Demonstranten beim AfD-Parteitag in Stuttgart dpa/picture alliance

Replik - Auch Linksradikale genießen Meinungsfreiheit

Die Medienkolumne: Rechten und konservativen Publizisten verrutscht in ihrer Wut auf Linksradikale die Verhältnismäßigkeit. Sie fordern nach dem AfD-Datenleak eine Schließung der Webseite Indymedia

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Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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In jüngster Zeit tummeln sich die sogenannten Vorkämpfer der Meinungsfreiheit eher in konservativen und rechten Kreisen. Dort jammern sie über eine angeblich einseitige Presse. Sie argwöhnen, dass Fakten unterdrückt, Gesinnungen geknebelt würden. Sie wittern an jeder Ecke Zensur.

Ihre kultivierte Angst möge man ihnen gewähren, muss man doch dankbar sein für jeden Fürsprecher, den die Meinungsfreiheit in Zeiten von Böhmermann & Co. findet.

Doch man muss sich wundern.

Während Alexander Kissler, Cicero-Ressortleiter Salon, jüngst noch beklagte, der öffentliche Diskurs sei im Fall von Akif Pirinçci „massiv“ beschnitten worden, empört er sich nun über die linke Blogosphäre.

Indymedia als „Hass-Portal“?


Mit kühnem Federstrich stilisiert er die linksradikale Plattform Indymedia zu einem „Hass-Portal“, dem die Staatsgewalt zuvorkommen müsse: „Wie lange darf das in seiner Gewaltverherrlichung schamlose Portal noch sein Gift verspritzen?“

Hintergrund ist das jüngste AfD-Datenleck: Das linksradikale Portal hatte die Adressen von mehr als 2100 Teilnehmern des Programmparteitags in Stuttgart veröffentlicht.

Keine Frage: Die Veröffentlichung personenbezogener Daten bedient puren Voyeurismus. Ob sie rechtswidrig war, werden wohl bald die Gerichte klären, da der AfD-Bundesvorstand Strafanzeige erstellt hat. Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass Richter über die Verletzung von Persönlichkeitsrechten in den Medien entscheiden müssen.

Den Konservativen reicht das aber nicht. Indymedia sei eine „rote SA“, schreibt Stephan Paetow bei „Tichys Einblick“, der Leak eine „Technik-Überwachung durch neue Hilfs-Gestapo“. Alexander Kissler sieht darin „Nazi-Methoden“.

Relativierung von NS-Verbrechen


Eine derartige Rhetorik ist nicht nur problematisch, weil sie Datenleaks auch dann, wenn diese gerechtfertigt sind – wie im Fall der Panama Papers – kriminalisiert. Sie ist vor allem deshalb unpassend, weil sie die tatsächlichen NS-Verbrechen relativiert.

Damit sollen die linksradikalen Inhalte bei Indymedia nicht entschuldigt werden. Der Mordaufruf an Berlins Innensenator Frank Henkel vom Februar war ganz klar eine Straftat. Und kurz nach der Veröffentlichung der AfD-Adressen schrieb ein anonymer Kommentator: „Wenn wir diese 2000 Menschen beseitigt haben, dann können wir endlich in Frieden leben.“

Über beide Fälle berichteten die Medien umfassend – in Berlin und bundesweit.

Die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld aber verschwieg auf dem Portal „Achse des Guten“, darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Forumseintrag handelte. Dafür kann man einen Plattformbetreiber nicht haftbar machen, höchstens, wenn der Eintrag weiter stehen bleibt. Der Kommentar erschien an jenem 1.-Mai-Sonntag um kurz vor 9 Uhr morgens. Bis zum Mittag hatte ihn ein Moderator wieder entfernt.

In ihrer Wut auf Linksradikale verrutscht den Rechten die Verhältnismäßigkeit. Die Alternative für Deutschland kritisiert Bundesjustizminister Heiko Maas, fordert Gerichte auf, „mit der gleichen Intensität gegen linksradikale Webseiten und deren Provider vorgehen, wie es bislang schon mit rechtsradikalen Webseiten passiert ist“.

Kissler argumentiert genauso. Dabei wäre das just jener Eingriff in die Meinungsfreiheit, den er beim Umgang mit Leuten wie Pirinçci sonst so sehr beklagt.

Die Meinungsfreiheit ist teilbar


Offenbar ist Meinungsfreiheit für ihn teilbar. Jenem, der, vermeintlich satirisch, in einer Pegida-Rede sagte, KZs seien ja „leider außer Betrieb“, billigt er sie zu. Jenem, der seine Weltsicht infrage stellt, indes nicht.

