Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Bettina Wulff und Julia Schramm sind die jüngsten Opfer von Urheberrechtsverletzungen

Wulff und Schramm - Schmutzkampagne im Netz

Erst der Abmahn-Skandal um die Oberpiratin Julia Schramm, jetzt der illegale Download von Bettina Wulffs Buch „Jenseits des Protokolls“: Der Streit ums Urheberrecht im Internet ist zu einer veritablen, persönlichen Kampagne geworden und hat jedes Maß verloren

Dass die Piratin Julia Schramm und Ex-First-Lady Bettina Wulff einmal in einem Satz erwähnt werden würden, hätten beide sicher nicht gedacht. Aber in dieser Woche verband die Frauen, die gerade erst biografische Bücher vorgelegt haben, ein gemeinsames Schicksal: Sie wurden Opfer der Netzkriminalität.

Auch wenn sie sich mit umstrittenen Handlungen ins Gerede gebracht haben, eine derartige Hasskampagne, wie derzeit im Internet über sie rollt, haben sie nicht verdient. Dabei geht es weniger um stilistische Schmähkritiken, die tausendfach in Blogs und auf Onlineportalen zu lesen sind. Es geht vielmehr um die Frage, ob man illegale Urheberrechtsattacken noch als geeignetes Mittel der politischen Auseinandersetzung bezeichnen kann – wie es etwa die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg tut –, wenn damit massiv Persönlichkeitsrechte verletzt werden.

Was war passiert?

Julia Schramm galt einst als Internet-Exhibitionistin, sie hat die datenschutzkritische Gruppe „Spackeria“ gegründet. Noch bis vor Kurzem nannte sie sich auf ihrem Blog „Prokrastiniererin“ und „Privilegienmuschi“. Geistiges Eigentum bezeichnete die 26-Jährige einst als „ekelhaft“, Verleger und deren Interessenvertreter als „Content-Mafia“. Sie machte eine steile Karriere bei den Piraten und wurde sogar in den Bundesvorstand gewählt.

Doch ihre politische Meinung trat schnell zurück, als sie selbst Autorin wurde und vom Urheberrecht profitieren wollte. Ihr neues Buch „Klick mich“ ließ sie im Albrecht Knaus Verlag in München, der zu Random House gehört, veröffentlichen. Die gebundene Version kostet 16,99 Euro, das eBook immerhin 13,99 Euro. Als Vorschuss soll sie 100.000 Euro erhalten haben.

Der Ärger unter den Piraten muss groß gewesen sein: Denn bereits am Montag, als das Buch erschien, tauchte im Netz eine illegale Raubkopie auf. Der Link verbreitete sich rasant via Twitter. Daraufhin wehrte sich der Verlag rechtlich – wie es in einer Mitteilung hieß, auf Wunsch der Autorin Schramm selbst.

Die Netzgemeinde kübelte Häme über die junge Frau aus, ein wahrer Shitstorm flog ihr um die Ohren. Auf Schramms Blog warf ihr ein Nutzer „Doppelmoral“ vor. Sie schade „damit nicht nur sich selbst, auch nicht nur der Piratenpartei“, sondern dem kompletten politischen System.

Seite 2: Lesen Sie, wie das Buch der Ex-Präsidentengattin im Netz auftauchte

Einen derartigen Unterschied zwischen Wort und Tat gab es bei Bettina Wulff indes nicht. Die Ex-First-Lady kämpfte gegen die bösen Gerüchte über ihre Vergangenheit, die Medien ungeprüft verbreitet hatten. Sie verschickte Unterlassungsklagen, unter anderem an Google und Jauch. Mit ihrem Buch „Jenseits des Protokolls“ hoffte sie, ihren Ruf wiederherzustellen. Der „Tagespiegel“ witterte dahinter allerdings eine gemeinsame Marketing-Strategie des Ehepaars, um sich reinzuwaschen.

Weil das Werk – etwa als „Tagebuch eines Teenies“ betitelt – vernichtende Kritiken erhielt, sagte Wulff ihre Teilnahme bei den Talkshows „Maischberger“ und „3 nach 9“ ab. Die 38-Jährige fürchte sich vor weiteren Anfeindungen, hieß es.

Damit hätte das lange „Kapitel Wulff“, das die Presse seit Dezember 2011 beschäftigt hat, eigentlich ein für alle mal geschlossen werden können. Aber nichts da: Am Mittwoch tauchte das Buch dann im Internet auf, als PDF-Version zum Downloaden, zum Lesen und als HTML-Version, wie das Onlineportal Meedia.de entdeckte. Auf der blau-rosa gehaltenen Webseite heißt es hämisch, inklusive Rechtschreibfehler: „Liebe Lesefreunde, hier gibts das Buch ‚Jenseits des Protokolls‘ von Bettina Wulff gratis zum lesen.“ Und dann noch: „Viel Spaß wünscht euch eure Bettina!“

Unter „Kontakt“ war auch eine E-Mail-Adresse der Urheber der Seite angegeben. Auf Cicero-Online-Anfrage meldete sich ein Unbekannter, der sich als „Bettina“ ausgab. Das Buch sei am 15. September veröffentlicht und bereits 50.000-mal heruntergeladen worden.

Bettina Wulff zeigte sich erschrocken, aber der Vorfall sei ihr bereits bekannt. „Wir gehen schon dagegen vor“, sagte sie. Eine Sprecherin des Riva-Verlags, in dem das Buch erschien, drückte ihre Sorge über Wulff aus: „Es wird Wochen dauern, die Seite wegzubekommen.“

Und genau das ist auch das Problem des oder der unbekannten Aktivisten: Es geht nicht mehr nur darum, übermächtigen Gegnern einen Streich zu spielen. Es geht nicht darum, wie bei den Protestaktionen gegen die höheren GEMA-Tarife, die Webseite der Musikrechtegesellschaft lahm zu legen. Oder darum, in die Systeme von Behörden und Unternehmen einzudringen, wie es die Netzaktivisten um Anonymous taten. In ihren Anfängen richtete sich die Hacker-Bewegung 2008 noch gegen die Sekte Scientology, 2010 blockierten Wikileaks-Sympathisanten die Seiten von MasterCard, Visa und Paypal. Auf der Liste der Opfer standen unter anderem auch Sony, Apple und die Nato.

Dokumente, die von dem Militärbündnis stammen sollten, veröffentlichte Anonymous jedoch nicht, weil dies „unverantwortlich“ gewesen wäre. Man könnte mit einigem guten Willen noch sagen, dass hier geniale Schlingel am Werk waren, die den Großen das Fürchten lehrten, ihnen die offenen Flanken ihrer Sicherheitssysteme vor Augen führten und ihre unklare Außenkommunikation kritisieren.

Nein, um all das geht es in den aktuellen Fällen nicht mehr. Hier geht es darum, öffentliche Personen bewusst zu schaden.

Der Konflikt um das Copyright hat damit eine neue Stufe erreicht. Jetzt sind nicht mehr Institutionen, sondern Individuen zum Abschuss freigegeben – und damit Menschen. Ob das im Sinne der Urheberrechtsgegner war?

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.