Sondersitzung zum Wirecard-Skandal - Ein ganz besonderer Anlass

Die Gefahr für Olaf Scholz war nie so groß. Doch statt in der Wirecard-Ausschusssitzung zu überraschen, blieb der mögliche SPD-Kanzlerkandidat bei seiner Version, alles richtig gemacht zu haben. Auch am Bafin-Chef Felix Hufeld scheint er festzuhalten. Wie lange soll das noch weitergehen?

Scholz wie immer / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Ob Hochzeit oder Abschlussball – zum Friseur gehen Menschen gerne vor ganz besonderen Anlässen. Der Bundesfinanzminister geht zum Friseur, bevor er in den Ausschuss muss. Vielleicht fürchtete Olaf Scholz, dass ihm heute das ein oder andere Haar in der Sondersitzung des Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal gekrümmt werden könnte. Eine gute Stunde bevor die für ihn unangenehme Sitzung im Bundestag begann, saßen jedenfalls irgendwo zwischen Spree und Friedrichstraße die Fahrer in den Regierungslimousinen und warteten auf den Vizekanzler. Als dieser schließlich aus dem Frisiersalon heraustrat, musste man aber schon sehr genau hinsehen, um überhaupt einen optischen Unterschied zu vorher festzustellen. Scholz sah aus wie immer. Nur das Hemd einen Knopf weiter geöffnet als sonst und keine Krawatte.

So unspektakulär wie der Friseurbesuch des möglichen SPD-Kanzlerkandidaten in spe war dann dem Vernehmen nach auch sein Besuch in der Wirecard-Sondersitzung. Scholz ist kein Politiker für Überraschungen. Er setzt auf Bewährtes. Einmal wie immer – ob Haarschnitt, Cum-Ex oder Wirecard. Scholz blieb im Finanzausschuss erwartbar auf dem Standpunkt, seine Finanzbehörden, insbesondere die Bafin, hätten korrekt gehandelt, nämlich im Rahmen des rechtlich Möglichen. Wie es trotz diesem angeblichen Befolgen der bestehenden Regeln zum nun größten Finanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte kommen konnte? Sicher, die Bafin braucht mehr Befugnisse. Sicher, auch die Wirtschaftsprüfer von EY, die sich unter anderem gefälschte Bilanzkopien haben geben lassen, trifft eine Mitschuld, auch hier braucht es Reformen, die Sache des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU) wären. Nach Cicero-Informationen aber soll sich der ebenfalls zur Sondersitzung geladene Altmaier wohl schützend ausgerechnet vor EY gestellt haben.

Die Story vom ewigen Startup

Doch seit Jahren war bekannt, dass Wirecard eben nur zum einen ein Technologie-Konzern ist, der nicht in die Zuständigkeit der Bafin fällt. Zum überwiegend anderen Teil aber war und ist Wirecard schlicht ein Finanzdienstleister. Und im Grunde eben dann doch nichts anderes als eine Bank. Es ist schwer, eine Branche zu finden, die ihren Zahlungsverkehr nicht über Wirecard hat abwickeln lassen. Aber die Politik ließ sich die Wirecard-Story vom ewigen Startup immer wieder verkaufen: So ein „Startup“, das muss eben aggressiv wachsen in der heutigen Zeit, in der die Googles, Alibabas, Tencents und Amazons von ihren Regierungen die nötige Beinfreiheit längst bekommen haben und Deutschland nicht auf ewig digitales Neuland bleiben soll. Doch Wirecard war kein Startup mehr, sondern ein windiger Weltkonzern, der die Commerzbank aus dem Dax verdrängte – zu Unrecht.

