Forderung nach Vier-Tage-Woche - „Für keine Branche sinnvoll“

Wegen der Wirtschaftskrise fordern Gewerkschaften die Einführung der Vier-Tage-Woche. Der Arbeitsmarktexperte Enzo Weber dagegen kann der Forderung nichts abgewinnen. Im Interview mit „Cicero“ sagt er, womit den Beschäftigten und Unternehmen tatsächlich geholfen wäre.

Kommt die Stechuhr in Zukunft einen Tag weniger in der Woche zur Anwendung? / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber, Jahrgang 1980, ist seit 2011 als Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg tätig und zudem Lehrstuhlinhaber an der Universität Regensburg.

Herr Prof. Weber, die IG Metall macht sich derzeit für eine Vier-Tage-Woche stark und stößt damit auf offene Ohren bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Man kennt solche Vorstöße aus den 1990er Jahren. Warum kommen sie jetzt wieder auf die Agenda?
Arbeitszeitverkürzung an sich ist ja eine Forderung, die schon lange vorgebracht wird, nicht nur in Rezessionszeiten, aber eben besonders dann. Weil in einer Rezession nämlich der Arbeitskräftebedarf aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche sinkt und zusätzlich noch ein struktureller Wandel absehbar ist – und also davon auszugehen ist, dass bestimmte Jobs in bestimmten Branchen weniger gebraucht werden. In solchen Situationen ist der Gedanke naheliegend, die verbleibende Arbeit auf alle Schultern zu verteilen.

Für welche Branchen wäre eine Vier-Tage-Woche derzeit sinnvoll?
Die generelle Vier-Tage-Woche würde ich für keine Branche als sinnvoll erachten. Es wäre hingegen sehr sinnvoll, die Wahlmöglichkeiten für die Arbeitnehmer deutlich zu verbessern. Wer also nur noch vier Tage in der Woche arbeiten möchte, sollte die Gelegenheit dazu bekommen – und zwar möglichst in jeder Branche, sofern das arbeitsorganisatorisch möglich ist.

Besteht denn überhaupt bei vielen Arbeitnehmern der Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung?
Wir sehen in unseren Erhebungen, dass viele Menschen weniger, andere aber auch mehr arbeiten möchten. Allerdings möchten viele ihre Arbeit nicht gleich um zwanzig Prozent reduzieren, was ja einer Vier-Tage-Woche entspräche. Von daher würde ich dazu raten, die Möglichkeiten zur Flexibilität bei der Arbeitszeit zu verbessern und die immer noch starke Trennung zwischen Voll- und Teilzeit aufzuheben. Und es zu ermöglichen, dass die individuelle Arbeitszeit sich auch im Lebensverlauf ändern kann. Wir sollten uns die Arbeitszeit nicht von der Krise oder vom Strukturwandel vorgeben lassen. Sondern Arbeitszeiten sollten den Präferenzen der Menschen folgen.

Besteht denn auf Seiten der Unternehmen die Möglichkeit und die Bereitschaft zu flexibleren Arbeitszeiten?
Das hängt sehr stark von der Branche und von den konkreten Tätigkeiten ab. Bei Bürotätigkeiten im Öffentlichen Dienst etwa ist es Gang und Gebe, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit frei wählen können. Wenn es hingegen um Tätigkeiten geht, bei denen unterschiedliche Arbeitsprozesse stark ineinander greifen, wo vielleicht Schichten existieren, wird es natürlich schwieriger. Das heißt aber nicht, dass es unmöglich wäre. Gerade in der Corona-Krise hat sich ja gezeigt, was alles geht. Von diesen Erfahrungen sollte man jetzt für die Zukunft profitieren. Generell würde ich sagen: Auch unter dem Gesichtspunkt der Personalgewinnung hat bei den Unternehmen die Bereitschaft zu flexibleren Arbeitszeiten deutlich zugenommen.

Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sprach im Zusammenhang mit der Vier-Tage-Woche von einem „gewissen Lohnausgleich“, damit sich Arbeitnehmer die Arbeitszeitverkürzung auch leisten können. Unterm Strich würde das aber bedeuten, dass die Arbeitskosten für die Betriebe steigen. Wäre das nicht gerade jetzt, in einer Rezession, Gift für die Wirtschaft?
Deswegen halte ich das auch für problematisch. Die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich würde für die Arbeitgeber ja einen Aufschlag von 25 Prozent beim Stundenlohn bedeuten. Das ist natürlich illusorisch. Selbst, wenn der „gewisse Lohnausgleich“ nur die Hälfte davon ausmachen würde, wären es immer noch 12,5 Prozent. So etwas wäre selbst unter normalen konjunkturellen Bedingungen kaum möglich. Es wäre ja auch aus Sicht der Arbeitnehmer ungerecht. Denn wenn jemand seine Arbeitszeit von fünf Tagen pro Woche auf vier Tage senken würde, wäre dessen Gehalt höher als das von jemandem, der bereits in Teilzeit arbeitet. Begünstigt würden absehbarerweise vor allem Männer gegenüber Frauen.
 

