Umlagefinanzierte Altersrente - Besser als ihr Ruf

Das Image der gesetzlichen Rente ist schlecht. Doch das Umlageverfahren hat sich als sicherer erwiesen als die private Vorsorge. Korrekturen sind trotzdem nötig, die Gruppe der Einzahler sollte um Selbstständige und Beamte erweitert werden

Die Angst vor Altersarmut ist weit verbreitet – zu Unrecht / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Wilfried Herz ist ehemaliger Leiter des Wirtschaftsressorts der Wochenzeitung Die Zeit.

So erreichen Sie Wilfried Herz:

Anzeige

„Weg mit dem Rentenzwangssystem!“, fordert Alexander Grau und schreibt zur Begründung, das Rentensystem sei „unökonomisch“ und „zukunftsunfähig“.  Beides ist falsch, das genaue Gegenteil ist richtig. Mit seinem Verdikt reiht sich der Autor nur in die schier endlose Reihe der Kritiker ein. Die haben in ihren düsteren Prophezeiungen schon seit Einführung der umlagefinanzierten dynamischen Altersrente im Jahre 1957 das Scheitern der gesetzlichen Rentenversicherung und schwere Schäden für die Volkswirtschaft vorausgesagt.

Folgenschwer war insbesondere die Kampagne in den neunziger Jahren, als ganze Wirtschaftsbranchen, Interessenverbände und Gruppierungen unterschiedlichster Art Horrorszenarien über die Konsequenzen der alternden Gesellschaft verbreiteten und einen Kollaps der Rentenversicherung heraufbeschworen, um ihre Partikularinteressen durchzusetzen. Die einen, Versicherungen und Banken, wollten sich einen größeren Anteil am Vorsorgegeschäft sichern, andere wie die Industrie und Arbeitgeberorganisationen warnten vor Gefahren durch zu hohe Sozialbeiträge für internationale Wettbewerbsfähigkeit, als wäre die deutsche Exportwirtschaft nicht robust.

Ökonomisch vernünftig

Die Schwarzmalerei wirkt bis heute. Die Angst vor Altersarmut ist weit verbreitet: Die Jüngeren glauben, dass sie von ihren Einzahlungen im Rentenalter kaum etwas wiedersehen werden, die Alten fürchten, dass ihr Geld nicht mehr für einen auskömmlichen Lebensabend reicht. Vermutlich war das Image der gesetzlichen Rente in den vergangenen sechs Jahrzehnten noch nie so schlecht wie derzeit.

Dabei ist die gesetzliche Rentenversicherung trotz nicht zu bestreitender Mängel besser als ihr Ruf. Das Umlageverfahren – die Aktiven (und ihre Arbeitgeber) finanzieren mit ihren Beiträgen direkt die Renten der Senioren und erwerben damit Ansprüche für ihre spätere Altersversorgung – hat sich im Prinzip bewährt. Die Rentenversicherung ist ökonomisch vernünftig, denn sie hat den Alten im Großen und Ganzen eine Teilhabe an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung ermöglicht, ohne dass die Unternehmen und aktiven Arbeitnehmer überfordert und die Wachstumskräfte in der Volkswirtschaft beeinträchtigt worden sind.

Insofern hat Norbert Blüm mit seinem vielfach belächelten und verspotteten Spruch „Die Renten sind sicher“ zumindest bis heute Recht behalten. Die Rentenversicherung bot und bietet auch jetzt noch ihren Versicherten Sicherheit, jedenfalls mehr als andere Konzepte. Selbst Konjunkturschwächen und sogar die schwere Finanzkrise 2008/2009 konnten ihr nichts anhaben – ganz anders als in Ländern, in denen die Ruheständler weitgehend oder sogar ausschließlich von ihrem angesparten Kapital leben. Deren Vorsorge wurde zum Spielball der Kapitalmärkte, nicht wenige standen in kürzester Zeit vor dem Nichts.

