Protest gegen Urheberrechts-Reform - Das Netz gehört Euch nicht!

Nichts gegen junge Leute, die auf die Straße gehen, um ihren Unmut auszudrücken. Aber die Protestler gegen die Urhebererrechts-Reform wollen nicht begreifen, dass im Netz die gleichen Regeln gelten wie in der wirklichen Welt. Verliert die EU nun auch die Jugend als Unterstützer?

„Nie wider CDU!“
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Ein Abend diese Woche am Brandenburger Tor in Berlin: Junge Menschen stehen mit gleißendem Lampen auf dem Pariser Platz, tragen Papptafeln an Besenstielen und skandieren „Nie wider CDU!“ Der erste Gedanke beim Anblick der Internetjünger im optischen Alter zwischen 19 und 26: „Nie wieder“? oder nicht eher: „Noch nie?“ Das wäre dann eine sehr leere Drohung. 

Sei‘s drum. Die jungen Menschen machen an diesem Abend von ihrem guten Recht Gebrauch, ihr Missfallen über die Abstimmung der Europaparlaments zugunsten einer Urheberrechtsnovelle im Netz auszudrücken. Sie sind sehr leidenschaftlich und politisch interessiert. Das widerspricht dem allgemeinen Vorurteil über die apathische, saturierte junge Generation und ist gut so.  

Inhaltlich allerdings liegen sie auf schmerzhafte Weise schief. Und das ist schlecht. Sie begreifen das Netz ganz offenbar als ihren Besitz, den ihnen böse ignorante 
alte Menschen nun wegnehmen wollen, ihre ganz eigene Welt, in der die Gesetze der analogen Welt nicht gelten. Eine Art digitales Paradies, in der einem die süßesten Früchte kostenlos in den Mund wachsen. Und in dem alles, was sie so an Ad-Hoc-Eingebungen und Schnappschüssen haben, sofort wegen übergroßer Bedeutung an die globale digitale Gemeinde weitergegeben werden muss, und das dann bitte auch ohne jeden Filter.

Die Influencer verdienen gut an freien Inhalten

Manche von ihnen verdienen als so genannte Influencer ihr Geld, sind also gekauft von großen Firmen, um Schleichwerbung zu machen, die deshalb besonders gut wirkt, weil ihre Follower diesen Beeinflussern buchstäblich alles abkaufen. Oder aber sie machen ein bisschen Geld mit dem Kongruieren von Inhalten, die sie so im Netz zusammensammeln, was okay wäre, würden diejenigen, die diese Inhalte herstellen, etwas von diesem Geld abbekommen. 

Frage: Wenn diese jungen Menschen vor 30 Jahren, also vor der Erfindung des World Wide Web in ihren Zwanzigern gewesen wären. Hätten sie dann auch kostenlose Smoothies (die damals noch „Fruchtsaft“ hießen) gefordert? Nein? Aber warum legen sie nun diese unverfrorene Freibiermentalität im Netz an den Tag ohne jeden Anflug von Selbstzweifel? 

Weil sie nicht begriffen haben oder akzeptieren wollen, dass selbstverständlich im Netz die gleichen Regeln gelten wie in der wirklichen Welt. Die gleichen ethisch-moralische Regeln, die gleichen Steuerregel und die gleichen Eigentumsregeln. 

1. Die ethischen Regeln

Kürzlich hatte der Attentäter von Christchurch die Bilder seines bestialischen Mordens in zwei Moscheen live bei Facebook übertragen. Die Zuckerberg-Firma rühmte sich am nächsten Tag, innerhalb von 24 Stunden 1,5 Millionen Versionen dieses widerlichen  Videos von seinen Seiten gefischt zu haben. Das sollte eine Erfolgsmeldung sein, war aber eine Frechheit: Ungefähr mit dem gleichen Recht könnte mein Immunsystem mir stolz rückmelden, es habe in den vergangen 24 Stunden erfolgreich 1,5 Millionen Viren gekillt – was ich im Todesdelirium mit einem zynischen Lächeln quittieren würde, weil die in der gleichen Zeit entstandenen 60 Millionen Viren leider gerade zu einem multiplen Organversagen führen. 

