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() Grabesstille in Kabul
Der Afghanistankrieg ist ein Terrorzuchtprogramm

Der Publizist Jürgen Todenhöfer, einst CDU-Politiker und Medienmanager, warnt im Interview mit Cicero Online vor einer Verlängerung des Afghanistan-Mandats, über das heute im Bundestag entschieden wird. Den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad nahm er gegen den Vorwurf des Antisemitimus in Schutz.

Herr Todenhöfer, heute wird der Bundestag voraussichtlich der Verlängerung des Einsatzes in Afghanistan zustimmen. Wie stehen sie als Afghanistankenner zur Verlängerung des Mandats? Ich spreche mich uneingeschränkt gegen den Krieg in Afghanistan aus. Es wird behauptet, dass die Sicherheit der Bundesrepublik am Hindukusch verteidigt werde. In Wahrheit wird sie dort gefährdet. Der Afghanistankrieg ist ein Terrorzuchtprogramm. Wir bringen das hervor, was wir angeblich bekämpfen wollen. Die Zahl der Anschlagsversuche im Westen sinkt nicht, sie steigt. Wegen des Afghanistankriegs. Immerhin spricht sich Außenminister Westerwelle für das Ziel aus, die Bundeswehr-Truppe am Hindukusch schon ab 2011 zu reduzieren. Die Sicherheitsverantwortung soll dann schrittweise an die Afghanen übergeben werden, bis diese Ende 2014 selbst die Sicherheit des Landes garantieren könnten… … entschuldigen Sie, aber die Vorstellung, dass man noch vier Jahre benötigt, um aus Afghanistan abzuziehen, ist grotesk. Das hieße, dass man den Afghanen fast noch einmal die Kriegsdauer des zweiten Weltkrieges zumuten möchte. Der Krieg hätte dann rund anderthalb Jahrzehnte gedauert. Auch 2014 wird Afghanistan nicht stabil sein. Im Gegenteil: Die Taliban werden noch stärker sein als heute. Der Nato geht es längst nur noch darum, gesichtswahrend aus Afghanistan herauszukommen. Die Nato hofft, in vier, fünf Jahren sei das leichter. Das ist ein Irrtum, der Krieg ist verloren. Weshalb? Seit Jahrtausenden haben die Afghanen jeden rausgeworfen, der ihr Land besetzen wollte. Jene Russen, die damals das sowjetische Debakel in Afghanistan initiiert haben, fassen sich heute erstaunt – wenn auch dankbar - an den Kopf, weil der Westen dieselben Fehler macht wie sie. Die Afghanen werden die Taliban auch in Zukunft als Widerstandskämpfer unterstützen, weil sie die USA aus ihrem Land vertreiben wollen. Nun ist es aber keineswegs sicher, dass die gemäßigten Afghanen sich im Falle eines Abzugs der westlichen Truppen mittels demokratischer Abstimmung gegen die Taliban durchsetzen könnten. Versinkt das Land nicht noch mehr im Chaos, wenn die USA und ihre Verbündeten abziehen? Der Abzug der US-Kampftruppen aus dem Irak hat auch nicht zu mehr Chaos im Land geführt. Das Chaos, das im Irak herrscht, haben die USA geschaffen. Und selbst wenn: Wir können nicht gegen alle Länder Krieg führen, in denen aus unserer Sicht inakzeptable Verhältnisse herrschen. Wir müssten sonst auch in Somalia, im Jemen, in Nordkorea einmarschieren. Von einigen prowestlichen autoritären Staaten weltweit ganz zu schweigen. Unter den Taliban ging es den Afghanen also besser als heute? Letztlich ja, obwohl es ihnen schlecht ging. Das ist ja das Traurige. Aber jetzt gibt es nicht einmal mehr Sicherheit. Ich bin kein Freund der Taliban, aber sie haben damals durchaus für Sicherheit gesorgt. Die westlichen Regierungen haben das seinerzeit ausdrücklich begrüßt. Der Westen behauptet, dass er Afghanistan gerade wieder aufbaue. Die Realität ist, dass Afghanistan das ärmste Land Asiens ist. Jedes vierte Kind stirbt vor Erreichen des 5. Lebensjahres. Jeden Tag sterben zwei bis drei afghanische Zivilisten durch westliche Soldaten. Zur Erinnerung: Al-Qaida, die auch für mich eine terroristische Mörderbande ist, hat in Amerika und in Westeuropa in 19 Jahren knapp 3100 Westler getötet. Allein unter Bush aber wurden im Irak mehrere hunderttausend Menschen getötet. Und wir behaupten allen Ernstes, wir bauten Afghanistan und den Irak auf, wir seien die Guten? Sie wollen den Taliban das Land wieder überlassen? Es muss eine Sicherheitskonferenz für die gesamte Region geben. Parallel muss die US-Führung mit der Talibanführung direkt – wenn auch unter Einbindung der Regierung Karzai - verhandeln, so wie es damals in Vietnam Verhandlungen mit der nordkoreanischen Führung gegeben hat. Der Preis, den die Taliban für einen Abzug zahlen müssten, wäre eine Garantie gegen den Aufenthalt ausländischer Terroristen sowie eine Garantie gegen den Opiumanbau. Mit Verlaub: Wie realistisch ist es, mit den Taliban eine solche Vereinbarung schließen zu können? Diese Fragen haben Journalisten und Politiker auch gestellt, als Henry Kissinger vorschlug, mit dem Vietkong zu verhandeln. Selbstverständlich kann man mit der Taliban-Führung verhandeln. Aber dazu müsste sich schon der amerikanische Außenminister oder der Verteidigungsminister selbst in Bewegung setzen. Man könnte mit den Taliban auch eine Einigung darüber erzielen, dass Mädchen wieder zur Schule gehen dürfen. In jenen Gebieten, in denen die Taliban bereits heute herrschen, wird das schon tagtäglich praktiziert, wie selbst die „New York Times“ berichtete. Was indes nichts daran ändert, dass die Taliban Menschen töten, wenn diese sich etwa an freien Wahlen beteiligen. Die Taliban haben weniger afghanische Zivilisten getötet, als die Nato. In jedem Falle bleibt uns nichts anderes übrig, als mit ihnen zu verhandeln. Was wäre die Alternative? Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, was Spitzenpolitiker hinter vorgehaltener Hand über den Afghanistaneinsatz sagen.

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