Wenn aus Besitz Dienstleistung wird - Glücklich ohne Eigentum: Willkommen im Service-Kapitalismus

Die Zukunft hat viele Namen: On-Demandisierung, Softwareisierung, Plattform-Ökonomie. Im digitalen Zeitalter weicht privates Eigentum zunehmend dem Besitz auf Zeit. Führt das zu neuen individuellen Freiheiten oder in einen neuen Feudalismus? „Cicero“ hat mit dem Soziologen Philipp Staab, Autor des Buches „Digitaler Kapitalismus“, und Christopher Meinecke, Leiter des Arbeitskreises „Digitale Transformation“ im Branchenverband Bitkom, über die Zukunft gesprochen.

An der Spitze der Entwicklung steht das autonome Fahren: Elon Musks Tesla-Konzern arbeitet mit Hochdruck daran / dpa
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Philipp Fess hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften studiert und arbeitet als Journalist in Karlsruhe.

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Totgesagte leben länger. Offensichtlich gilt das auch für den Kapitalismus. Das Scheitern des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems wurde schon vielfach vorausgesagt. Lange vor der Finanzkrise 2007/2008, lange vor den Bankenrettungen, lange vor der unkonventionellen Geldpolitik der Zentralbanken. Für Karl Marx, den berühmtesten Crash-Propheten, war es nur eine Frage der Zeit, wann der Wirtschaftskörper jener Erbkrankheit erliegen würde, die er im Gesetz der fallenden Profitrate erkannte. 

Doch der Kapitalismus hat die Untergangsunken bisher stets erfolgreich enttäuscht. Mit dem (all)gegenwärtigen Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsgebot zeichnet sich hingegen ein historischer Strukturwandel ab, der das Gesellschaftssystem in seinen Grundfesten – genau so nachhaltig – erschüttern könnte. Und das früher, als viele dachten. Schließlich hätte es keinen besseren „Booster“ für diesen Wandel geben können als die unvorhergesehene Corona-Krise. 

Entweder überlebt der Kapitalismus auch diese Phase oder er hat sich dieses Mal endgültig überlebt. Vielleicht aber auch beides. „Der Kapitalismus [als Produktionsform] kann in verschiedenen politischen Systemen florieren“, schreibt der Sozialhistoriker Jürgen Kocka 2013 in seiner „Geschichte des Kapitalismus“. Und er fügt hinzu: „selbst unter diktatorischer Herrschaft. Die Affinität zwischen Kapitalismus und Demokratie ist weniger ausgeprägt als lange gehofft“.

Lehnsherren aus dem Tal des Siliziums

Yanis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister und überzeugter („erratischer“) Marxist, glaubt nicht, dass uns mehr Demokratie bevorsteht. Er sieht die kapitalistische Gesellschaft vielmehr auf das zusteuern, was er einen Techno-Feudalismus nennt. Die Signale erkennt der 60-Jährige einerseits in einer vollständigen Entkopplung des Finanzsektors von der Realwirtschaft, andererseits darin, dass sich die Wertabschöpfung (sprich: „Extraktion“, im Gegensatz zu produktiver Wertschöpfung) auf digitale Plattformen verlagert, „die nicht länger wie oligopolistische Unternehmen arbeiten, sondern eher wie private Lehnsgüter oder Grundherrschaften“.

Was der exzentrische Grieche damit meint: Diese Unternehmen schöpfen Wert aus der unbezahlten Arbeit ihrer Kunden, deren Daten. Nun könnte man argumentieren, dass die Nutzer dabei ja nicht leer ausgehen, immerhin kommen sie im Gegenzug in den Genuss einer (vermeintlich) kostenlosen Dienstleistung. Der entscheidende Punkt ist aber: Privateigentum kann nur einer der beiden Geschäftspartner für sich reklamieren – und das sind nicht die Nutzer.

