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Linker gratuliert Angela Merkel - Offen, resolut und pragmatisch

Zum 60. Geburtstag erhält Angela Merkel auch Glückwünsche aus der Opposition. Der Linken-Politiker Stefan Liebich blickt auf eine gemeinsame Sozialisation mit der Bundeskanzlerin zurück

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Liebich, Stefan

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Es gibt Weisheiten, mit denen man eigentlich wenig anfangen kann und die trotzdem immer wieder gern weitergegeben werden. Die folgende zähle ich dazu: „Erinnere eine Frau nie daran, wie alt sie ist, aber wehe, du vergisst ihren Geburtstag.“ Bei Angela Merkel funktioniert das nicht. Der Geburtstag der Bundeskanzlerin ist ganz selbstverständlich im gesellschaftlichen Gedächtnis verankert und ihr Alter längst öffentliches Allgemeingut – Frau hin oder her. Wenn sie heute Abend ihren 60. feiert, dann natürlich als Event mit erlesenen Gästen, aber auch – als individuelle Besonderheit und Höhepunkt – mit dem Vortrag eines renommierten Geschichtsprofessors.

Das „Geburtstagskind“ wird, da bin ich mir sicher, mit ambivalenten Gefühlen den Tag erleben. Bodenständig wie Merkel nun mal ist, wird sie den Gratulationsparcours zwar mehr ertragen denn genießen, dabei aber auch uneingeschränkten Zuspruch erfahren. Das war nicht immer so. In der Vergangenheit hat sie auch schon eher befremdliche Gratulationen erfahren. „Du hast es ja nicht zu viel gebracht“, resümierte Merkels Vater Horst Kassner, so ist es überliefert, bei seinem Besuch anlässlich ihres 30. Geburtstags 1984.

Pankower Wurzeln


Damals lebte die heute laut Forbes-Magazin „mächtigste Frau der Welt“ frisch geschieden in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in der Schönhauser Allee im Ostberliner Stadtteil Prenzlauer Berg und hatte einen knochentrockenen Job am Zentralinstitut für physikalische Chemie. Wenigstens ist sie in Berlin, mag der Vater einst gedacht haben, in meiner Heimatstadt. Er hatte 1926 im Pankower Kissingenviertel als Polizistensohn das Licht der Welt erblickt. Ob der Vater je sein Urteil revidierte, ist nicht überliefert.

Die Aneignung von Prenzlauer Berg hatten Angela Merkel und ich einst in sehr unterschiedlicher Art und Weise praktiziert. Während die langjährige CDU-Vorsitzende 1981 mit Hilfe ihrer FDJ-Gruppe nach der Trennung von ihrem ersten Ehemann eine leerstehende Wohnung aufbrach und nach Einbau eines neues Schlosses und der Überweisung von Miete an die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) die Besetzung legalisierte, habe ich als Mitbegründer des Marxistischen Jugendverbandes Junge Linke 1992 ganz regelkonform eine Wohnung mit richtigem Vertrag von der Nachfolgegesellschaft der KWV gemietet. Begegnet sind wir uns damals nie: Als ich nach Prenzlauer Berg kam, ging sie gerade als Familienministerin nach Bonn. Wahrgenommen hatte ich sie da aber schon, erst als Pressesprecherin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, einen Job, den es so zuvor in der DDR eigentlich gar nicht gab, und dann eben auch als Ministerin. Sie kam mir damals irgendwie unbeholfen vor, die Ernennung zur Ministerin erschien mir als eine seltsam verrückte Idee von Helmut Kohl.

Wie man sich täuschen kann. Nur wenige Jahre später, Merkel war mittlerweile Generalsekretärin der CDU und Helmut Kohl als Kanzler abgewählt, erregte sie zwei Tage vor Weihnachten 1999 mit einem Artikel in der FAZ zur Parteienspendenaffäre ihres einstigen Gönners und Förderers großes Aufsehen. Eine solche klare Distanzierung hatte niemand für möglich gehalten und nötigt mir bis heute großen Respekt ab. Sie, die „Neue“ aus dem Osten, haben alle unterschätzt, ob sie nun Christian Wulff oder Friedrich Merz, Roland Koch, Edmund Stoiber, Jürgen Rüttgers, Gerhard Schröder oder eben Helmut Kohl heißen. Die so nüchterne wie konsequente politische Abnabelung war mehr als nur ein gelungener Coup. Sie war der Beginn einer erfolgreichen politischen Emanzipation.

Persönlich begegnete ich ihr einige Jahre später in 10.000 Metern Höhe. Im Herbst 2009 erstmals in den Bundestag gewählt, begleitete ich die Bundeskanzlerin als Vertreter unserer Fraktion auf einer Reise in die USA. Zu meiner Überraschung wusste sie sehr wohl darüber Bescheid, dass dieser politische Jungspund von der Linken sich in seinem Wahlkreis Pankow, der den Prenzlauer Berg auch mit einschließt, gegen den Altvorderen Wolfgang Thierse durchgesetzt hatte. Ich erlebte Angela Merkel bei diesem Trip als eine sehr offene, einem zugewandte Frau. Das sollte auch später bei weiteren Begegnungen so bleiben.

Angela Merkel begreift Politik als Management


Sie ist eine resolute Persönlichkeit. Eigentlicher Höhepunkt der Reise war eine Rede von Merkel im US-Kongress. In einer eigens anberaumten Sondersitzung tagten der Senat und das Repräsentantenhaus gemeinsam. Es ist ein Ereignis, welches nur wenigen Staatsgästen zuteilwird. Der Auftritt sollte ein starkes Bild einer unverbrüchlichen Freundschaft liefern. Aber die Realität war schon damals anders. Zum Ende des Besuchs erreichte uns die Nachricht, dass General Motors dem von der Bundesrepublik mit Milliarden Euro unterstützten Deal, Opel an ein österreichisches Unternehmen zu verkaufen, eine überraschende Absage erteilte. Merkel war not amused. Man verspürte in diesem Moment sehr wenig Lust, Gesprächspartner am anderen Ende ihres Telefons zu sein. Wenn man so will, hat in diesem Fall das politische Management nicht funktioniert.

Darin aber besteht ohnehin die Crux in der Arbeit von Angela Merkel – sie begreift ihr Tun in erster Linie als Management. Sie hat, das kann man uneingeschränkt sagen, keinerlei Interesse an jeglicher Kontroverse. Dabei lebt Politik genau davon, von Debatten und Streitgesprächen, von Pro und Kontra. Diese Konfliktscheue, so sagen ihr manche gern nach, sei ein Resultat ihrer DDR-Sozialisation.

Dem möchte ich entschieden widersprechen. Es ist ein eher schon unpolitischer Pragmatismus, den die einstige Wissenschaftlerin und Seiteneinsteigerin in ihrer politischen Gestaltungsarbeit pflegt und der von einer harmoniebedürftigen Wählerschaft durchaus goutiert wird. Auch die immer wieder geäußerte Vorstellung, Merkel sei als Ostdeutsche für deren Probleme besonders sensibilisiert, halte ich für eine Mär. Weder Mieten-, Grundstücks-, Sozial- oder Rentenpolitik lassen auch nur den Hauch einer solchen Handschrift erkennen.

In der DDR wäre Angela Merkel ab heute Rentnerin. Vermutlich könnte sie auf ein erfolgreiches Wissenschaftlerinnenleben zurück blicken, und es ist gut möglich, dass ihr die SED zum Jubiläum den Orden Banner der Arbeit übereicht hätte. All das wird es nun nicht geben. Angela Merkel macht dies ganz gewiss nicht traurig.

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