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Illustration: Jan Rieckhoff

Krisendebatte - Eurokritik wird in der gemäßigten Linken salonfähig

Sozialdemokratische Vordenker zweifeln am Euro, statt ihn politisch neu zu gestalten – ein nostalgisch-konservativer Irrweg 

Autoreninfo

Henrik Enderlein ist Wirtschaftsprofessor an der Hertie School of Governance. Bei Campus erschien "Nationale Wirtschaftspolitik in der Europäischen Währungsunion".

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Es ziehen in Europa Konflikte heran, die mehr denn je nach politischen Lösungen rufen. Sobald das abklingende Gewitter um Staatsfinanzen, Anleiheankäufe und Nothilfen den Blick wieder freigibt, wird ein veränderter Kontinent zutage treten.

Dann werden wir feststellen, dass diese Krise vor allem politischer Natur ist und Fragen stellt nach der Spannweite und Tragfähigkeit eines paneuropäischen politischen Gemeinwesens. Fragen, die wir inhaltlich beantworten müssen, anstatt wie üblich Schattengefechte um Abstimmungsmodalitäten oder Protokollklauseln auszutragen. Denn technokratische Lösungen am Reißbrett, wie wir sie in der Krise zu häufig gesehen haben, verlieren schon heute ihre Legitimation.

[gallery:Eine kleine Geschichte des Euro]

Streit verändert gesamtes Parteienspektrum


Eine lauter werdende Debatte in der deutschen Linken zeigt, dass der Streit über eine Politisierung Europas das gesamte Parteienspektrum stark verändern könnte. Die Euro-Skepsis gewinnt nämlich nicht nur am rechtsintellektuellen Rand an Befürwortern. Auch immer mehr anerkannte sozialdemokratische Vordenker wie Fritz W. Scharpf oder Wolfgang Streeck, beide vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, stellen die Gemeinschaftswährung offen infrage. Streeck sieht in seinem aktuellen Buch „Gekaufte Zeit“ gar das Ende des demokratischen Kapitalismus nahen.

Noch sollte niemand in eine solche Kritik hineinlesen, die äußeren Ränder des linken und rechten politischen Spektrums näherten sich einander an. Die linken Kritiker lehnen den Euro nicht wie ihre nationalkonservativen Counterparts aus Inflationsangst oder merkantilistischer D-Mark-Nostalgie ab. Sie sehen sich aber spätestens jetzt in ihren Zweifeln bestätigt, dass aus dem heutigen Euro-Projekt niemals ein sozial gerechtes und inhärent demokratisch verfasstes Europa erwachsen wird.

Linke Kritiker sind überzeugte Europäer


Dennoch müssen wir diese Kritik ernst nehmen, weil es sich bei den linken Kritikern um überzeugte Europäer handelt. Sie macht deutlich, dass der Ruf nach „mehr Europa“ nur dann überzeugend ist, wenn er mit politischem Inhalt gefüllt wird. Wenn Scharpf fordert: „Rettet Europa vor dem Euro!“, dann spricht aus dieser Formel die Angst, dass die für die Vollendung des Euro-Projekts notwendigen Integrationsschritte die europäischen Demokratien überfordern könnten. Die Skepsis gilt auch dem oft verbreiteten Ruf nach den „Vereinigten Staaten von Europa“. Diese Formel provoziert die Sorge, der europäische Einigungsprozess könnte sich in einem weitgehend politikfreien Raum immer weiter beschleunigen und am Ende von den vergessenen demokratischen Fliehkräften zerrissen werden.

Keine plötzliche Genesung mit alten Währungen


Schlüssig ist die linke Kritik am Euro dennoch nicht. Dass der Euro in seiner jetzigen Struktur mit mangelnder Legitimationsgrundlage und dysfunktionaler Wirtschaftsregierung nicht wirklich funktioniert, erklärt noch lange nicht, warum mit den alten nationalen Währungen plötzlich alles wieder besser wäre. Der Euro wurde als logische Fortsetzung des wirtschaftlichen Integrationsprojekts Europa eingeführt. Wer freie Handels- und Kapitalflüsse zwischen Ländern befürwortet, muss eine Antwort darauf geben, was wichtiger ist: feste Wechselkurse oder eine auf die Binnenkonjunktur jedes einzelnen Landes ausgerichtete Geldpolitik? Beides zusammen geht nicht.

Schwächen nationaler Währungen


Der brutale Abwertungswettlauf zwischen den europäischen Nationen in den Achtzigern oder auch der Zusammenbruch des europäischen Wechselkurssystems von 1992 sind die besten Beispiele der Schwächen eines Systems nationaler Währungen. Wer die freien Handels- und Kapitalflüsse grundsätzlich infrage stellt, wünscht sich eine Rückkehr zu Protektionismus und Nationalökonomien. Also ein „Bretton Woods für Europa“, wie Streeck es fordert. Dann wäre die Wiedereinführung nationaler Währungen aber nur der Anfang eines breiteren Renationalisierungsprozesses, der uns ins Zeitalter der Nachkriegsjahrzehnte zurückkatapultierte. Ist das eine echte Option für die Linke?

