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Alternative für Deutschland - Lob der Eurokritik

Deutschland hat eine neue Partei. Man muss kein Freund der Eurogegner sein, um zu der Einschätzung zu kommen, dass diese der Europadebatte und der Demokratie gut tun könnten

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Seit Sonntag gibt es eine neue Partei in Deutschland: die Alternative für Deutschland. Fünfeinhalb Monate vor der Bundestagswahl haben sich die deutschen Eurogegner zusammengeschlossen, um die etablierte Politik bei der Bundestagswahl herauszufordern. Noch ist völlig unklar, welche Wahlchancen die AfD hat. In größter Eile muss sie nun Parteistrukturen aufbauen und einen Wahlkampf organisieren. Die Zeit bis zur Bundestagwahl ist knapp. Bei CDU und CSU schrillen bereits die Alarmglocken. Denn selbst wenn die AfD bei der Bundestagswahl im September nur zwei oder drei Prozent holt, könnten diese der Union bei einem knappen Wahlausgang fehlen.

Es mag sein, dass der Weg zurück zur D-Mark und zurück zu europäischer Kleinstaaterei ein gefährlicher Irrweg ist. Es mag sein, dass die Rettung des Euro und die Rettung der europäischen Idee die vielen Milliarden wert sind, die Deutschland dafür in den letzten Jahren bezahlt hat. Es mag zudem sein, dass die neue Partei auch fragwürdige politische Gestalten anlockt und es der AfD schwerfällt, sich gegenüber rechtsextremen und nationalistischen Tönen abzugrenzen.

Trotzdem ist es völlig falsch, die Parteigründer nun als Eurohasser oder Wohlstandschauvinisten abzustempeln. Im Gegenteil: Viele ihrer Einwände gegen den Euro und den Kurs bei der Eurorettung sind bedenkenswert. Ihre Warnungen vor den Gefahren für die Demokratie völlig berechtigt.

[gallery:Eine kleine Geschichte des Euro]

Der Populismus-Vorwurf gegen die AfD ist zugleich wohlfeil. Denn erstens verzichten auch Union und SPD in der Europadebatte nicht auf populistische Töne und zweitens kann eine populistische Zuspitzung helfen, den Wählern zu Orientierung zu verhelfen. Ein bisschen mehr Populismus kann in Sachen Europa also nicht schaden.

Selbst glühende Europäer und glühende Anhänger des Euro sollten es deshalb begrüßen, dass sich jetzt die Europa-Kritiker und Eurogegner in einer Partei organisieren. Es ist schließlich nicht zu übersehen, dass die Europadebatte in den letzten Jahren in eine gefährliche Schieflage geraten ist und die Demokratie in vielen europäischen Ländern Schaden genommen hat:

1. Die Brüsseler Euro-Retter haben zuletzt einen ziemlich ratlosen Eindruck hinterlassen. Anders ist nicht zu erklären, dass etwa bei der Rettung Zyperns innerhalb einer Woche völlig gegensätzliche Beschlüsse gefasst wurden. Für die absehbaren Rettungsprogramme in Italien und Spanien lässt dies das Schlimmste befürchten.

2. Zugleich ist die Eurorettung zu einer ziemlich technokratischen Veranstaltung verkommen, bei der vor allem Europabürokraten die Feder führen. Demokratisch gewählte Regierungen wurden von den Eurorettern aus dem Amt gedrängt und demokratisch gewählten Parlamenten wurden aus Brüssel die Sparpläne diktiert. Und wenn Wahlen kein genehmes Ergebnis hervorgebracht haben, dann wurden sie wiederholt.

Seite 2: Repräsentative Demokratie lebt von Kontroverse auch bei den großen Fragen der Zeit

3. Die Bundesregierung und allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel haben zuletzt völlig darauf verzichtet, ihren zögerlichen und zum Teil völlig widersprüchlichen Kurs in Sachen Eurorettung zu erklären und den Wähler europapolitisch mitzunehmen. Die Plädoyers für mehr Europa und eine politische Union sind weitgehend verstummt.  

4. Die Euro-Kritiker in den Reihen von Union und FDP sind kaltgestellt. Sie genießen innerparteilich zwar eine gewisse Narrenfreiheit, aber ihre parlamentarischen Mitwirkungsrechte mussten sie sich mehr als einmal vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten.

5. Die Opposition hat in der Euro-Debatte ihre Rolle nicht wahrgenommen. Teils aus Überzeugung, teils aus staatspolitischer Verantwortung haben SPD und Grüne die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung unterstützt, ihr sogar zu parlamentarischen Mehrheiten verholfen, die sie in den eigenen Reihen nicht mehr hatte. Die Linkspartei war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um europapolitische Akzente zu setzen.

Die repräsentative Demokratie lebt jedoch davon, dass die großen Fragen der Zeit öffentlich und kontrovers diskutiert werden und sie lebt davon, dass sich in ihrem Parteiensystem alle großen gesellschaftlichen Konfliktlinien widerspiegeln. Zweifelsohne gehört dazu die Frage, wie es in Europa weitergehen soll.

In Sachen Europa haben die etablierten Parteien also eine politische Vertretungslücke entstehen lassen. Es ist somit folgerichtig, dass eine eurokritische Partei diese Vertretungslücke besetzt und in die Wahlkampfarena steigt.

Glaubt man Umfragen, dann kann sich jeder vierte Deutsche vorstellen, bei der Bundestagswahl im September eine eurokritische Partei zu wählen. Zwar ist dieses Bekenntnis sehr vage und die AfD muss erst noch zeigen, dass sie einen Wahlkampf erfolgreich bestreiten kann.

Doch mit der Gründung der AfD wird sich die Euro-Debatte verändern. Vor allem die CDU schimpft auf die neue Konkurrenz von rechts. Die Euroanhänger werden gleichwohl gezwungen, ihre Argumente zu schärfen und beim Wähler wieder für die europäische Idee zu werben. Der demokratischen Willensbildung in Deutschland und auch in Europa kann das nur gut tun.

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