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(picture alliance) Integration muss mehr sein, als Namensschilder an der gleichen Wand

Integration - „Zu viel Verständnis entbindet von Eigenverantwortung“

Beim Thema Integration wird sich dermaßen in die Tasche gelogen, findet Deutsch-Türkin und Lehrerin Betül Durmaz. Im Interview erklärt sie, warum die misslungene Integration die migrantische ebenso wie die deutsche Unterschicht betrifft und warum der Islam zur Humorlosigkeit neigt

Frau Durmaz, nach dem Integrations-Indikatorenbericht der Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer scheint sich besonders im Bereich Bildung ein positiver Trend abzuzeichnen. Wird die Diskussion um die Integration in Deutschland also zu hysterisch geführt?
Ich bin keine Wissenschaftlerin, deshalb kann ich nicht für die gesamte Nation sprechen. Aber bei mir in Gelsenkirchen hat sich gar nichts getan. Nichts hat sich verbessert – im Gegenteil. Momentan mag es zwar keine Aufreger geben, Thilo Sarrazin verhält sich ruhig, aber Fortschritte gab es nicht. Wir haben es nach wie vor mit gettoisierten Schulen in gettoisierten Stadtteilen zu tun.

Von den Migranten in zweiter Generation heißt es aber, die Bildungsorientierung würde steigen, Schulabschlüsse besser werden, viele Einwanderer würden sich Deutschland stärker zugehörig fühlen.
Überhaupt nicht. Ich arbeite mit der dritten und vierten Generation von Migranten und glauben Sie mir, die Bildungsabschlüsse werden bei uns nicht besser. Wir bekommen Briefe vom Schulamt, die sich wundern, dass nur wenige Migranten eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen würden. Mich wundert das nicht.

Warum?
Weil wir es hier meistens mit bildungsfernen oder sogar –ablehnenden Familien zu tun haben. Und das ist ein soziales Problem, das auch in der deutschen Unterschicht zu finden ist. In diesen Familien ist der Sprung aufs Gymnasium milieubedingt oftmals gar nicht vorgesehen.

Wo müsste man also ansetzen, dass das anders wird?
Ich plädiere schon seit Jahren dafür, dass der verpflichtende Kindergarten eingeführt wird. Kinder, die mit sechs Jahren eingeschult werden, brauchen eine Basiskompetenz. Und Schule kann das, was in den Jahren davor vielleicht versäumt wurde, nicht kompensieren. Das betrifft die deutsche ebenso wie die migrantische Unterschicht. Auf der anderen Seite brauchen wir eine andere Methodik, weg von diesem 45-Minuten-Rhythmus. Damit erfassen wir nur eine ganz kleine Gruppe von Schülern. Eine Chantal oder ein Ahmed, die vielleicht gut malen können, werden in diesem vorherrschenden System immer scheitern, weil es auf Auswendiglernen und nicht auf ihr individuelles Potenzial ausgerichtet ist. Auch hochbegabte Schüler brechen hier aus, weil sie sich langweilen. Wir brauchen kleinere Klassen, grundsätzlich doppelt besetzt, die darauf schauen, welche Fähigkeiten unsere Kinder bergen.

Das ist der Gerald-Hüther-Ansatz, der sagt: „Jedes Kind ist hochbegabt.“ Aber kann eine Schule, die nicht entsprechend strukturiert oder konzipiert ist, das überhaupt leisten?
Nein. Ich arbeite seit über einem Jahr im gemeinsamen Unterricht, in dem Förder- und Regelschüler so lange wie möglich gemeinsam beschult werden. Inklusion ist ein wichtiges Thema. Und ich kann Ihnen sagen: Da wird sich dermaßen in die Tasche gelogen! Wir orientieren uns an erfolgreichen skandinavischen Ländern, wie Finnland, wo man in der Oberstufe zu sechst in einer Klasse mit zwei Lehrer nach individuellen Stundenplänen unterrichtet wird. Aber investieren will hierzulande keiner!

Sie haben die Versäumnisse angesprochen, bei denen es bis zur Einschulung kommen kann. Was ist so wichtig an der frühkindlichen Förderung?
Kinder lernen spielend die deutsche Sprache. Wer sie erst ab dem sechsten Lebensjahr erlernt, lernt sie wie eine Fremdsprache. Wer im Kindergarten einen deutschen Freund hat, wird sich niemals abwertend über Deutsche äußern. Hier werden soziale Kompetenzen gefördert, Beziehungen entstehen, auch zwischen den Eltern. Derweil bietet die hiesige Regierung eine Herdprämie an, die meiner Meinung nach ein gänzlich falsches Signal sendet.

Seite 2: Die Herdprämie setzt das falsche Signal

Aber sollte es den Eltern nicht freigestellt sein, ob sie ihre Kinder selbst erziehen wollen oder in die Hand des Staates geben?
Wenn es um Integration geht, schadet das Betreuungsgeld dem Kind mehr, als es ihm nützt. Ein Mittelstandskind kommt mit mit ca. zwei- bis dreitausend Vorlesestunden in die Grundschule. Andere Kinder hatten bis dahin noch nicht mal einen Stift in der Hand. In der ersten Klasse sollen dann diese Kinder gemeinsam beschult werden. Bei einer Klassengröße von bis zu 24 Kindern ist das schier unmöglich.

Dann sind Sie hier mit Ihrer Meinung ganz nah an Heinz Buschkowsky, der die Kita-Pflicht gerade für Migrantenkinder ab einem Jahr fordert.
Grundsätzlich bin ich für den verpflichtenden Kindergarten, so früh wie möglich. Ich würde das aber nicht nur an der Ethnie festmachen. Nicht die geografische Herkunft bedingt das Scheitern, sondern die soziale. Wenn alle Einjährigen in den Kindergarten sollen, dann bitte aber nicht nur die mit schwarzen Haaren oder braunen Augen. Da brauchen wir eine gesetzlich einheitliche Regelung.