Denn ihr Geld machen Amazon, Facebook, Google und Co. überwiegend mit Werbung, also nicht mit dem Verkauf von Produkten, sondern mit dem von Informationen. Welche Dienstleistung angeboten wird, spielt bei der Wertschöpfung innerhalb dieses Wirtschaftsmodells eine untergeordnete Rolle. Nicht aber die Interaktion der Nutzer – denn die schafft gemäß dem Prinzip des Netzwerkeffekts erst den eigentlichen Wert. In seinem Buch „Who owns the future?“ (2013) bezeichnet der Cyberspace-Experte Jaron Lanier die Unternehmen der Plattform- oder Sharing-Ökonomie in Anlehnung an den hypnotischen Gesang der griechischen Fabelwesen als „Siren Servers“. Ihr Modell lässt sich auch auf andere Geschäftsfelder übertragen. Ob es um Ferienwohnungen oder um Carsharing geht: Die Nutzer schaffen den (Mehr-)Wert, die Unternehmen schöpfen ab – im letzteren Fall etwa durch Vermittlungsgebühren.

So weit, so bekannt. Doch mit dem Fortschritt der Digitalisierung wird das Plattform-Modell immer dominanter – und erreicht auch „alte“ Wirtschaftszweige wie die Automobilindustrie.

2030: VW macht sein Geld jetzt mit Software

Die Software spielt auch in der deutschesten aller Branchen eine immer wichtigere Rolle. Nicht nur, weil Zusatzfunktionen wie Navigations- und Multimediasysteme mittlerweile zum Standard geworden sind, auch sensorische Assistenzsysteme wie Geschwindigkeits- und Abstandsregulierung, Gefahrenerkennung oder vollautomatisierte Parkhilfe werden heute bereits serienmäßig verbaut. An der Spitze dieser Entwicklung steht das autonome Fahren.

Und dieser Gipfel der Vollautomatisierung rückt immer näher: Daimler hat Ende vergangenen Jahres als erster Autobauer weltweit die Genehmigung erhalten, „hochautomatisierte Fahrzeuge“ verkaufen zu dürfen. Das sogenannte Level 3 auf der Automatisierungsskala beschreibt Fahrzeuge, die zeit- und streckenweise autonom fahren können, dabei aber immer noch auf menschliche Interaktion beziehungsweise Intervention angewiesen bleiben. Der Gipfel heißt Level 5. Elon Musk hatte für seinen Automobilkonzern Tesla angekündigt, diese Stufe noch 2020 zu erreichen, ruderte dann aber zurück. Die Abstimmung der künstlichen Intelligenz auf die Realität sei schwieriger als erwartet, ließ er seine 76 Millionen Twitter-Follower im Juli wissen. Auf den Straßen Kaliforniens sind indessen seit kurzem schon die autonomen Robo-Taxis der Google-Schwesterfirma „Waymo“ und der General-Motors-Tochter „Cruise“ unterwegs. 

Wie so viele digitalisierungsbedingte Umbrüche ist auch dieser also nur eine Frage der Zeit. Und wie bei so vielen wird das Jahr 2030, Zielpunkt der UN-Nachhaltigkeits-Agenda, als Liefertermin anvisiert. Damit plant jedenfalls auch VW-Chef Herbert Diess: „Bis 2030 wird der Markt für Mobilitätsdienstleistungen voraussichtlich von heute unter zehn Milliarden US-Dollar auf über 100 Milliarden US-Dollar anwachsen“, sagte der Vorstandsvorsitzende bei Vorstellung der Konzernstrategie „New Auto“ im Juli. „Für unsere Geschäftsmodelle bedeutet dies, dass sich unsere Umsatz- und Gewinnpools bis 2030 schrittweise verschieben werden. Zunächst vom Verbrenner zum Elektroauto, später, wenn das autonome Fahren zusätzliche Umsätze bietet, zu Software und Diensten.“ Als Dienstleister für Betriebssysteme im Automobilsektor treten alte und neue Industrie, VW und Google, zusehends in einen unerbittlichen Wettbewerb miteinander – einen, bei dem der größte Autohersteller der Welt und seine deutschen Kollegen offenbar deutlich hinterherhinken.        