Derzeit ist oft zu hören, durch Arbeitszeitverkürzung bekämen die Unternehmen die Möglichkeit, ihre Produktionsweise anzupassen, etwa im Bereich Digitalisierung oder Klimafreundlichkeit. Wo besteht denn da der Zusammenhang? Und was haben diese Unternehmen in der Vergangenheit versäumt?
Ich würde mich jetzt nicht an den Versäumnissen aufhalten. Es ist leicht, auf alle einzuschlagen, wenn wir gerade in die größte Krise des Jahrhunderts gefallen sind. Wir haben es derzeit mit einer transformativen Rezession zu tun, und da stehen viele Unternehmen unter enormem Druck. Klar ist, dass neben der Rezession derzeit viele transformative Prozesse im Gange sind – die wichtigsten Bereiche hatten Sie ja erwähnt, nämlich Digitalisierung und Ökologie.

Was bedeutet das für die Unternehmen?
Es wird während und nach dieser Transformation nicht mehr jede Arbeit in demselben Umfang benötigt wie zuvor. Da wird es zu Verschiebungen kommen. Vor diesem Gesamthintergrund ist aus meiner Sicht allerdings nicht das Thema Arbeitszeit am wichtigsten, sondern das Thema Qualifizierung. Und da ist auch staatliche Unterstützung gefordert, damit Leute, die in der Mitte ihres Berufslebens stehen, die Möglichkeit haben, sich beruflich weiterzuentwickeln oder umzuorientieren. So lässt sich auch die Sicherheit gewinnen, dass nicht der Fall ins Bodenlose droht. Und wenn eine Arbeitszeitreduktion genutzt wird, um in die Weiterbildung zu investieren, ließe sich beides verbinden – auch solche Modelle sollten unterstützt werden.

Häufig ist zu hören, durch den technologischen Wandel würde der Bedarf an Arbeit insgesamt zurückgehen. Stimmt das?
Nein, das stimmt nicht. Vor allem wird es zu der befürchteten massenhaften Substitution von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung nicht kommen. Denn es gibt zwei Seiten der Medaille. Die eine ist: Ja, es wird künftig Tätigkeiten geben, die nicht mehr von Menschen wahrgenommen werden. Andere Tätigkeiten werden aber wiederum hinzukommen, insbesondere im Zusammenhang mit der Technologie. Robotisierung oder Digitalisierung sind ja Bereiche, die von Menschen entworfen und erstellt werden, die Technik muss entwickelt, betrieben und gewartet werden. Und es gibt viele Tätigkeiten, die mit Digitalisierung nicht besonders viel zu tun haben, beispielsweise der soziale Bereich oder Bildung und Erziehung. Gerade hier entsteht ein steigender Bedarf an Arbeitsplätzen, die überhaupt erst durch die Einkommen aus steigender Produktivität infolge des technologischen Fortschritts finanziert werden.

Wer weniger arbeitet, zahlt auch weniger in die Rentenkasse ein. Können daraus künftig Probleme erwachsen?
Wenn man als Gesellschaft weniger arbeitet, erwirtschaftet man auch weniger. Und damit kann auch weniger Einkommen in die Rente transferiert werden. Ob das ein Problem ist oder nicht, hängt davon ab, welches Einkommensniveau die Gesellschaft erwartet, welche Ansprüche sie stellt.

Oft wird bei den Befürwortern der Vier-Tage-Woche der Aspekt Geschlechtergerechtigkeit ins Spiel gebracht. Wo besteht hier der Zusammenhang?
Früher sah das traditionelle Modell so aus, dass der Mann Vollzeit gearbeitet hat und die Frau gar nicht. Heute ist es oft so, dass der Mann Vollzeit arbeitet, und die Frau arbeitet hinzu. Obwohl die Frauen heute im Schnitt mit einer besseren Qualifikation in den Arbeitsmarkt gehen, bekommt ihre Karriere meist einen Knick, wenn sie Kinder auf die Welt bringen und in die Teilzeit gehen. Wenn es jetzt so wäre, dass die Arbeitszeiten gleichmäßiger verteilt sind zwischen Mann und Frau, könnte das berufliche Zurückbleiben von Frauen verhindert werden. Es liegt übrigens auch im Interesse der Unternehmen, dass die Frauen am Ball bleiben. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Arbeitszeiten im Lebensverlauf möglichst flexibel gewählt werden können – von Frauen und Männern.

Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, hat unlängst sogar eine generelle 30-Stunden-Woche gefordert mit dem Argument, dann hätten die Menschen mehr Zeit für die Familie, für soziales oder politisches Engagement. Ist es denn plausibel, dass zusätzliche Freizeit gesellschaftlich sinnvoll genutzt wird?
Plausibel ist das. Das zeigt sich ja am vielfältigen ehrenamtlichen Engagement vieler Menschen außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit. Allerdings sollten die Menschen schon selbst entscheiden können, was sie mit ihrer zusätzlichen Freizeit anfangen. Und es existiert ja bereits heute ein Recht auf Teilzeit. Wer sich also anderweitig engagieren und deswegen weniger Zeit am Arbeitsplatz verbringen möchte, kann das tun. Eine generelle 30-Stunden-Woche würde meines Erachtens unnötig in vertragliche Freiheit und individuelle Entfaltung eingreifen. Eine generelle Flexibilisierung der Arbeitszeit wäre da sinnvoller. Wenn Schlagworte wie Vier-Tage-Woche zu einer Debatte über eine solche individuelle Arbeitszeitsouveränität führen, dann ist etwas gewonnen.

Die Fragen stellte Cicero-Chefredakteur Alexander Marguier. 

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