Wirtschaftskrise durch Corona - „Scheiße, wir haben Angst pleite zu gehen“

Geschlossene Restaurants, Bars, Klubs, Museen und Theater wegen Corona – die Selbstständigen in Deutschland haben Angst um ihre Existenz. In vielen Regionen entstehen nun Initiativen, bei denen Kunden ihren Lieblingsorten durch die Krise helfen sollen. Eine Gutschein-Idee aus Berlin könnte erfolgreich sein.

Sperrstunde an der Spree / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Karsten Kossatz ist Initiator von „Helfen.Berlin“ und Geschäftsführer des Kreativbüros Plain.

Herr Kossatz, Sie haben wegen der Coronavirus-Krise die Initiative „Helfen.Berlin“ ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?
Es geht um die Rettung unserer Lieblingsorte in Berlin. Restaurants, Bars, Klubs, aber Kinos, Theater, Museen und alle möglichen kleinen Läden. Die machen im Moment überhaupt keinen Umsatz. Damit stehen viele weitgehend vor der Insolvenz. Wir wollen, dass unsere Stadt nach Krise nicht so aussieht, dass jedes zweite Restaurant geschlossen bleibt, weil es pleite ist.

Wie kann man sich die finanzielle Lage etwa der vielen Gastronomie-Besitzer vorstellen?
Viele meiner Freunde sind Gastronomen, in dem Wirtschaftsnetzwerk „Außergewöhnlich Berlin“ tauschen wir uns ebenfalls sehr viel über die aktuelle Lage in der Coronavirus-Krise aus. Im Grunde melden wirklich alle: Unsere Ressourcen sind begrenzt. Es fallen weiter Mietkosten und Personalkosten an. Viele entlassen bereits Mitarbeiter oder melden Kurzarbeit an. Die Kosten summieren sich ohne Umsatz auf ein Maß, das nur sehr wenige als Rücklage haben.

Wie wollen Sie da helfen?
Die Idee ist eine Online-Plattform, auf der jeder Gutscheine von seinen Lieblingsorten erwerben kann. Man kauft also jetzt, konsumiert aber erst später. Wenn man sowieso jede Woche in sein Lieblingslokal gegangen ist und vielleicht 30 Euro ausgegeben hat. Dann kann man den Betrag, den man vielleicht in einem Monat ausgeben würde, jetzt ausgeben. Wenn die Krise überstanden ist, kann man ihn dann einlösen.

Eine Art privat gewährter Mikrokredit, damit die Lieblingskneipe liquide bleibt?
Gutscheine trifft es tatsächlich besser. Denn es geht uns um Solidarität. Die Gegenleistung besteht auch nicht darin, dass man sein Geld zurückbekommt, sondern die jeweilige Leistung, die man sowieso bezogen hätte, nur jetzt eben zeitverzögert.

Wie kam Ihnen diese Idee?
Mir ist klar geworden, dass zu meiner Identität auch meine Lieblingsklubs, Lieblingsbars und Lieblingsrestaurants gehören. Solche Orte machen unsere Stadt doch erst lebenswert. Ich habe von so viele Seiten mitbekommen: Scheiße, wir haben Angst, dass wir pleite gehen. Dann habe ich Freunde, Bekannte und Kollegen angerufen. Darunter sind Programmierer, Juristen, Texter. Dann haben wir einfach losgelegt. Ehrenamtlich versteht sich. Wir machen hier keinen Profit. Es geht nicht darum, dass jetzt mit der Krise Geld verdient wird. Die Beträge fließen direkt an die Läden. Es kommen nur vielleicht ein paar Bankgebühren wie etwa von Paypal dazu, weil es sich nicht um private Zuwendungen handelt.

Wie sieht die technische Umsetzung aus?
Im Grunde ist das einfach ein Onlineshop. Dort kann man seinen Kiez auswählen. Man sieht, welche Läden alle dabei sind. Dann kann ich entscheiden, wen ich gerne mit 10, 25, 50 oder 100 Euro unterstützen möchte.

Wie können die Betreiber bei Ihrer Initiative mitmachen?
Es reicht, eine Email zu schreiben an bitte@helfen.berlin. Dann antworten wir und sagen, welche Informationen wir alle benötigen. Dann stellen wir den Lieblingsort online. Es können aber auch Läden von Kunden selbst vorgeschlagen werden. Dann schreiben wir die Besitzer aktiv an.

Wer viel Unterstützung erfahren Sie bereits?
Die Rückmeldungen der Kunden sind schon jetzt gewaltig. Es haben sich schon vor dem offiziellen Start 93 Kiezläden gemeldet, darunter die Sharlie Cheen Bar in Mitte, das Deutsche Spionagemuseum, Mampes Neue Heimat in Kreuzberg, der Jazzklub Yorkschlösschen und das Ristorante 41quarantuno in Schöneberg, das Kunst- und Kulturhaus Urban Spree auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain oder das Schwuz in Neukölln. Die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop unterstützt unsere Idee, die Berliner Clubcommission, das Intoura-Netzwerk touristischer Attraktionen Berlin und Außergewöhnlich Berlin.

Aus Hamburg ist zu hören, dass es ähnliche Ideen gibt. Stehen Sie in Kontakt mit Selbstständigen in anderen Städten?
Ja, zum Beispiel in Mainz oder in München und auch im Ruhrgebiet. Wir schreiben und telefonieren den ganzen Tag, tauschen uns aus und übernehmen die jeweils besten Ideen voneinander. Für alle gilt, je mehr mitmachen, desto besser werden wir diese extrem schwierige Phase überstehen können.

Das Interview führte Bastian Brauns, Ressortleiter Wirtschaft bei Cicero.

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