Die neue Freiheit heißt Verzicht

Die Softwareisierung der Automobilindustrie, ihre Angleichung an die Plattform-Ökonomie des Silicon Valley, hat auch weitreichende Folgen für das Verhältnis des Kunden zum Produkt. Unter den Herstellern etabliert sich das sogenannte Function-on-Demand-Modell, bei dem Kunden nicht mehr Autos mit einer gewissen Ausstattung kaufen oder leasen, sondern per „Over-the-Air-Update“ vom Handy aus Park-Assistent, Sitzheizung oder Tempomat auf Zeit buchen – oder sogar (zusätzliche) Reichweite. Das (dauerhaft verfügbare) eigene Auto, das für vergangene Generationen – vor allem im ländlichen Raum – das Freiheitsversprechen schlechthin war, könnte bald Geschichte sein. Und nicht nur das Auto. Denn das Internet der Dinge bietet zahlreiche Möglichkeiten, das Service-Modell auf weitere Gebrauchsgegenstände auszudehnen, die vormals zum Privateigentum zählten. Diese immer klarer konturierte Zukunftsvision wird mit dem Wortungetüm „Internet of things as a service“ bezeichnet.

Wenn wir den Großteil unseres Besitzes mieten und die Dienstleistungsindustrie die Zukunft bestimmt: Ist das noch Kapitalismus oder der Beginn einer neuen Zeit? Und falls letzteres: wie sieht diese aus?

„You will own nothing. And you will be happy. Whatever you want you’ll rent, and it’ll be delivered by drone”, lautet die Antwort, die eine Prognose des Weltwirtschaftsforums vor sechs Jahren auf die Frage nach der Zukunft im Jahr – natürlich – 2030 gegeben hat. In den Sozialen Medien ist dieser Slogan seit Beginn der Corona-Krise vielfach geteilt worden. Unter großer Empörung: Das (vermeintliche) Ende des Eigentums bezeichnen die Wirtschaftsliberalen als Form der sozialistischen Vergesellschaftung, die Sozialliberalen sehen darin dagegen einen fadenscheinigen Winkelzug der Wirtschaftselite, eine Zuspitzung der sozialen Ungleichheit unter dem kapitalistischen System, in dem sich Reichtum in noch wenigeren Händen konzentriert – denn die Plattformbetreiber werden ihr Eigentum wohl eher mehren wollen, statt darauf zu verzichten.

Win-Win für Verbraucher und Hersteller

Christopher Meinecke vom Arbeitskreis „Digitale Transformation“ des Branchenverbands Bitkom kann diese Empörung nicht nachvollziehen. Für den (Wirtschafts-)Soziologen, der seine Doktorarbeit über die computergestützte Erfassung des Energieverbrauchs in Haushalten (Smart Metering) geschrieben hat, ist der Einstieg der Automobilindustrie in die Plattformökonomie eine logische Folge der Absatzmarktentwicklung.

„Der Verkauf von Autos stößt in gesättigten Märkten an seine Grenzen. In Europa wird sich der Autoabsatz kaum steigern lassen – zum einen, weil die Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle spielt, zum anderen, weil es im urbanen Raum eine immer größere Konkurrenz durch alternative Fortbewegungsmittel gibt.“ Dazu zählen E-Scooter genauso wie Car- und Ride-Sharing-Angebote. Und weil der Markt in dieser Weise gesättigt sei, suchten die Hersteller eben nach neuen Erlösquellen im Produktlebenszyklus. Das komme letztlich aber auch dem Kunden zugute.

„Ein Auto steht im Schnitt 23 Stunden am Tag rum“, gibt Meinecke zu bedenken. „Als Eigentümer haben Sie also für etwas bezahlt, was Sie nur selten nutzen. Wenn ich dagegen nur für ein Auto zahle, wenn ich es auch wirklich nutze, ist das für mich als Verbraucher doch eine gute Option“, findet der Bitkom-Experte. Außerdem würden auf diese Weise Digitalisierung und Nachhaltigkeit verheiratet, weil – „zumindest theoretisch“ – nichts mehr über Bedarf produziert werde.