Die ethischen Regeln, die Pressecodices, die für jeden Fernsehkanal gelten, waren dennoch im Fall von Christchurch im Netz außer Kraft gesetzt, und Facebook war nicht in der Lage, diesem viral gehenden Video in seinen eigenen digitalen Blutbahnen etwas erfolgreich und endgültig entgegenzusetzen. Der Internetriese wurde der Geister nicht mehr Herr, die er rief. 

2. Die Steuerregeln

Seit Jahr und Tag verbindet die Internetgemeinde und die Provider der großen Party eines: Hier ist alles umsonst. Auch die Gewinne. Hier zahlt keiner Gebühren und keiner Steuern. Hier ist das Steuersystem des Staates außen vor. Einen EBIT, einen „Gewinn vor Steuern“, wie ihn jedes normale Unternehmen kennt, auch das, in dem Cicero erscheint, gibt es nicht. Gewinn vor Steuern ist der gleiche wie der Gewinn nach Steuern. 100 Prozent. The winner takes it all. Und der Staat, das sind wir übrigens alle zusammen und nicht irgendein fernes Gebilde, guckt in die leere Röhre. 

3. Das Eigentumsrecht

Jeder Joghurt und jeder Einbauschrank gehört so lange demjenigen, der den Joghurt oder den Einbauschrank hergestellt hat, bis der Produzent diese Produkte weiterverkauft hat (am Ende fällt dann übrigens auch noch Mehrwertsteuer an, aber das nur nebenbei). Komischerweise wird das von den Freinetz-Fanatikern auf dem Pariser Platz bei geistigen Produkten wie Texten, Bildern oder Videos komplett anders gesehen. Was im Netz ist, ist frei. Muss sich derjenige, der es produziert hat, eben vorher überlegen, wenn  er das nicht zum Gratisangebot für alle machen will. Soll er es halt nicht reinstellen ins Netz. 

Das ist dümmlich und ignorant. Denn die digitalen Vertriebswege sind eine existenzielle Notwendigkeit für die Vertreiber geistiger Produkte. Keiner würde je auf die Idee kommen, die Magazine, die bei einem Grossisten (nichts  anderes sind im übertragenen Sinne Facebook und Co .im Netz) anlanden, gehören von da an ihm. Nein, für die Produkte, die dort angeboten werden, von welchem digitalen Zwischenhändler auch immer, fällt ein Preis an. Und genau den fordert die europäische digitale Urheberrechtsnovelle völlig zu Recht und längst überfällig ein.

Eine gefährliche Situation für die Parteien

All das wollen die jungen Menschen auf dem Pariser Platz nicht einsehen und schießen sich verbal auf einen Feind ein. Die bösen analogen Parteien, ganz vorn die CDU, aber die SPD ist in ihren Auge auch nicht viel besser. 

Das ist eine ganz gefährliche Situation für die etablierte Parteien, für die beiden Großkoalitionäre, weil in wenigen Woche Europawahlen sind. Europa wird nun in digitalen Belangen aber als der Hort des Bösen von diesen jungen Menschen angesehen, die von Haus aus vermutlich pro-europäischer wären als die von der EU enttäuschte Elterngeneration. 

Ein doppeltes Dilemma: Die Freinetz-Fanatiker verstehen in ihrer Ungestümheit gar nichts von den Zusammenhängen, und sie werden die Politik für ihre vernünftige Vorgehensweise bestrafen. Ein Ausweg ist nicht in Sicht, auch wenn jetzt Netzpolitiker von Union und SPD etwas davon stammeln, dass der Schlüsselartikel 13 auch ohne so genannte Uploadfilter (das böse Tool an sich) umgesetzt werden kann. Das ist aber mit einiger Sicherheit ebensolcher Blödsinn, wie ihn die jungen Menschen auf den Plätzen der Republik skandieren. 

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