitik zu versickern. Steigende Erderwärmung, stagnierende Energiewende, wachsende Schar von Klimaflüchtlingen – mittlerweile wieder Themen für Feinschmecker. Nichts für die breite Masse. Ressourcenknappheit, ökologisches Umdenken, Abschied vom Öl – schon reduziert sich die Debatte wieder auf die Stellen hinterm Komma an der Zapfsäule. Wir erleben zwar kein grünes Rollback, aber eine Trendverschiebung mit Potenzial zu anhaltender umweltpolitischer Konjunkturschwäche. 

[gallery:Die Piratenpartei. Ein Landgang auf Bewährung]

Am sichtbarsten bekommen das derzeit die Grünen zu spüren. Vor einem Jahr wurden sie fast schon in den Stand einer Volkspartei  geadelt. Nun kämpfen sie gegen sinkende Umfragewerte  und gegen einen irrlichternden Konkurrenten am Politikhimmel. Mit dem selbstbewussten Charme alles Jungen, Modernen machen die Piraten den Grünen die lang gepachtete Rolle des Trendsetters streitig. Das ist erfrischend. Konkurrenz belebt das Geschäft. Man muss das sportlich sehen. Nur bedeutet das nicht nur für die Grünen, sondern für die gesamte Umweltbewegung eine ernste Herausforderung.  

Denn die Piraten gelten mittlerweile als Kronzeugen dafür, wie junge Leute in Deutschland so ticken. Und wenn das Bild stimmt, das die Partei zeichnet, dann hat ausgerechnet diese junge Generation nahezu null Bock auf Öko. Stimmt so zwar nicht ganz – zum Glück. Die Piraten vertreten nur ein bestimmtes Spektrum der Wählerschaft 18 plus, aber derzeit erscheinen sie als deren coolste Repräsentanten.

Eigentlich, so bilanzierte eine Studie des Umweltbundesamtes im vergangenen Jahr, sind die unter 30-Jährigen gar keine Öko-Muffel. Ihre Sensibilität für Umweltprobleme ist sogar höher als die der Gesamtbevölkerung. Ihr ehrenamtliches Engagement in diesem Sektor ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Nur können viele nichts mehr mit den betulichen Mitarbeitsstrukturen der etablierten Umweltverbände anfangen. Sie wollen zeitlich begrenzte Projekte mit hoher Flexibilität, sie wollen sichtbare Aktionen und weniger ideologische Zeigefinger. Vor allem aber wollen sie das Internet. Und genau da werden die Piraten zu ökologischen Seeräubern.  

Lesen Sie im zweiten Teil, warum der Klimawandel in der digitalen Welt der Piraten keinen Platz hat

Nicht, dass die Piraten etwas gegen Umweltschutz hätten! Natürlich sind sie dafür – so wie alle heutzutage. Sie bekennen sich zur Nachhaltigkeit. Logo. Sie sind gegen Atomkraft. Zumindest mehrheitlich. Sie finden erneuerbare Energien prima und Massentierhaltung eklig. Nur finden sie das alles nicht so schrecklich wichtig. Auf ihrer Prioritätenliste rangiert Öko unter ferner liefen. Gerade mal 20 dürre Zeilen widmen die Bundespiraten dem Thema Umweltpolitik in ihrem Grundsatzprogramm. Immerhin. In dem Wahlprogramm, mit dem sie jüngst im Saarland 7,4 Prozent holten, tauchte das Wort Umweltschutz gar nicht erst auf. Auch andernorts steht das Thema Ökologie bei den Piraten ganz unten – halbherzig, pflichtgemäß, mit gebremstem Schaum. Die Piraten-Arbeitsgruppe Umwelt – Platz 96 unter 140 – verzeichnet bundesweit gerade mal 13 Mitglieder.

Die globale Menschheitsbedrohung Klimawandel findet in der digitalen Welt der Jung-Partei überhaupt nicht statt. Klimaschutz? Ein Fremdwort in ihren Programmen und Diskursen – so wie das Wort „Entwicklungshilfe“ oder „internationale Politik“. Parteienlandschaft paradox: gerade die Protagonisten der „Generation world wide web“ präsentieren sich als die am wenigsten global Denkenden. Das weltweite Internet schrumpft bei ihnen zum Provinz-Netz – sofern es überhaupt den Radius parteiinterner Querelen übersteigt.

Eine irritierende Perspektive: eine junge Generation, die via Internet und Interrail um den Globus kurvt, begnügt sich mit einer Politik rund um den eigenen Tellerrand. Junge Leute, deren Zukunft von der Zerstörung des Planeten bedroht ist, klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Tanzverbot am Karfreitag.

Das kann man belächeln. Und sympathisch schräg finden. Das kann man als Mut zur Lücke begreifen und als clevere Abgrenzung von anderen Parteien. Nur irgendwann ist Protest pur nicht nur sexy. Er wird zum Problem. Zum Problem für die Umweltpolitik in Deutschland.

Denn inzwischen sind die Piraten zum strategischen Machtfaktor geworden. Bei den anstehenden Landtagswahlen könnten sie die politischen Mehrheiten für eine ambitionierte Umweltpolitik verhindern. Und im Bund könnten sie 2013 zu Angela Merkels wichtigsten Wahlhelfern werden. Nicht willentlich. Gewiss. Aber dennoch ganz im Sinne der Kanzlerin. Denn Umweltschutz braucht permanenten Druck von unten. Und zumindest aus dem Kreis der Orangefarbenen tritt der Regierungschefin niemand auf die Füße, wenn sie die Energiewende vor die Wand fahren und internationale Klimaschutzverpflichtungen schleifen lässt. Im Gegenteil: sollte es den Piraten nachhaltig gelingen, die politische Deutungshoheit über eine junge Generation für sich zu reklamieren, dann wird dies das bequemste Alibi für ökologische Untätigkeit sein. Wenn diejenigen, die es am meisten angeht, keinen Druck machen – kann es um die Zukunft des Planeten nicht so schlecht bestellt sein. Die Kanzlerin sagt schon mal „Danke“!  

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.