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Christian Ude will mehr - Stadtfürst gegen Landesvater

In München steht der Sozialdemokrat Christian Ude weit über der CSU. Im Herbst tritt er gegen Ministerpräsident Horst Seehofer an

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Oswald, Georg M.

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Christian Ude ist ein Fürst. Streng genommen dürfte diese Bezeichnung für einen Sozialdemokraten kein Lob sein, aber es gibt ja gute und schlechte Fürsten. Und Christian Ude ist ein guter. Die Frage ist, wie weit sein Fürstentum reicht. Ob bis zur Münchener Stadtgrenze wie bisher oder bis zur Staatsgrenze von Bayern, wie es die Sozialdemokraten gern hätten, für die er als Spitzenkandidat gerade ins Jahr der Landtagswahl geht.

Seit unvordenklichen Zeiten ist Ude schon Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt München. Seine Vorgänger Georg Kronawitter und Erich Kiesl gehören ja bereits einer anderen politischen Epoche an. Wer Udes Wahlergebnisse mit jenen der Landtagswahlen vergleicht, kommt zwingend zu folgendem Ergebnis: Nicht wenige Menschen, die bei den Landtagswahlen CSU wählen, wählen auf kommunaler Ebene Ude. Das geht nur deshalb zusammen, weil Ude einige Eigenschaften besitzt, die auch vom nicht sozialdemokratischen Teil des Münchener Bürgertums geschätzt werden. Dazu gehört sein souveräner Umgang mit Repräsentationspflichten, die er ohne jede Tümelei erfüllt.

Ein schönes Beispiel dafür ist der Oktoberfestanstich, den er Jahr für Jahr nicht in einer bayerischen Tracht, sondern in einer eigentümlichen roten Weste erledigt. Weil er die Kunst des Anzapfens so meisterhaft beherrscht, muss er sich beim Chefverweser des Bayerntums, dem bayerischen Ministerpräsidenten, nicht anbiedern, sondern kann ihm gelassen die erste Maß reichen. Von Christian Ude haben schon vier bayerische Ministerpräsidenten diese Gabe empfangen: Max Streibl, Edmund Stoiber, Günther Beckstein und Horst Seehofer. Alle vier bekamen zu spüren, dass bei diesem gemeinsamen Auftritt der Oberbürgermeister der Star ist, der seine Rolle ganz offensichtlich sehr genießt. Man stelle sich vor, es wäre umgekehrt und ein junger, unbekannter CSU-Bürgermeister müsste erst anzapfen und dann einem Ministerpräsidenten Ude die erste Maß reichen. Es ist gar nicht auszudenken, was Udes Nachfolger tun müsste, um dabei keine schlechte Figur abzugeben. Und doch, es ist sehr unwahrscheinlich, dass es so kommen wird.

Was macht der politische Gegner? Jüngst hat der Spiritus Rector der CSU, Wilfried Scharnagl, unter dem Titel „Bayern kann es auch allein“ ein Buch veröffentlicht, das Judith Butler vermutlich als „strukturell links“ bezeichnen würde. Scharnagls Thesen sind pazifistisch und folgen der graswurzelrevolutionären Devise „think local, buy local“. Er formuliert tiefe Skepsis gegen politische Großgebilde wie das Deutsche Reich nach seiner Gründung und wie das heutige Europa. Deutsches Vormachtstreben habe immer mit der Gründung solcher Institutionen begonnen und in Kriegen geendet. Angesichts solcher politischer Gegner wird sich ein Sozialdemokrat eher schwertun, programmatisch originell zu sein.

Seite 2: Ein Klassenkämpfer ist der Mann aus Schwabing nicht

Es ist Udes Kandidatur auch nicht gerade förderlich, dass er aus einem Milieu kommt, das München zwar stark geprägt hat, dortselbst und erst recht außerhalb der Stadtgrenzen aber auch immer einen gewissen Argwohn erregte. Die Rede ist von Schwabing und seiner besonderen geistigen Atmosphäre, die sich oft sehr deutlich von der im übrigen Freistaat unterschied. Er entstammt dieser so kleinen wie freisinnigen Welt. Sein Vater Karl war Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Chefredakteur der literarischen Zeitschrift Welt und Wort.

Zuletzt habe ich Christian Ude im Hause eines Münchener Verlegers bei dessen Geburtstag erlebt. Ude erzählte, wie er an der Hand seines Vaters durchs Nachkriegsschwabing ging und er ihn angesichts der prächtigen Verlegervillen, die dort stehen, fragte, was das sei, ein Verleger. „Verleger sind Leute“, antwortete der Vater, „die Texte von anderen verkaufen. Und mit dem Geld, das sie dafür bekommen, bauen sie sich diese Villen.“ In eben einer solchen Villa erzählt, machte sich diese Anekdote besonders hübsch.

Aber Christian Ude ist kein Klassenkämpfer. Als es etwa um die Frage ging, ob der Münchener Flughafen eine dritte Startbahn bekommen soll, stellte er sich an die Seite der Befürworter und stand damit plötzlich neben Horst Seehofer und im Widerspruch zu seinen Koalitionspartnern in spe, den Grünen. Die Sache war allen Beteiligten gleichermaßen peinlich, noch heute spricht niemand gerne davon. Der Bürgerentscheid, ein klares „Nein“, nahm der Politik zunächst die Entscheidung ab, doch sie ist nur vertagt. Der Freistaat in Gestalt von Finanzminister Markus Söder verkündete postwendend, das Bauvorhaben umsetzen zu wollen. Aber selbstverständlich erst nach der Wahl. Da fragt sich der Bürger natürlich: Was würde Christian Ude als Ministerpräsident einer rot-grünen Regierung tun, wenn er sie gewinnen sollte?

Doch sehr wahrscheinlich wird er in diese Zwickmühle nie geraten. Auch mit ihm als Spitzenkandidaten dümpelt die SPD in den Umfragen bei den üblichen 20 Prozent vor sich hin. Die FDP wird es nicht mehr in den Landtag schaffen, und die CSU wird, von der Schwäche ihrer Gegner profitierend, wieder allein regieren. Auch Schwabinger Charisma vermag daran nichts zu ändern. 

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