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(picture alliance) Der Manufactum-Hühnerstall, drohendes Symbol der Gentrifizierung in Charlottenburg

Hauptstadttreiben - A propos Gentrifizierung

Cicero-Kolumnist Alexander Marguier macht beim Streifen durch seinen Berliner Kiez einen erschreckenden Fund und muss feststellen, dass die Angst vor unbezahlbarem Wohnraum auch Berlins bessere Viertel befallen hat. Von Hühnerställen, urbaner Selbstversorgung und brennenden Autos.

Im Manufactum-Laden am Ende von meiner Straße verkaufen sie jetzt auch Hühnerställe. Da stellt man sich natürlich erst mal die Frage, wozu so ein Holzkäfig mit zwei Rädern vorne dran mitten in Berlin gut sein soll. Mein erster Gedanke: Unser aller Wohlstand ist durch das ganze Euro- und Finanzkrisendebakel offenbar noch stärker bedroht, als wir uns das trotz täglicher Hiobsbotschaften vorstellen können.

Wenn nämlich Manufactum, das mit seinem Sortiment aus antiquierten Telefonapparaten und überteuerten Ziegenhaar-Staubbesen schon immer der beste Resonanzboden für postmoderne Wohlstandsbürger war, jetzt auch noch einen Hühnerstall vor seine Charlottenburger Filiale stellt, ist das mindestens so beunruhigend wie Michelle Obama, die vor drei Jahren im Garten des Weißen Hauses Gemüsebeete anlegte. Implizite Botschaft: Sollte die Welt unter dem Schuldenberg demnächst zusammenbrechen, kann der vorausschauende urbane Selbstversorger seinen Kalorienbedarf immerhin noch mit ein paar Karotten und gelegentlicher Fleischzugabe aus eigener Produktion decken.

Aber auch das muss man sich erst mal leisten können, schließlich kostet der hölzerne Geflügelpferch 1400 Euro, was selbst im Schillerstraßen-Kiez eine erhebliche Investition darstellt. Denn im Berliner Kontext bedeutet „bürgerliche Wohngegend“ eigentlich nur, dass ein Teil der Bewohner noch über ein eigenes Einkommen verfügt. Und dies wiederum gilt im Juste Milieu der Salonkommunisten und Friedrichshainer Feierabendrevolutionäre als erster entscheidender Schritt zur „Gentrifizierung“.

So lautet denn auch das zentrale Zauberwort im aktuellen Wahlkampf. Dem in Berlin ubiquitären Gentrifizierungs-Gegner ist sehr daran gelegen, dass in seinem Viertel alles beim Alten bleibt, insbesondere Gehaltsniveau, Transferleistungen und heruntergekommene Bausubstanz. Wo aber die Installation einer Zentralheizung gleichbedeutend ist mit bourgeoiser Kampfansage ans Stammproletariat, ist die Welt noch in Ordnung.

Zumindest für Romantiker wie mich und das Berliner Fremdenverkehrsamt, dem das Vermarktungspotential der Hauptstadt als soziales Freilichtmuseum sicherlich sehr gelegen kommt. Insofern sollten auch die Nacht um Nacht abgefackelten Autos in ein positiveres Licht gerückt werden: gewissermaßen als knusprige Event-Beigaben zum kryptorevolutionären Hauptstadt-Spirit. Dann dürfte es auch nicht mehr lange dauern, bis die ersten Szene-Gastronomen Grillabende an brennenden Familien-Vans veranstalten – mit langen Wartelisten als dem üblichen Distinktionsmerkmal.

Womit wir wieder beim Manufactum-Hühnerstall wären und dessen mutmaßlich wahrer Bedeutung: Er ist ein Symbol für die drohende Gentrifizierung Charlottenburgs. Der Subtext kann in diesem Zusammenhang nur lauten: Wenn das so weitergeht, sieht euer neues Zuhause bald so aus. „Die Größe des Hühnerstalls ist speziell an die Anforderungen des privaten Halters angepasst“, heißt es denn auch vielsagend in der entsprechenden Beschreibung. Wem es in diesem von „einem erfahrenen Zimmerermeister und Stallbauer aus Sachsen“ konzipierten Fichtenholzverschlag während der notorisch ungemütlichen Winter an der Spree zu kalt werden sollte, findet bei Manufactum selbstverständlich die passende Zusatzausstattung. Zum Beispiel den „Schwedischen Petroleumofen“ für 298 Euro. Da wird einem am Ende noch richtig warm ums Herz.

 

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