Abschaffung des Solidaritätszuschlags - Wie viel mehr vom Brutto bleibt Netto wirklich?

2021 will die Groko den Solidaritätszuschlag abschaffen. Dass die Regierung umsetzt, was sie ankündigt, mag ein Grund zum Feiern sein. Angesichts der Belastungen, die auf Geringverdienern lasten, ist das aber zu wenig

Gestiegene Kosten für Strom belasten die Bürger / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Überall im Osten plakatiert die Alternative für Deutschland derzeit „Vollende die Wende!“. Was die AfD damit konkret meint, bleibt einigermaßen schwammig. Zumindest ein langes Kapitel der Wende aber wird nun von der Bundesregierung beendet. Nach gut einem Vierteljahrhundert könnte es soweit sein: Der sogenannte Solidaritätszuschlag, mit dem Menschen in Ost- und Westdeutschland die Kosten der deutschen Wiedervereinigung finanzieren sollten, wird laut einem Gesetzesentwurf von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zumindest für 90 Prozent der Soli-Zahler abgeschafft. Im Ergebnis sollen sogar 96,5 Prozent der heutigen Soli-Zahler bessergestellt werden. Nur die restlichen knapp vier Prozent zahlen weiter wie bisher.

Das wären dann etwa Singles mit einem Brutto-Monatseinkommen ab 8.000 Euro oder Ehepaare mit zwei Kindern und einem gemeinsamen Brutto-Monatseinkommen von 16.000 Euro. Die FDP und die CDU mögen das als ungerecht bezeichnen, und je nachdem, aus welcher Perspektive man Gerechtigkeit betrachtet, ist es das vielleicht auch. Juristisch wird darüber im Zweifel das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Die FDP droht mit einer Klage, die AfD ist ebenfalls nicht abgeneigt. Fakt bleibt bis dahin: Der überwiegende Teil der Soli-Zahler könnte ab 2021 teils um mehrere hundert Euro im Jahr deutlich entlastet werden.

In dieser interaktiven Grafik des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) können Sie sich den Solidaritätszuschlag anzeigen lassen, indem Sie das Häkchen unten rechts setzen:

Nur ein Wahlkampfmanöver?

Darf die Große Koalition etwa auch mal positiv bewertet werden? Wenn man Erwartungen niedrig ansetzt, ja. Denn der Gesetzesentwurf setzt nicht mehr um als das, was in der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD niedergeschrieben steht. Eine Regierung, die liefert, was sie versprochen hat? Es muss schon weit gekommen sein, dass dies tatsächlich eine lobenswerte Neuigkeit sein soll.

Dass die Opposition, namentlich etwa Dietmar Bartsch von den Linken, das Vorhaben nun kurz vor den Wahlen in Ostdeutschland als durchsichtiges Wahlkampfmanöver kritisiert, ist so erwartbar wie richtig. Aber wie sagte der spätere Solidaritätszuschlag-Einführungskanzler Helmut Kohl bereits 1986: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Jede Regierung würde ihre populären Vorhaben dann kommunizieren, wenn Wahlen anstehen und nicht umgekehrt. Wer das ernsthaft kritisiert, hat Politik wohl kaum verstanden. Außerdem ist alles andere als klar, ob der Beschluss der Fast-Ganz-Abschaffung des Soli im Jahr 2021 wirklich noch die SPD und die CDU vor einem Wahldesaster in Thüringen, Brandenburg und vor allem Sachsen wird bewahren können.

Billiger wird nichts

Der Soli, er hatte seinen Namen nur zum Teil verdient. Denn die Verwendung der Einnahmen war nicht zweckgebunden. Ja, es flossen viele Milliarden in den sogenannten Aufbau Ost. Aber über ein Vierteljahrhundert lang wurden mit der Anmutung von Solidarität fürs Heimatland auch dauerhafte Sondereinnahmen geschickt kaschiert, um alles mögliche zu finanzieren. Die Soli-Einnahmen des Bundes sind dabei immer weiter gesteigen. Kassierte man 2003 noch 10,29 Milliarden Euro, wuchs das Volumen bis 2017 auf 17,95 Milliarden an. Damit soll nun also Schluss sein.

Angesichts dessen, was die Bevölkerung an kalter Progression in den letzten Jahren aber erlebt hat, ist die Abschaffung des Soli nicht mehr als recht und billig. Massiv gestiegene Strom- und Energiekosten, explodierende Mieten, zumindest in den größeren Städten, jahrelange Nullzins-Politik und gestiegene Lebensmittelpreise betreffen insbesondere jene Menschen, die durchschnittlich oder wenig verdienen. Und gerade jenen Geringverdienern hilft die Abschaffung des Solis nicht, denn sie waren ohnehin befreit. Das Groko-Geschenk nützt als nur der Mitte. Das ist gut, aber nicht genug. Denn es ist unklar, wie genau sich die CO2-Bepreisungspläne der Bundesregierung auf die Konsumenten auswirken werden, auch hier wieder insbesondere auf die Geringverdiener. Aber so viel dürfte klar sein: Billiger wird nichts. Die Frage nach der Art der CO2-Bepreisung wird die Bundesregierung übrigens erst nach den Ostwahlen Ende September beantworten.

Feiern muss man die Groko nicht

Als jahrelanger Exportweltmeister wird Deutschland in nächster Zeit aus unterschiedlichen Gründen in die Bredouille kommen: Handelskonflikte, schwächelnde Weltkonjunktur, Krise im Nahen Osten und schwerwiegende Veränderungen für die Automobilindustrie. Die Abschaffung des Soli könnte zumindest ein wenig in der Lage sein, die Binnennachfrage im Land zu stärken – vorausgesetzt der Konsum wird nicht durch neue steuerliche Belastungen oder Preissteigerungen wieder abgebremst. Grundsätzlich gilt natürlich: Wer mehr Geld auf dem Konto hat, kann auch mehr ausgeben. Aber er muss es eben auch machen.

Wer soll dagegen sein, mehr Netto vom Brutto zu haben? Wahrscheinlich niemand. Aber feiern muss man die Groko dafür nicht. Denn angesichts dessen, was die Soli-Zahler in 25 Jahren seit der Wende geleistet haben und angesichts dessen, was künftig in Sachen Strukturwandel, Demografie, Integration, Inklusion und Bildung noch solidarisch geleistet werden muss, ist es für diese kleine Entlastung auch allerhöchste Zeit.

Wann endlich gibt es eine nachvollziehbare Mehrwertsteuer-Gesetzgebung? Warum etwa werden „rohe Knochen“, „Mägen von Hausrindern und Hausgeflügel“ oder „Sammlungsstücke von münzkundlichem Wert“ mit nur 7 Prozent besteuert, ein Ticket im Fernverkehr aber mit 19 Prozent? (Hier finden Sie eine erbauliche Liste mit weiteren Beispielen) Wird es eine intelligente CO2-Bepreisung geben, die wirklich steuert und nicht belastet? Daran wird sich die Groko wirklich messen lassen müssen. Wenn sie überhaupt noch dazu kommt.

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