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(picture alliance) Kein linker Mainstream: Junge Demonstrantin der Antifa

Zeitgeist - Einen linken Mainstream gibt es nicht

Ist Links der neue Mainstream, eine Begleiterscheinung des politischen Zeitgeists? Die Zahlen geben das nicht her. Seit 1998 sind der ehemaligen Volkspartei SPD 10 Millionen Wähler abhanden gekommen. Auch das restliche linke Spektrum muss darben

Vor vier Jahren, Anfang August 2007, behauptete die ZEIT unter Berufung auf einen Marktforscher des in London basierten Konzerns WPP-TNS (der in Deutschland u.a. auch für die ARD, den SPIEGEL, Focus, die Bild am Sonntag, das Bundespresseamt und die SPD tätig ist), „Deutschland hat einen Linksdrall“. Und Frauen würden noch etwas mehr „nach links neigen als Männer“. Dass dieser Marktforscher wenig später (Ende August 2007) in der Bild am Sonntag behauptete, es gäbe einen „Rechtsdrall in Deutschland“ und die Frauen wählten „neuerdings stärker als Männer rechte Parteien“ machte damals niemanden stutzig.

In der medialen und öffentlichen Diskussion hielt sich lange Zeit die aufgrund einer völlig abwegigen Interpretation vorliegender Umfragedaten entstandene Mär vom „Linksruck“ in Deutschland.

Erst mit dem Ergebnis der Bundestagswahl vom September 2009, als die bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP mit 48,4 Prozent der gültigen Stimmen eine komfortable Mehrheit erhielten, verstummte das Gerücht vom Linksdrall in der Republik.

Doch Ende 2011 behauptet nun der SPIEGEL (siehe „Alles auf Links“ in Heft 50/2011), „Links“ sei „der neue Mainstream“ und bei der Bundestagswahl 2013 werde das „große“ Thema „soziale Gerechtigkeit“ wahlentscheidend sein. Doch 2011 ist die These, die deutsche Gesellschaft rücke nach „links“ genauso falsch wie schon 2007. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass der SPIEGEL auch schon vor einem Jahr mit dem Begriff „Wutbürger“ eine völlig unzutreffende Beschreibung der gesellschaftlichen Realität lieferte (die Volksabstimmung über Stuttgart 21 hat ja gezeigt, dass über die Aktivisten der grünen Bewegung hinaus nur wenige Bürger zu den Gegnern des Bahnhofsprojektes zählten, die große Mehrheit aller Bürger aber den Umbau seit jeher befürwortet).

Wenn der SPIEGEL mit seiner Behauptung vom „linken Mainstream“ recht hätte, müsste das „linke“ Wählerlager ja an Zustimmung gewinnen. Doch dem ist nicht so: Nach dem jüngsten RTL/STERN-Wahltrend würde nur eine Minderheit von 34 Prozent aller befragten Wahlberechtigten SPD, Grüne oder die Linkspartei wählen – also kaum mehr als bei der letzten Bundestagswahl 2009, als das linke Lager zusammen von 32 von 100 Wahlberechtigten gewählt wurde. Das entspricht im übrigen dem Anteil, den die „linken“ Parteien zusammen auch bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 erhalten hatten.

Der Niedergang der linken Volkspartei, auf der nächsten Seite

Viel stärker aber als 1990, 2009 oder 2011 war das linke Wählerlager 1998: Damals wurden SPD, Grüne und Linke zusammen von 43 von 100 Wahlberechtigten gewählt Seither ist das linke Lager also nicht – wie 2007 und jetzt wieder behauptet – gewachsen, sondern deutlich geschrumpft.

Dass eine große Mehrheit von über 80 Prozent die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für richtig hält und eine Mehrheit von 62 Prozent eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes befürwortet, kann im übrigen auch nicht als Beleg für einen „Linksruck“ interpretiert werden. Zum einen ist der Anteil der Befürworter beider Maßnahmen weder in der Banken- und Finanzkrise 2008/2009 noch in der gegenwärtigen Eurokrise angestiegen. Und zum anderen werden beide Maßnahmen von der großen Mehrheit der Bürger nicht als besonders dringlich eingeschätzt.

Andere Politikfelder - wie die Lage am Arbeitsmarkt, die sozialen Sicherungssysteme, die Zukunftsperspektiven der Kinder und Enkel durch ein gutes Bildungssystem, die Finanzausstattung der Städte und Gemeinden etc. haben bei der Mehrheit der Menschen eine viel höhere Priorität als die Wahrung sozialer Gerechtigkeit. Und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen oder großer Erbschaften werden nur von einer Minderheit der Bürger befürwortet.

Die Steuerpläne von SPD und Grünen mögen angesichts der gegenwärtigen Krise und aus ökonomischer Sicht vielleicht sinnvoll sein. Als das „große“ Wahlkampfthema aber eignen sich diese Pläne nicht, zumal die „Mitte“ nicht – wie im SPIEGEL zu lesen – jetzt „links“ ist. Dabei ist die Mitte – anders als von SPD-Chef Sigmar Gabriel in seiner Bewerbungsrede auf dem SPD-Parteitag 2009 verkündet – sowohl soziologisch als auch politisch exakt zu verorten.

Die rund 10 Millionen Wähler, die der SPD zwischen 1998 und 2009 abhanden gekommen sind, finden sich zu großen Teilen unter den mittleren und höheren Berufs-, Bildungs- und Einkommensschichten. So liegt z.B. das Durchschnittseinkommen der der SPD verbliebenen Anhänger bei ca. € 2.500, das der SPD-Abwanderer aber bei € 2.700. Und die seit 1998 ins Lager der Nichtwähler bzw. zur Union abgewanderten SPD-Wähler verorten sich auf einer Links/Rechts-Skala mit Werten von 4.6 bzw. 5.0 deutlich eher in der politischen Mitte als die der SPD heute verbliebenen Anhänger mit einem Wert von 4.3.

Hinzu kommt, dass der Stellenwert der „sozialen Gerechtigkeit“ seit den 90er Jahren eher ab- denn zugenommen hat – trotz Finanz-, Banken- und Euro-Krise. Niemand möchte zwar eine sozial ungerechte Gesellschaft, doch andere politische Ziele wie eine gute Bildungspolitik, eine gute Gesundheitsversorgung, eine solide Finanzpolitik, etc. sind in krisenhaften Zeiten wie diesen wichtiger als die Wahrung sozialer Gerechtigkeit.

Wäre es anders, müsste die Linkspartei, der man ja nur auf diesem Gebiet irgendwelche Kompetenzen zutraut, riesigen Zulauf erfahren. Das aber ist ja gerade nicht der Fall, zumal die Hälfte aller Bürger auch heute trotz Krise meint, in der deutschen Gesellschaft gehe es alles in allem gerecht zu. 

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