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(picture alliance) Zwei Nationalitäten zu haben, bedeutet nicht, dass man die eine weniger liebt.

Doppelte Staatsbürgerschaft - Loyalität entsteht nicht durch Zwang

Deutsch? Türkisch? Beides? Viele junge Menschen müssen sich mit ihrem 18. lebensjahr entscheiden, welchem Staat sie angehören wollen. Diese Praxis wollten die Oppositionsparteien durchbrechen - ohne Erfolg

Saulus wurde vor 2000 Jahren in der heutigen Türkei geboren, als Jude. Durch seinen Vater erhielt er das römische Bürgerrecht, so dass Saulus, der mit zweitem Namen Paulus hieß, von Geburt an zwei Staatsbürgerschaften hatte. Er war „Orientale und Okzidentale“, schreibt der katholische Theologe Ernst Leuninger. Und gerade diese Biographie als Doppelstaatler habe ihm den Weg geebnet, die Wandlung vom Saulus zum Paulus zu vollziehen und so für uns Europäer „wesentlich zu definieren, was christlich heißt.“ Paulus ist nur ein Beweis dafür, dass die doppelte Staatsbürgerschaft zu einer ausgeprägten Identität und einer Bereicherung für die Gesellschaft führen kann.

Unsere Regierung sieht das offenbar anders. Sie beharrt auf dem Optionsmodell. Das klingt erst einmal gut. So nach Wahlmöglichkeit, nach Freiheit, nach selbstständiger Entscheidung. Das Gegenteil ist damit gemeint. SPD, Grünen und Linke haben im Bundestag versucht, dieses Gesetz abzuschaffen. Danach müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Ausländern zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Dabei geht es nicht nur um die türkischen Nachfahren unserer Gastarbeiter. Auf den Spielplätzen des Landes tummeln sich schwedische und dänische Kinder, in den Abiturjahrgängen feiern Franzosen, Belgier und Amerikaner ihre Abschlüsse. Florence, Karlotta und Ismael sollen sich also auch weiterhin bekennen müssen. Zu ihrer neuen deutschen Heimat – oder zu ihren Wurzeln.

Die Erklärung der schwarz-gelben Gegenseite: Eine doppelte Staatsbürgerschaft würde die Integration ausländischer Mitbürger erschweren, ihre Loyalität untergraben. Außerdem und überhaupt müsse am Grundsatz „zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit“ festgehalten werden.

Die jungen Menschen sollen eben wissen, wo sie hingehören. Dahinter steckt der Gedanke, dass es einfacher ist, neue Wurzeln zu schlagen, wenn die alten abgeschnitten wurden. Dabei weiß doch jeder, der einmal einen Kirschbaum aus dem Topf in den Garten gepflanzt hat, dass der viel besser anwächst, wenn die alte Erde aus dem Topf mit der neuen Erde im Boden vermischt wird. Gerade Migrantinnen und Migranten der ersten und zweiten Generation haben „eine emotionale Verbundenheit zu ihrer Kultur und leben quasi zwischen den Welten“, sagt denn auch Cem Özdemir, Parteivorsitzender der Grünen, der sich für die doppelte Staatsbürgerschaft ausspricht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, bei welchen Punkten sich alle Parteien einig sind.

In der vorvergangenen Woche haben die Parteien im Bundestag zum 50-sten Jahrestag des Anwerbe-Ankommens der türkischen Gastarbeiter viel diskutiert. In den Redebeiträgen haben Abgeordnete aller Parteien immer wieder darauf hingewiesen, wie viel wir den zugewanderten Arbeitern zu verdanken haben, dass wir ihnen in Zukunft keine Steine in den Weg legen dürfen, dass ihre Kinder die gleichen Chancen verdienen und wir auf ihre Bildungschancen achten müssen. Kurz: Dass sich die Menschen in Zukunft willkommen fühlen sollen.

Die erste Generation der Zugewanderten kommt jetzt ins Rentenalter. Ihnen wurde das -Gefühl, in Deutschland willkommen zu sein, all die Jahre nicht gewährt. Für die türkische Großmutter wäre es ein schönes Zeichen, wenn sich ihre Enkeltochter nicht zwischen der anatolischen und der schwäbischen Kultur entscheiden müsste. Dann könnte sie mit erhobenem Haupt sagen: Wir sind Türken UND Deutsche.

Wie der französische Historiker Fernand Braudel sagte, war Europa schon immer ein wandernder Kontinent. Während die Menschen kreuz und quer durch die Länder zogen, kamen sie logischerweise oft im mittig liegenden Deutschland vorbei. Unsere Bevölkerung ist aus diesen Wanderungen entstanden – über Jahrtausende. Da scheint es fast schon absurd, jungen Menschen nach 18 Jahren abverlangen zu wollen, sich für ein paar Wurzeln zu entscheiden.

Ein Gutes haben die aktuellen Diskussionen um Themen wie das Optionsmodell oder auch das Betreuungsgeld allerdings. Man weiß endlich wieder, wo bei CDU und CSU die konservativen Wurzeln verankert sind. In Zeiten von Mindestlohnvorstößen, Atomausstieg und Kitaplatzausbau konnte man sich da seines Weltbildes schon nicht mehr sicher sein.

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