Privateigentum als romantisches Luxusobjekt

Meinecke glaubt nicht, dass die sogenannte Tertiärisierung eine neue Gesellschaftsphase der „Lehnsherren“ einläutet, in der – nach dem Vorbild der Online-Welt – risikokapitalfinanzierte Start-ups schnell Monopole aufbauen und so der Konkurrenz das Wasser abgraben. Die Diskussion werde etwas dramatisiert: „Innovationen sorgen für Wettbewerb, und im Zweifel gibt es immer noch die Wettbewerbsbehörden“, betont Meinecke. Auch in Zukunft werde jeder die Möglichkeit haben, den Anbieter zu wechseln. „Die Konkurrenz war ja nie größer“, sagt der Experte für „Digitale Transformation“ mit Blick auf den derzeit hart umkämpften Automobilsektor.

Dass das Eigentum ganz verschwindet, glaubt Meinecke ebenfalls nicht. Zwar habe die „Spotifyisierung“ der Musikindustrie gezeigt, dass die meisten Leute den Nutzen dem Eigentum vorziehen, andererseits hätten Liebhaber die Schallplatte für sich wiederentdeckt. Vielleicht überlebt Privateigentum also als romantisches Relikt, vielleicht aber auch als Luxus. Letzteres wird zumindest in der 2019 veröffentlichten Smart-City-Charta des damaligen Heimatministeriums vermutet, wie der davon nicht sonderlich begeisterte Journalist Norbert Häring auf seinem Blog berichtet hat.

Wachstum um jeden Preis

Einen anderen Blickwinkel eröffnet das Gespräch mit dem Soziologen Philipp Staab, der an der Berliner Humboldt-Universität zur „Zukunft der Arbeit“ forscht. In seinem Buch „Digitaler Kapitalismus“ (2019) beschreibt Staab, warum die Plattform-Ökonomie das Ende der neutralen und freien Marktwirtschaft einläutet. Digitalisierung und Nachhaltigkeit dienten dabei meist nur als Reklameversprechen. Virtue Signalling nennt man das heute. 

„Am Ende geht es um eine ökonomische Rekonstrukturierung“, meint Staab. Aber keine zugunsten der Mittellosen. Denn viele der neuen Player seien noch defizitär, wenn sie sich ihr (risikokapitalfinanziertes) „Distributionsmonopol“ erobert hätten. „Das müssen sie verteidigen, dürfen aber gleichzeitig ihre Preise nicht beliebig erhöhen, wenn sie ihre Kunden halten wollen. Also holen sie sich das Geld mit dem Ausquetschen der Produzentenseite“, sagt Staab. In der Folge würden die Löhne gedrückt – die des App-Store-Programmierers in Kenia genauso wie die des Lieferando-Fahrradkuriers in Deutschland. So klaffe die Schere zwischen Arm und Reich, die Corona-Krise und Energiepolitik zuletzt zusätzlich aufgerissen haben, schließlich noch weiter auseinander.

Wie sich der Reichtum in der digitalen Ökonomie der Zukunft verteilt, könnte am Ende dann doch eine Frage des Eigentums sein: dem an den eigenen Daten nämlich, dem Treibstoff der wirtschaftspolitischen Energiewende. Der oben zitierte Jaron Lanier fragte nicht umsonst: „Who owns the future?“ Der Konsument oder der Anbieter? Eine Frage, die bis heute noch nicht abschließend geklärt ist.    

Staab rechnet nicht damit, dass die Produzenten der alten Garde durch die „Plattformisierung“ noch auf einen grünen Industriezweig kommen. „Daimler wird keine Distributionsmonopole mehr aufbauen“, glaubt er. „Am Schluss geht es bei den Plattformen um subventionierten Konsum. Es gibt kein Wachstum mehr, also schielt man auf Verteilungsvorteile. Das ist letztlich eine Verzweiflungstat“. Künstliche Knappheit als Reaktion auf einen scheinbar unabwendbaren wirtschaftlichen Klimawandel. Die letzte Oase in der Profitwüste. Aber auch die wird irgendwann austrocknen. Also wo endet das alles?