Immense Risiken durch Systembruch


Schon der Anfang des Weges birgt mehr Gefahren als Chancen. Noch jeder bisherige Vorschlag zur Auflösung des Euro endet früher oder später bei Grenzpatrouillen, wochenlangen Schließungen von Bankensystemen oder Kapitalkontrollen. Solche Rezepte aus den Siebzigern lassen sich vielleicht in einem Zwergstaat wie Zypern umsetzen, aber sicherlich nicht in einem grenzenlosen europäischen Wirtschaftsraum mit 330 Millionen Menschen und einem vollständig vernetzten Bankensystem. Die Risiken durch einen Systembruch sind für die europäischen Volkswirtschaften immens – und die Kosten im Vorfeld nicht abschätzbar. Gezielt wurde die Währungsunion so angelegt, dass eine Trennung mit exorbitanten Kosten verbunden ist.

Es ist zudem unmöglich, dass nationale Währungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion per Dekret wieder eingeführt werden. Niemand ist in einer Demokratie legitimiert, ein solches Dekret zu erlassen, das Millionen Menschen enteignen würde. Ein solcher Schritt schwächte das Vertrauen in die Gerechtigkeit unseres politischen Systems massiv.
 

Wie kann weitere Integration aussehen?


Anstatt einer absurden Tabula rasa das Wort zu reden, sollten deshalb gerade sozialdemokratische Gesellschaftsmodelle die Frage aufwerfen, wie eine transnationale, wirtschaftspolitische Integration demokratisch legitimiert, regiert und kontrolliert werden könnte. Der US-Politikwissenschaftler Robert Dahl hat die historische Entwicklung von Demokratien einmal in drei Phasen beschrieben: vom Stadtstaaten-Modell über das Nationalstaaten-Modell hin zur „globalen Interdependenz“.

Europa ist der innovativste Versuch, diese wechselseitige Abhängigkeit demokratisch regierbar zu machen, ohne dafür das nationalstaatliche Modell auf höherer Ebene einfach zu reproduzieren. Dazu gehört auch das Wagnis, eine Währung ohne Staat zu schaffen. Und nach einem europäischen Superstaat ruft nicht einmal Jürgen Habermas, der stattdessen von einem „supranationalen, demokratisch verfassten Gemeinwesen“ spricht. Das ist zwar kein griffiges Konzept, dafür aber eine kluge theoretische Blaupause, die es politisch anzureichern gilt.

„Ausnahmeföderalismus“ denkbar


Notwendig sind dafür weder umfassende Eurobond-Konstrukte noch weitreichende Machtverschiebungen nach Brüssel oder langfristige monetäre Transfers in nur eine Richtung. Denkbar wäre auch ein „Ausnahmeföderalismus“: In normalen Zeiten regiert der Nationalstaat, in Krisenzeiten nähert sich das System über Solidaritätsmechanismen in der Bankenunion und einer Fiskalunion einem föderalen Solidaritätssystem an – im Gegenzug für Souveränitätsabtretung. Wir brauchen dafür allerdings dringend ein stimmiges Legitimationskonzept. Fritz Scharpf hat zu Recht immer wieder darauf verwiesen, dass Europa sich vor allem über Politikergebnisse legitimiert (Output-Legitimation), aber dann an seine Grenzen stößt, wenn sich Entscheidungen durch ihren Entstehungsprozess legitimieren müssten (Input-Legitimation). Und genau das ist der Fehler des Euro-Projekts. Doch er lässt sich beheben.

Demokratische Rechenschaftspflicht fehlt


Deshalb muss heute gerade die politische Linke eine europäische Wirtschaftsregierung einfordern und dabei vor allem auf mehr demokratische Rechenschaftspflicht pochen: Technokratische Gebilde wie der Europäische Stabilitätsmechanismus, die Euro-Gruppe oder auch die Troika verfügen heute über viel zu viel Macht, ohne dafür auch nur ansatzweise demokratisch legitimiert zu sein. Es muss auf europäischer Ebene institutionalisierten politischen Streit geben können. Dafür lohnt es zu streiten. Und die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 bieten eine ausgezeichnete Gelegenheit.

[gallery:Europäische Einigung]

Isolationismus keine Lösung


Denn die Debatte um Europa und den Euro ist für die Zukunft der gesamten Sozialdemokratie von Bedeutung. Die Linke hat oft mit Skepsis auf globale oder regionale wirtschaftliche Integrationsprozesse geblickt. Doch den Euro heute für gescheitert zu erklären, kommt einer politischen Kapitulation vor der Globalisierung gleich. Denn bei allen Unterschieden zwischen nationalkonservativen und linken Euro-Kritikern: Sie teilen die Überzeugung, dass der Nationalstaat die bessere Instanz im Umgang mit der Globalisierung ist. Kurzfristig und in Krisenzeiten mag das stimmen. Aber in einem längeren Zeitrahmen sind die Herausforderungen unserer Zeit nicht durch Isolationismus zu lösen – gerade in Europa nicht und gerade nicht in Zeiten des wirtschaftlichen und politischen Aufschwungs in Asien, Lateinamerika und hoffentlich bald auch Afrika.

Nostalgisch-konservative Sackgasse


Und so könnte sich an der Diskussion um den Euro in der Linken entscheiden, ob das sozialdemokratische Gesellschaftsmodell bei aller berechtigten Kritik an der Art, wie die Globalisierung sich heute vollzieht, noch an die Kraft der Politik glaubt. Der Wunsch nach einer Rückkehr in die Welt der Nachkriegsjahrzehnte, mit Zöllen, geschlossenen Grenzen und Kapitalkontrollen, führt die Linken jedenfalls in eine nostalgisch-konservative Sackgasse. Sozialdemokratische Gesellschaftspolitik muss stattdessen versuchen, eine Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten politisch zu gestalten.

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