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(picture alliance) Der Verfassungsschutz? "Im entscheidenden Moment stets versagt."

NSU-Opfer - Die Behörden waschen ihre Hände in Unschuld

Beim Staatsakt wird heute der Opfer der nationalsozialistischen Terrorgruppe gedacht. Angela Merkel wird dabei auch vor jenen sprechen, die durch ihre Versäumnisse und Fehler das Morden des NSU erst möglich gemacht haben

Neun aus der Türkei und Griechenland stammende Kleinunternehmer und eine Polizistin aus Thüringen sind der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zum Opfer gefallen. Unbemerkt von Justiz und Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik konnte die NSU jahrelang mordend und raubend durchs Land ziehen. Worin das Versagen der Behörden konkret bestand, das bemühen sich Untersuchungsausschüsse in Berlin, Erfurt und Dresden sowie eine Bund-Länder-Kommission zu ergründen. Sie sind dabei allerdings auf die Hilfe der jeweiligen Behörden angewiesen – von denen einige aber jetzt schon daran arbeiten, sich einen Persilschein auszustellen. [gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird in ihrer Rede auf der heutigen zentralen Gedenkfeier für die Opfer und Hinterbliebenen im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt nicht umhin kommen, das Versagen des Staates anzusprechen und dafür die Opfer um Verzeihung zu bitten. Unter den 1200 Gästen des Staatsakts werden auch die Vertreter jener Bundes- und Landesbehörden sitzen, die durch ihre Versäumnisse und Fehler das Morden des NSU erst möglich gemacht haben.

Auffallend ist, dass es vor allem die Bundesbehörden sind, die das eigene Versagen zu kaschieren versuchen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa. Mitte Dezember legte das BfV eine – mittlerweile mehrfach überarbeitete – „Chronologie der Erkenntnisse und operativen Maßnahmen nach Abtauchen der Mitglieder der terroristischen Vereinigung NSU“ vor. In dem geheimen Papier kommen vor allem die Verfassungsschutzämter in Thüringen und Sachsen schlecht weg: Sie hätten zwar viel unternommen, um den seit Januar 1998 flüchtigen drei Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf die Spur zu kommen, im entscheidenden Moment aber stets versagt.

Das ist nach allem, was man bislang weiß, auch richtig. Aber welche Rolle spielte das BfV? War es wirklich so, wie es der Bericht nahelegt, dass das Bundesamt nur deshalb weitgehend inaktiv blieb, weil man von den Ländern unzureichend informiert und herausgehalten wurde? Im Thüringer Innenministerium wird ganz offen darüber gesprochen, dass das BfV seinerzeit einen eigenen V-Mann im „Thüringer Heimatschutz“, der Heimstatt der späteren Terrorzelle, hatte. In dem Bericht aus Köln findet sich darauf kein Hinweis.

Und das Bundeskriminalamt, war es  wirklich so wenig im Bilde über die Umtriebe der Thüringer Neonaziszene? Zwischen Februar 1998 und März 1999 werteten BKA-Beamte Polizeierkenntnisse aus Thüringen zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aus. Da liefen bereits mehrere Ermittlungsverfahren, in denen das Trio neben anderen Neonazis des Freistaats als Beschuldigte auftauchte. Es ging um Waffenfunde, Anschlagsdrohungen mit Bombenattrappen und Vorbereitung von Explosivverbrechen. Das BKA aber kam zu dem Ergebnis, dass es sich „um mehrere Einzelverfahren mit … wechselnder Täterbeteiligung“ gehandelt habe. Ebenso sei eine Einbindung des rechtsextremen Umfelds in die Taten der drei Flüchtigen nicht erkennbar, hieß es in einem BKA-Bericht. Schließlich sei auch die Staatsanwaltschaft Gera zu dem Ergebnis gelangt, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ihre Straftaten weder für eine bekannte noch für eine eigens gegründete Gruppierung verübt haben.

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Die Bundesanwaltschaft übernahm die Sicht des BKA und sah dann auch keinen Anlass, einen bereits eingeleiteten sogenannten Überprüfungsvorgang in ein reguläres Ermittlungsverfahren gegen die drei Neonazis umzuwandeln. Die Akte wurde 1999 geschlossen, ein Jahr, bevor das Morden begann. „Ich habe keine Versäumnisse feststellen können“, sagte Generalbundesanwalt Harald Range am vergangenen Wochenende in einem Zeitungsinterview. Er habe die Entscheidung seiner Behörde von 1999 noch einmal überprüfen lassen. „Wenn die örtlichen Behörden mitteilen, es handele sich um ein loses Geflecht von Einzeltätern, müsste ich heute genauso handeln“, so Range. „Erst wenn der terroristische Charakter von Straftaten augenscheinlich ist, kann ich Ermittlungen an mich ziehen.“ [gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Glaubt man den Bundesbehörden, sind sie also fein raus und waschen ihre Hände in Unschuld. Aber war die Gefahr, dass die im Januar 1998 abgetauchten Jenaer Neonazis terroristische Straftaten vorbereiteten, nicht auch damals schon augenscheinlich? Immerhin hatten sie anderthalb Kilogramm TNT in ihrer Garage in Jena gehortet, wo auch drei zündfertige Rohrbomben mit Schwarzpulver gefunden wurden. Zum Vergleich: Die Briefbombe, die ein Rechtsextremist 1993 dem ehemaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk per Post zugeschickt hatte, enthielt ein bis zwei Gramm TNT. Zilk wurden beim Öffnen des Briefes Daumen und Zeigefinger der linken Hand abgerissen. Auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe standen damals im Verdacht, Briefbombenattrappen in Thüringen versandt zu haben.

Dabei schien selbst den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit rechten Terrors in Deutschland seinerzeit gar nicht so abwegig zu sein. In den Verfassungsschutzberichten aus Bund und Ländern von 1998 etwa hieß es, zwar lehne die Mehrzahl der Rechtsextremisten „zur Zeit terroristische Gewalt als Mittel des politischen Kampfes ab“. Gleichwohl sei „die Gefahr einer geplanten Gewaltanwendung durch unberechenbare Einzelpersonen oder konspirative Kleinstgruppen … jederzeit gegeben“.

Dass man seinerzeit auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe offensichtlich in diese Gefahrenkategorie einteilte, zeigt sich an dem immensen Aufwand, mit dem anfangs die Fahndung nach den drei Neonazis betrieben wurde. So startete neben der Zielfahndung des Landeskriminalamtes der Thüringer Verfassungsschutz eine eigene großangelegte Operation, die Hunderttausende D-Mark an Kosten verschlang. Sämtliche deutsche Geheimdienste waren einbezogen – BND, MAD, BfV und alle Landesverfassungsschutzämter suchten nach dem Trio. Sogar die Luftwaffe half seinerzeit mit Wärmebildkameras aus. Ein solch riesiger Aufwand für ein „loses Geflecht von Einzeltätern ohne augenscheinlichen terroristischen Charakter“?

BKA, BfV und Bundesanwaltschaft wären gut beraten, die Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen der letzten 13 Jahre bei der Bewertung und Verfolgung der mutmaßlichen Terrorzelle NSU aufrichtiger und selbstkritischer zu reflektieren als sie es bislang tun. Nur so können sie glaubhaft dem Verdacht entgegentreten, aus Eigeninteresse Entwicklungen bewusst ignoriert oder gar gefördert zu haben.

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