Stellschrauben neu austarieren

Und die gesetzliche Rentenversicherung kann noch mit einem anderen wichtigen Plus aufwarten: Sie hat sich als flexibel erwiesen und ist damit – bei richtiger Weichenstellung durch die Politik – auch zukunftsfest. Denn anders als viele glauben, ist die Rentenformel keineswegs in Stein gemeißelt. Vielmehr hat sie der Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Male geändert, wenn auch nicht immer fehlerfrei. So hat Rot-Grün unter Gerhard Schröder per Gesetz den Rentenbeitragssatz in der Höhe begrenzt und das Rentenniveau über Jahrzehnte abgesenkt – und damit das Vertrauen vieler Versicherten erschüttert: Die Rente, über Jahrzehnte Lohnersatz, der den Lebensstandard nach dem Arbeitsleben sichern sollte, wurde zur Basisabsicherung herabgestuft. Seither ist die Rentenpolitik mit Reparaturarbeiten beschäftigt. Sie muss eben mehr sein als nur die Verhinderung von Armut im Alter.

Zweifellos werden in der Zukunft allein schon wegen der demografischen Entwicklung weitere Reformen notwendig werden. Dann müssen die Stellschrauben – die Dauer der Rentenzahlung, das  Niveau der Renten, die Beitragssätze und der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt – neu austariert werden. Wenn sich die Produktivität in den Unternehmen dank der Digitalisierung deutlich verbessert, wenn die Wirtschaft wächst, Löhne und Gehälter steigen und die Arbeitslosigkeit weiter abnimmt, können die Probleme in zwei oder gar vier Jahrzehnten viel geringer sein, als Untergangspropheten heute glauben machen wollen.

Rente für alle

Ein Geburtsfehler des Rentensystems hätte schon längst beseitigt werden müssen: die Eingrenzung der Versicherungspflicht auf Arbeitnehmer. Eine grundlegende Neuordnung, die eine harmonisierte Altersvorsorge für alle einschließlich der Selbstständigen und der Beamten schafft und ungerechtfertigte Privilegien beseitigt, ist überfällig. Sie würde zudem für zusätzliche Einzahler in die Rentenkasse sorgen.

Schon in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte der Spiritus Rector der dynamischen Rente, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Wilfrid Schreiber, für eine Versicherungspflicht der „Gesamtheit aller Arbeitstätigen“ ohne Einkommensgrenzen plädiert. Damit hätte die gesetzliche Rentenversicherung nach den Worten Schreibers eine sichere Basis für „die Stetigkeit ihrer Rechnungsgrundlagen über alle möglichen Strukturveränderungen der Wirtschaftsgesellschaft und ihrer Zusammensetzung nach Beruf und Erwerbsart“.  Es war ein Fehler Adenauers, in diesem Punkt dem Vordenker nicht zu folgen. Doch die Erkenntnis, dass ein System um so sicherer wird, je breiter das Risiko gestreut wird, ist noch immer richtig. Nur: Dass ihr Taten folgen, ist heute dringender als damals.

 

Zu diesem Artikel gibt es eine Umfrage
Cicero arbeitet mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Civey erstellt repräsentative Umfragen im Netz und basiert auf einer neu entwickelte statistischen Methode. Wie das genau funktioniert, kann man hier nachlesen. Sie können abstimmen, ohne sich vorher anzumelden.
Wenn Sie allerdings  direkt die repräsentativen Ergebnisse – inklusive Zeitverlauf und statistische Qualität – einsehen möchten, ist eine Anmeldung notwendig. Dabei werden Daten wie Geburtsjahr, Geschlecht, Nationalität, E-Mailadresse und Postleitzahl abgefragt. Diese Daten werden vertraulich behandelt, sie sind lediglich notwendig, um Repräsentativität zu gewährleisten. Civey arbeitet mit der Hochschule Rhein-Waal zusammen.

Anzeige