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Wahlkampf im TV - Igitt, Politik!

Politik? Bloß nicht! Mehr als jeder Dritte Zuschauer schaltet weg, sobald es im Fernsehen um den Wahlkampf geht. Eine Umfrage im Auftrag von Cicero Online belegt ein erschreckendes Desinteresse für Politikthemen auf der Mattscheibe

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Politik soll bitteschön auch im Fernsehen stattfinden. Und zwar reichlich. Der Gesetzgeber hat die (politische) Information nicht umsonst als Auftrag an die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten formuliert. Zudem sollen die Landesmedienanstalten prüfen, dass auch bei den Privatsendern ein Mindestmaß an Inhalt gegeben ist.

Und die Sender sind stolz darauf. ARD-Programmdirektor Volker Herres bezeichnete seinen Sender einmal als „Motor für politische Diskussionen“. Pro Sieben brüstet sich mit seinem Raab-Polittalk „Absolute Mehrheit“. In den kommenden Monaten vor der Bundestagswahl wird die TV-Polit-Trommel erst so richtig gerührt.

Doch wer guckt sich das alles eigentlich an?

Eine repräsentative Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstitut YouGov (*) im Auftrag von Cicero Online kommt zu dem Ergebnis: sehr wenige. 39 Prozent der Fernsehzuschauer zappen weg, wenn es im Fernsehen um Politik geht, sie stimmen der Aussage, „bei Fernsehsendungen über die Parteien und den Wahlkampf schalte ich meistens um“, zu.

Nur jeder dritte Befragte bleibt auf Sendung, wenn es um Politik geht, und nur jeder zehnte Fernsehzuschauer bekundet in der Umfrage ein starkes politisches Interesse.

Ein ernüchterndes Ergebnis. Und das besonders auch vor den Zahlen, die der ARD-Trend zu Jahresbeginn veröffentlicht hat. Demnach holen sich 88 Prozent der Menschen ihre tagesaktuellen Information aus dem Fernsehen. Zeitungen erreichen 72 Prozent der Deutschen. In dieser Zahl sind auch – sicherlich völlig politikfreie – Online- und Mobilangebote versteckt.

Vor diesem Hintergrund ist es wohl kaum eine Unterstellung zu behaupten, dass nur noch eine überschaubare Informationselite regelmäßig Politik-Nachrichten und politische Informationssendungen im Fernsehen anschaut. Die „Wissenslücke“ zwischen oben und unten geht immer weiter auseinander.

Wenn Journalisten über ARD und ZDF reden, schreiben, senden – peinliche Eiswürfel-in-Boxershorts-Ausrutscher mit Markus Lanz mal außen vorgelassen – dann interessieren sie sich meist für folgende Fragen: Welche politische Talkshow sägt das Erste ab? Wie waren Jauchs Quoten? Sollte Stefan Raab wirklich das TV-Duell moderieren? Und wird das ZDF kurz vor der Wahl noch eine Last-Minute-Umfrage zulassen? Auch im Cicero Wahl Spezial tauchen die beiden Ex-Chefredakteure von ARD und ZDF im Polit-Kontext auf: Hartmann von der Tann und Nikolaus Brender schauen sich noch einmal gemeinsam die Elefantenrunde von 2005 an. Herrlich, amüsant, für Politfreaks.

Die Umfrageergebnisse aber rücken ganz andere Fragen in den Vordergrund: Wie viel politische Bildung sollte ein mündiger Bürger haben? Wenn mehr als zwei Drittel der Wähler sich nicht einmal mehr über das Fernsehen informieren, was heißt das dann für unsere Demokratie? Welchen Wert haben politische Meinungsäußerungen an der Wahlurne dann noch?  

Zwei Interpretationen bieten sich an. Entweder, die Leute gehen ohne Kenntnisse der politischen Inhalte in die Wahlkabine, setzen ihr Kreuz willkürlich. Oder die Wähler informieren sich über andere Kanäle. Interpersonale Kommunikation wäre dann das Stichwort – das Gespräch mit Freunden, Kollegen, Meinungsführern, die sozialen Netzwerke. Das würde bedeuten, dass das Fernsehen überschätzt wird – und sich selbst überschätzt. Dass es Inhalte sendet, die an den Menschen vorbeigehen, Inhalte, die zu nah an der Politik sind, zu elitär.

Vielleicht sollten sich die Politik-Berichterstatter einmal darüber den Kopf zerbrechen.

(*Repräsentative Onlinebefragung/ Stichprobe 1033 / Feldzeit 24. bis 27. Mai.)

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