Während die Linken zu Recht empört sind, wenn sich herausstellt, dass Facebook offenbar konservative Medieninhalte unterdrückt, wird ihnen andersherum die gleiche Anteilnahme versagt. Da werden sogar Aussagen aus dem Kontext gezogen und für die eigene Sache instrumentalisiert.

Alexander Kissler zitierte Carolin Emckes bewegende Rede auf der re:publica. Darin analysierte die Autorin die „Raster des Hasses“, etwa anhand der rassistischen Vorfälle im sächsischen Clausnitz. Kissler schreibt, sie habe die Frage nicht beantwortet, woher der linke Hass komme. Seine Worte zeugen von wenig Mitgefühl. Carolin Emcke ist selbst ein Opfer der RAF. Sie war 22 Jahre alt, als die rote Terrorgruppe ihren Patenonkel Alfred Herrhausen ermordete. Die Journalistin verarbeitete ihr Trauma in einem einfühlsamen, preisgekrönten Essay.

Viermal mehr rechtsextreme als linksextreme Straftaten


Dass Emcke sowie die Mehrheit der Medien nun aber verstärkt über Rassismus sprechen, hat nichts mit linker Ideologie zu tun, sondern mit Fakten. Mit journalistischer Relevanz. 2014 zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz 16.559 rechtsextreme und 4.424 linksextreme Straftaten und etwa jeweils um die eintausend Gewalttaten. Ein neuerer Bericht liegt noch nicht vor. Es ist aber davon auszugehen, dass nach einem Jahr, in dem das BKA eintausend Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte zählte, in dem Fäuste auf Journalisten niedergehen, in dem ein Lokalpolitiker Sprengstoff unter seinem Auto entdeckt und die Generalbundesanwaltschaft gegen eine neue Terrorgruppe in Freital ermittelt, die Zahl rechtsextremer Gewalt drastisch zugenommen hat.

Dass der Staat links nicht blind ist, zeigt übrigens auch der Verfassungsschutz selbst. Der beobachtet schon seit Jahren die Plattform Indymedia.

Dennoch wundert sich Kissler: „Kümmert sich die gegen Hassreden im Internet gerichtete Taskforce des Bundesjustizministers auch um Indymedia? Es wäre an der Zeit.“ Hätte er doch mal bei der Behörde angerufen oder deren Webseite geprüft. Dann hätte er erfahren: Das Bundesjustizministerium ist dafür gar nicht zuständig.

Auf die Pressefreiheit dürfen sich auch Blogger berufen


Die „Task Force gegen Hassbotschaften“ des Ministeriums ist eine freiwillige Initiative, der sich Facebook, Google (für seine Videoplattform YouTube) und Twitter sowie mehrere zivilgesellschaftlichen Organisationen angeschlossen haben. Nicht das Bundesjustizministerium, sondern die Partner setzen sich selbst zum Ziel, Hassbotschaften jeglicher Art – also von rechts wie von links – in der Regel binnen 24 Stunden zu löschen. Wenngleich es an der Umsetzung bei Facebook noch hapert.

Und Indymedia? Die Task Force selbst habe keine einzelnen Veröffentlichungen geprüft und gelöscht, versicherte ein Sprecher des Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministeriums. „Das wäre auch ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit. Wir haben Kriterien entwickelt, was unter Hasspostings zu verstehen ist.“

Da muss man dem Ministeriumssprecher ausnahmsweise zustimmen. Auf Artikel 5 des Grundgesetzes – die Pressefreiheit – dürfen sich eben auch Blogger berufen. Das zeigte der Fall des Portals Netzpolitik.org, das geheime Dokumente des Verfassungsschutzes veröffentlichte und die damit die Affäre um den Landesverrat auslöste. Wenn das Innenministerium (und nicht das Justizministerium) mal zu einem seltenen Verbot greift, dann betrifft das übrigens fast immer rechtswidrige Organisationen, nicht Publikationen.

Der Staat hat sich herauszuhalten: Ist es das nicht, was Konservative sonst immer fordern?

Alexander Kissler schrieb in seinem Pirinçci-Plädoyer einen klugen Satz: „Die Güte einer Meinung, geschweige denn ihre politische Erwünschtheit, berührt den Grad der Freiheit nicht, der ihr zukommt.“

Möge er sich an seine eigenen Worte erinnern.

Hinweis: In einer früheren Version hieß es, Pirinçci habe bedauert, KZs seien „leider außer Betrieb“. So sagte er das auch in seiner Rede. Er will das Zitat aber ironisch anderen in den Mund gelegt haben, als Kritik gegen Pegida-Anhänger. Den Hintergrund lesen Sie hier.

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