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Einwanderungsgesetz - Überholt die CDU Rot-Grün links?

Die Wirtschaft schlägt Alarm: Deutschland brauche mehr Zuwanderung, um den Wohlstand zu halten. Prompt rufen jene CDU-Politiker, die einst vor Überfremdung warnten, nach einem Einwanderungsgesetz. Meinen sie das ernst?

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich so leicht, dass wir ein Einwanderungsgesetz bräuchten. Aus allen Fraktionen kommt der Ruf danach – doch das Gesetz selbst wird so bald nicht kommen. Es ist bloß ein politisches Schaulaufen – ein Warmmachen für die kommende Bundestagswahl.

Der Startschuss kam von CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Vor einem Monat forderte er ein Einwanderungsgesetz: „Wenn wir eine Zuwanderung wollen, die nicht nur arbeitsmarktoptimiert ist, nicht nur temporär, dann müssen wir auch über ein Einwanderungsgesetz reden.“ Damit hat Tauber seinen Koalitionspartner überrascht, denn nichts davon steht im Koalitionsvertrag. Vor allem hatte er seine eigene Partei geschockt.

Er, der einst als hessischer Jung-Unionist eifrig Stimmen sammelte gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und sich so dagegen wehrte, dass Deutschland Einwanderungsland würde, vertritt nun rot-grüne Positionen?

Die SPD beeilte sich jedenfalls, um nicht von Tauber links überholt zu werden. Der Fraktionsvorsitzende Oppermann kündigte umgehend ein Positionspapier seiner Fraktion an, das bald vorliegen soll. Grüne und Linke verwiesen zustimmend auf ihre alten Positionen.

Zuwanderungsgesetz wurde einst zerfasert und kleinverhandelt


Denn genau das war immer ihre Forderung gewesen: Einwanderungsrepublik Deutschland. Es war die Union, die vor 15 Jahren engagiert dagegen stritt. Jahre dauerte dieser Kampf gegen Rot-Grün an. Von „Inder statt Kinder“ bis zur „deutschen Leitkultur“ sind die Begriffe, die blieben wie die Namen großer Schlachten.

Ein Zuwanderungsgesetz hatte den Bundesrat bereits 2002 passiert. Das jedoch hatte die Union durch Verfassungsklage wieder in den Vermittlungsausschuss zurückgezerrt, wo es zwei weitere Jahre lang zerfasert und kleinverhandelt wurde. Vor zehn Jahren trat es in Kraft – ein Ungetüm aus 107 Paragraphen.

Die Unionsfraktion blieb der alten Linie treu, indem sie nun Taubers Idee sofort auseinandernahm: Inhaltlich wirr und vom Zeitpunkt her falsch, fanden vor allem Konservative. Volker Kauder forderte, anstatt über neue Zuwanderung zu reden, erst einmal die zu integrieren, die da sind. Bosbach ging noch weiter, wärmte im Grunde den alten Rüttgers-Spruch „Kinder statt Inder“ auf: „Wir sollten uns zunächst einmal darum bemühen, auch die inländischen Arbeitslosen in Brot und Arbeit zu bringen, bevor wir weitere Zuwanderung organisieren zu einem Zeitpunkt, an dem wir die zweitgrößte Zuwanderung haben nach den Vereinigten Staaten von Amerika.“

Zuwanderung viel zu niedrig


Die Anzahl der Zuwanderer ist tatsächlich so hoch wie seit 20 Jahren nicht. Der Netto-Zuwachs pro Jahr, wie das amtlich heißt, lag zuletzt bei über 400.000 Ausländern. Diese Zahl beinhaltet alle, die gekommen sind – vom Flüchtling bis zum Austauschschüler. Doch sie gilt auch konservativen Volkswirten als viel zu angesichts der demographischen Lücke, die sonst zum Riesenleck wird für den deutschen Wohlstandsdampfer.