Letzter Ausweg öffentliche Hand

Aus der historischen Vogelperspektive gesehen, deutet für den Soziologen vieles auf ein Wiedererstarken des Staats hin. Das hat weniger mit den Folgen der Plattform-, Sharing- oder Gig-Economy zu tun als mit der langfristig untragbaren Schuldenfinanzierung, auf das sich auch diese modernen Geschäftsmodelle noch immer stützen. Das gesetzliche Einfordern des Umweltschutzes sei die jüngste Form einer Reihe von politischen Gegenmaßnahmen, die einer aus dem Ruder gelaufenen Marktlogik Einhalt gebieten sollen. Letztlich aber nicht, um sie zu überwinden, sondern um sie zu stabilisieren.

„Für die Politik ist der Eingriff in die Märkte eine Chance, Steuerungsfähigkeit zurückzugewinnen“, sagt Staab. Autoritäre Staaten wie China und Russland haben ihre Digitalmärkte mit Sperrminoritäten oder Vetorechten gegenüber ausländischem Kapital unter Kontrolle gebracht. Eine Planwirtschaft light quasi. „Das wird hier anders laufen, aber ähnlich sein“, glaubt Staab. Staatsbeteiligungen für Tui und Lufthansa hätten einen ersten Vorgeschmack gegeben, wo die Reise hingehen könnte. „Too big to fail“, das ist Musik in den Ohren des Managers.

Anders als in den volkseigenen Betrieben der DDR könnte eine Vermählung von Staat und Wirtschaft also durchaus im Interesse der Privaten liegen. Denn während die letzten Oasen austrocknen, legt sich die öffentliche Hand schützend um ihre ureigenen Aufgaben. Und das rückt die öffentlich-private-Partnerschaft (ÖPP) als letzten Ausweg aus der Krise des Kapitalismus in den Fokus. „Der Staat ist der spender of last resort“, sagt Philipp Staab. „Mittelfristig werden wir eine digitale Privatisierung von absolut allem sehen, auch öffentlicher Güter wie Bildung, Mobilität oder Gesundheit.“

Sehnsucht nach der „guten Technokratie“

Am Demokratie- und Freiheitsdrang der Weltenbürger dürfte der historische Umbruch jedenfalls nicht scheitern. Noch niemals in der Geschichte konnten so viele Menschen Gegenstände in ihren Besitz bringen, deren vollständigen Erwerb sie sich – standesgemäß – eigentlich nicht hätten leisten können: der Flachbildfernseher, die geleaste Limousine, der günstige Kredit fürs Eigenheim. Gleichzeitig war es (für die urbane Mittelschicht) noch nie so einfach, auf Eigentum zu verzichten. Besitzen kann man ja trotzdem. So viele Annehmlichkeiten stimmen natürlich auch politisch milde. 

„Es gibt [auf Arbeitnehmerseite] keine kollektiven Akteure mehr, die aktiv an der Gestaltung der Wirtschaftspolitik teilnehmen“, konstatiert Philipp Staab. „Die Leute wollen kein Teil des demokratischen Diskurses sein, sondern dass der Staat die wichtigen Entscheidungen für sie trifft.“ Nach den zermürbenden Erfahrungen mit der kapitalistischen Technokratie und ihren Krisen sehnten sich die Menschen jetzt nach einer „guten Technokratie“. Der Tenor: „Wir wollen doch nur anständig regiert werden“, formuliert Staab. Kein Wunder, dass in derselben oben erwähnten Smart-City-Charta des Heimatministeriums auch über eine „Post-Voting-Society“ sinniert wird.  

Die Vision vom vollständigen Verzicht auf Eigentum oder gar politische Einflussnahme markiert einen massiven historischen Einschnitt in Bezug auf die Emanzipation vom Ständewesen und das Selbstverantwortungsideal der Aufklärung. Vielleicht trägt die neue Epoche ihre Blüten aber auch ohne die demokratischen Werte, die bis heute unser Verständnis von Zivilisation bestimmen. In China funktioniert das schließlich auch, und nach Meinung einiger einflussreicher Experten beneidenswert besser als bei uns.

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