So wie bei Sprach- und Integrationskursen, nicht nur für die Kinder, auch für Erwachsene?
Natürlich ist die Sprache eine Grundvoraussetzung für Integration, aber auch Arbeit und Beschäftigung. Die erste Generation an Einwanderern, die Generation meiner Eltern, war deutlich besser integriert als die heutige. Die hatten Arbeit. Durch die Globalisierung sind in vielen Bereichen einfache Tätigkeiten weggebrochen. Und was bleibt diesen Menschen dann noch? Sie besinnen sich auf ihrer Religion und Tradition. Sie ziehen sich zurück und schaffen einen Bereich, in dem sie sich aufwerten können. Was mich dabei aber am meisten ärgert, ist dieses „wir haben Verständnis für alles“. Sprach- und Integrationskurse für Kinder und Erwachsene beispielsweise müssen meiner Meinung nach an Bedingungen geknüpft werden, sonst legitimieren wir die Unfähigkeit der Menschen, Verantwortung zu übernehmen. Wenn jemand nach einem Jahr seinen Sprachtest nicht schafft, dann muss er ihn eben selbst finanzieren. Bei meinem Bruder und mir ist wahrlich auch nicht alles glatt gelaufen. Trotzdem sind wir zu dem geworden, was wir heute sind.

Dass sich Schulen Migrantenfamilien gegenüber also multikulturell öffnen wollen, ist falsch verstandene Solidarität?
Muttersprachlichen Ergänzungsunterricht finde ich wunderbar. Darum geht es nicht. Ich verstehe einfach nicht, warum diesen Menschen die Eigenverantwortung abgenommen wird. Warum wird diese Verantwortung gänzlich auf die Gesellschaft abgeschoben? Jeder muss seinen Beitrag leisten. Und zu viel Verständnis führt zu Verantwortungslosigkeit.

Wie steht es um das Verständnis für Islamunterricht an deutschen Schulen?
Islamunterricht war bisher keine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Leute hatten ihre Ausbildung im Ausland erworben und keiner wusste so genau, was da vermittelt wurde. Erst jetzt ist es ein Studienfach, das man auch in Deutschland belegen kann. Und das finde ich auch richtig so.

In Ihrem Einzugsgebiet haben ca. 60 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. Wie steht es hier um die „Deutschenfeindlichkeit“ in „deutschen“ Klassenzimmer? Stimmt der Eindruck, dass in den Klassenzimmer ethnische Kämpfe toben?
Ja, an meiner Förderschule bleiben einzelne Gruppen unter sich und die migrantische Unterschicht hackt auf der deutschen herum. Man versucht sich aufzuwerten, indem man andere niedermacht. Das hat soziale Gründe, man bleibt eben unter sich. Es werden keine Freundschaften angestrebt und auch von zuhause aus nicht gefördert.

Seite 3: Der Islam neigt zur Humorlosigkeit

Eine Art Kulturkampf im Kleinen. Könnten man den unterbinden, wer weiß, vielleicht würde dann auch irgendwann kein Schmäh-Video mehr für solche Aufregung sorgen…
Ach, zum Schmäh-Video hätte ich auch noch so viel sagen können, weil mich das so aufregt!

Was regt Sie denn auf?
Die Zurückhaltung der deutschen Politiker. In Deutschland gibt es eine Presse- und Meinungsfreiheit, und ich finde, der Islam neigt zu einer solchen Humorlosigkeit. Es gibt so viele Karikaturen über Frau Merkel und andere große Politiker. Da werden keine Häuser angezündet oder gar ein Konsul getötet.

Frau Merkel ist auch weder eine zentrale religiöse Leitfigur, noch lebt sie in Bengasi.
Ja, aber bei allem, was den Islam betrifft, heißt es immer gleich: „Ach, das tut uns jetzt aber wirklich leid…“ Anstatt, dass sich einer hinstellt und sagt: Sorry, aber hier herrscht Meinungsfreiheit! Das vermisse ich.

Sie sind doch aber selbst Muslima.
Ja, aber eine ganz humorvolle.

Sie können also über Mohammed-Karikaturen und Schmäh-Videos lachen?
Ich wundere mich einfach über eine solche Eskalation. Jeder Idiot kann so etwas ins Netz stellen, aus der rechten Ecke, Salafisten, einfach nur, um zu provozieren.

Aber die Frage ist doch, warum es zu so einer derartigen Eskalation kommt. Könnte man der islamischen Welt nicht einfach etwas Humor beibringen?
Geschmack und Humor kann man nicht kaufen und schon gar nicht anerziehen. Da mangelt es ganz einfach an Aufklärung.

Was wir also an Luther hatten, wird dort noch vermisst?
Ja, wir brauche eine geistige Revolution! Bisher hinken wir noch etwas nach…

Kommt das noch?
Ich hoffe doch sehr. Ich bin doch auch schon angekommen!

Frau Duramz, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sarah Maria Deckert

„Ich kann die Welt nicht retten, aber ich kann für meine Schüler da sein.“ Betül Durmaz ist Deutsche mit Migrationshintergrund, Muslimin, alleinerziehende Mutter und unterrichtet an einer Schule in Gelsenkirchen, in der die meisten Schüler als „sozial problematisch“ gelten. In ihrem Buch „Döner, Machos und Migranten“ hat sie ihr Leben, ihren Alltag aufgeschrieben.

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