„Wollte man die Relation von Alten und Jungen – und damit zugleich das relative Rentenniveau und die Beitragssätze zur Rentenversicherung –  auf dem heutigen Niveau stabilisieren, würden von jetzt ab 32 Millionen junge Zuwanderer benötigt.“ Das hat Hans-Werner Sinn errechnet, der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Er geht in seiner Schätzung davon aus, dass die Nettoimmigration nur bei etwa 200.000 liege, also bei der Hälfte des jüngsten Zuwachses. Selbst wenn man optimistischer rechnet als Sinn und diese Zahl verdoppelt, fehlen in zwanzig Jahren immer noch weit über zehn Millionen Menschen in Deutschland. Auch eine demographische Kehrtwende – so Sinn – könnte daran inzwischen nichts mehr ändern.

Merkel ist noch unentschieden


Ist es also Einsicht, die Merkels Generalsekretär umdenken ließ? Dagegen spricht, dass Kenner des bestehenden Zuwanderungsrechts sagen, wir seien rechtlich bereits bestens aufgestellt als Einwanderungsland. Bundesinnenminister de Maizière hält das Gesetz von 2005 für wesentlich effizienter als alle anderen auf der Welt, um gezielt mehr Zuwanderer nach Deutschland zu bekommen. Schließlich sei an dem Gesetz ständig nachgebessert worden.

Trotzdem hält Tauber an seinem Vorschlag fest und die Kanzlerin gibt ihm lange Leine, in dem sie sagt, selbst noch nicht entschieden zu sein in dieser Frage. Auch die SPD und die Opposition werden nicht müde einzufordern, bessere Konzepte aus dem Ausland abzuschauen.

Sechs klassische Einwanderungsstaaten können dabei in den Blick genommen werden: Australien, Kanada und die USA sowie Großbritannien, Schweden und die Schweiz. Rund ein Drittel der Einwohner Australiens und der Schweiz sind im Ausland geboren – das ist so viel wie nirgendwo sonst in der Welt. Die deutsche Politik schaut vor allem nach Kanada, Oppermann ist dieser Tage dort. Denn nur dort, in Australien und in Großbritannien gibt es ein sogenanntes Punktesystem, das Schweden, die USA und die Schweiz nicht haben.

Nachteil von Punktesystemen: Ständige Anpassung nötig


Nun sagen alle, die das Einwanderungsgesetz in Deutschland neu schreiben wollen: Auch wir bräuchten ein Punktesystem, weil damit die Einwanderung besser zu steuern sei. Verschwiegen wird dabei oft, dass die Kandier recht ernüchtert sind über ihr gelobtes Punktesystem, und es vor wenigen Wochen erst überarbeitet haben.

Das Grundproblem dieser Systeme ist, dass sie ständig an den Bedarf angepasst werden müssen. Fehlt es also voraussichtlich an Naturwissenschaftlern, muss die Punktevergabe entsprechen justiert werden. In Australien wird die besondere Härte dabei deutlich. Nur Junge, Gesunde und Kluge haben Chancen auf eine hohe Punktzahl. Wer älter ist als 45, hat bereits schlechte Karten.

Einwanderung als wunderbares Wahlkampfthema


Deutschland hätte demnach alle Jahre wieder eine politisch schwer zu führende Debatte über, schon das klingt herzlos: die Qualität der Zuwanderer. Wer sagt und festlegt, wen das Land braucht, sagt damit zugleich auch, wer nicht zu gebrauchen sei. Es ist vor allem dieses Problem, das für Zuwanderung Aufgeschlossene wie de Maizière fürchten. Selbst die Hardliner in der Union wollen den 15 Jahre alten Leitkultur-Kampf nicht abermals führen aus Sorge, ihn moralisch nur verlieren zu können.

Tauber jedoch glaubt, dieses Thema dürfe seine Partei nicht meiden. Allein schon, um es nicht den anderen zu überlassen. Er steht damit nicht für eine linkere Union, denn knallharte Steuerung ist auch ein Wunsch der politischen Rechten. Zugleich ist Zuwanderung ein Siegel liberaler Politik. Der Union wäre im Wahlkampf nicht vorzuwerfen, dass sie sich gegen Einwanderung sträube und ewig gestrig sei.

Tauber geht es allein um die Debatte, deren Ausrichtung bis 2017 offen bleiben soll: Entweder soll sie der AfD Wasser abgraben oder den Parteien links der Union – je nach aktueller Lage und Volksstimmung. Insofern ein wunderbares Wahlkampfthema – mehr soll es nicht sein.

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