Für Olaf Scholz wird es also immer schwieriger, die Version zu halten, man habe das Mögliche getan und schärfe nun nach. Gesetzliche Änderungen immer erst reaktiv zu forcieren, wenn es schon zu spät ist, ist zwar das Mindeste, aber eben nicht das Notwendige. Ein Rücktritt des Präsidenten der Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld, erscheint immer unausweichlicher. Gleich zweimal soll er im Fall Wirecard vor dem Finanzausschuss gelogen haben. Der Austausch seiner Bafin mit Behörden in Singapur, die mögliche Erkenntnisse zu den Wirecard-Ungereimtheiten hätten bringen können, sei ohne Erkenntnisse geblieben, weil er „bis heute auf eine Antwort“ warten würde. Nach Spiegel-Recherchen hat die Bafin nun aber zugegeben, dass durchaus Kontakt bestanden habe und vonseiten Singapurs Informationen „zur Verfügung“ gestellt wurden.

Fragwürdige Bafin-Spitze

Sowohl die Vorsitzende des Finanzausschusses, Katja Hessel (FDP), als auch der Obmann der Linken, Fabio de Masi, fordern nun Hufelds Rücktritt. Zu Cicero sagte de Masi nach der Befragung des Finanzministers: „Herr Scholz muss an der Bafin-Spitze endlich durchgreifen angesichts der Widersprüchlichkeiten von Herrn Hufeld!“ Während Scholz sich noch immer vor den Bafin-Chef stellt, ist aus dem SPD-geführten Justizministerium (BMJV), das beim Wirecard-Skandal ebenfalls eine Rolle spielt, anderes zu hören. Hochrangige Mitarbeiter rechnen nach Cicero-Informationen damit, dass Felix Hufeld „wohl nicht mehr zu halten ist“. Es sei wahrscheinlich „keine Frage von Monaten, sondern von Wochen“, heißt es. Womöglich wartet Scholz noch auf den richtigen Moment. Für ihn bringt ein Rausschmiss Hufelds nichts, solange er selbst nicht aus der Schusslinie ist.

Dabei müsste der Finanzminister sich nicht nur den Präsidenten Felix Hufeld hinterfragen, sondern auch die Vize-Präsidentin Elisabeth Roegele. Diese war einst Chefjuristin bei der Dekabank und versuchte als solche Gewinne aus illegalen Cum-Ex-Geschäften von deutschen Behörden zurückzuklagen. Dass so jemand unter Scholz ausgerechnet zur stellvertretenden Leiterin einer Aufsichtsbehörde gemacht wird, ist nicht verboten, aber fragwürdig und trägt nicht zur Vertrauensbildung bei.

Zeit für einen Untersuchungsausschuss

Doch bei aller Fokussierung auf den Finanzminister – nicht nur Olaf Scholz sollte sich erklären müssen. Zu groß ist die Gefahr politischer Spielchen des Unions-Koalitionspartners. Die Wirecard-Affäre ist längst im Kanzleramt und damit auch bei Angela Merkel und ihrem Kanzleramtschef Helge Braun angekommen. Hier ein Treffen mit Karl-Theodor zu Guttenberg, der für Wirecard auf Werbetour im ganzen Regierungsviertel gewesen zu sein scheint. Dort ein Werben für Wirecard in China. Und dazwischen immer wieder die Beteuerung, diese und jene Erkenntnisse, die längst in englischen und auch in deutschen Zeitungen zu lesen waren, hätten die Kanzlerin nicht erreicht.

Für einen Untersuchungsausschuss würden die Stimmen von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten benötigt. Linke und AfD haben sich bereits dafür ausgesprochen. FDP und Grüne wollten ihre Entscheidung vom Auftreten des Finanzministers abhängig machen. FDP-Finanzausschuss-Mitglied Florian Toncar will seiner Fraktion nun einen Untersuchungsausschuss empfehlen. Lisa Paus hingegen, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, aber sagte, sie sei „soweit zufrieden“. Der Bundesregierung wolle sie jetzt nochmal „deutlichen Kredit“ geben, um gemeinsam die Aufklärung voranzubringen.

Weil FDP und Linke wohl aber nicht mit der AfD werden stimmen wollen, geht ohne die Grünen nichts. Doch es ist Zeit für einen Untersuchungsausschuss, bei dem auch die Kanzlerin geladen werden muss. Ob Angela Merkel vor diesem besonderen Anlass dann wie ihr Vize-Kanzler auch zum Friseur gehen wird, ist dabei die am wenigsten wichtige Frage.

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