Schule in Zeiten von Corona - Digitale Bildungslücke

Während dieser Sommerferien haben Deutschlands Schulen die wohl schwerste Hausaufgabe ihrer Geschichte zu erledigen: Sie müssen sich endlich digitalisieren – noch vor dem Herbst und weiteren möglichen Corona-Wellen. Doch die Erfolge sind überschaubar.

Digitaltechnik im Klassenzimmer ist in Deutschland immer noch die Ausnahme / picture alliance
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Alexandra Duong ist freie Journalistin und lebt in Berlin.

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Es gibt einen Weg zur digitalen Schule. Von einem kleinen Bahnhof, wo der Regionalexpress Richtung Magdeburg hält, führt er über eine einzige lange Straße. An ihr fädelt sich der Ortsteil Güsen auf, sie führt als Brücke über den Elbe-Havel-Kanal. Ihren Rand säumen Felder, dort blühen Klatschmohn und Kornblumen. Dann erreicht man Parey im Jerichower Land. Die Straße muss man verlassen, scharf links abbiegen. Ein Stück weiter liegt die Sekundarschule „An der Elbe“. Ein Schulhof vor einem in die Jahre gekommenen Gebäude mit Flachdach: Da steht die erste und bislang einzige „Digitale Schule“ Sachsen-Anhalts. Die Auszeichnung vergibt ein Verein aus Arbeitgebern, Schirmherrin ist Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung. Solch eine Schule nutzt etwa digitale Medien für besseren Unterricht, qualifizierte Lehrkräfte bringen Schülern Robotik oder Programmieren bei.

Doch Schulen mit solchem Profil sind in Deutschland noch immer die Ausnahme. Dass „Digitalisierung“ und „Schule“ auch im Jahr 2020 scheinbar gegensätzliche Begriffe sind, zeigte sich besonders, als während der Corona-Pandemie die Schulen schließen mussten: Lehrer ohne dienstliche E-Mail-Adressen, Abiturienten, die sich den Prüfungsstoff selbst beibringen mussten, und ungeklärte Datenschutzfragen. Es schien Glückssache, ob Lehrer eine Videokonferenz organisieren konnten oder durften.

Kaum Gelder abgerufen aus dem Digitalpakt

Warum geht es noch immer nicht schneller voran mit der Digitalisierung in den Schulen? Was ist damit eigentlich gemeint, und wie sinnvoll sind die einzelnen Maßnahmen überhaupt fürs Lernen? Offensichtlich ist: Wo die Steuerkasse klingelt, ist mehr Geld da, um Schulen ans Internet anzuschließen, interaktive Tafeln und Endgeräte wie Laptops oder Tablets zu kaufen. In Bayern und Baden-Württemberg gibt es Dutzende digitale Schulen, nicht nur absolut, auch relativ mehr als in Sachsen-Anhalt.

Dass die Sekundarschule „An der Elbe“ in Parey ein Vorzeigeprojekt Sachsen-Anhalts werden konnte, war vor einigen Jahren noch nicht ausgemacht. Überregional Schlagzeilen machte die Schule 2006 wegen Neonazis auf dem Schulhof. Es hieß: Der Bus fuhr selten, es gab wenige Jobs, Jugendliche verprügelten „Ausländer“. Von Problemen mit Hass und Rechtsradikalen einmal abgesehen: Das Silicon Valley des Ostens ist das Jerichower Land bis heute nicht.

An der Elbe / Maurice Weiss

An der Schule in Parey ist nur die Fassade des Hauptgebäudes saniert. Für Aula und Nebengebäude habe der Landkreis keine Fördergelder mehr bekommen, erklärt der Schulleiter Ingo Koch. Hinter dem Eingang markieren Klebestreifen die korrekte Laufrichtung. Ende Juni läuft die Schule im Corona-Betrieb mit halben Klassen. Eigentlich würde Ingo Koch mittwochs seine Robotik-AG anbieten, aber die fällt derzeit aus. Der Schulleiter unterrichtet Physik, Technik und Astronomie. Seine Schule hat, trotz Auszeichnung, noch kein flächendeckendes WLAN. Das will Koch ändern, und zwar mithilfe des Digitalpakts Schule.

Der gilt seit Mai 2019. Eine Grundgesetzänderung war nötig, damit der Bund im föderalen Bildungssystem fünf Milliarden Euro für die digitale Ausstattung der Schulen bereitstellen konnte. Im März dieses Jahres veröffentlichte der Bundesverband für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien Bitkom eine Umfrage unter den Ländern, wie viel sie davon schon abgerufen hatten. Sieben Bundesländer kamen auf gut 150 Millionen Euro, die übrigen machten keine Angaben; Hessen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein hatten damals noch gar keine Förderanträge bewilligt.

Fällt die Digitalisierung der Bürokratie zum Opfer?

Dabei sind die Mittel aus dem Digitalpakt für viele Schulen die absolute Grundlage, um eine Digitalisierung überhaupt zu ermöglichen. Mit ihnen soll die digitale Infrastruktur ausgebaut werden, dazu gehören etwa WLAN und Server, auf denen Lerninhalte bereitgestellt werden können, die sogenannten Schul-Clouds. Außerdem kann Geld für Hardware wie beispielsweise interaktive Tafeln beantragt werden. Für Laptops oder Tablets dürfen die Schulträger – Gemeinden, Städte, auch Landkreise – allerdings nicht mehr als 20 Prozent der Förderung ausgeben.

Unklar ist, wie sich das Corona-Infektionsgeschehen im Herbst entwickeln wird. Über die Sommerferien 2020 sei die große Hausaufgabe, die Infrastruktur nachzurüsten, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, egal ob nach den Ferien wieder normaler Unterricht möglich sei oder nicht. „Erstens, weil wir generell ein Defizit bei der digitalen Ausstattung haben, auch außerhalb der jetzigen Notsituation, und auf der anderen Seite, weil wir uns ja immer wieder darauf einstellen müssen, dass solche Phasen kommen werden.“ Es habe schon „unglaublich lange“ gedauert, bis der Digitalpakt beschlossen worden sei. Dann Monate, bis die Länder ihre Förderrichtlinien angepasst hätten. Denn die Bundesländer entscheiden über die Anträge, die die Gemeinden stellen. Die wiederum müssen Leistungen öffentlich ausschreiben. „Ich bin skeptisch, ob da tatsächlich Gas gegeben werden kann“, sagt Meidinger.

Droht die geplante Digitalisierung der Bürokratie zum Opfer zu fallen? Infrastruktur, die vorhanden ist – und funktioniert –, sieht Meidinger als Voraussetzung, auch um die Lehrer mitzunehmen. Er selbst leitet ein Gymnasium im bayerischen Deggendorf. Vor ein paar Jahren ist es neu gebaut worden – der Landkreis hatte sich bereit erklärt, es digital auszustatten: mit digitalen Tafeln, WLAN, Dokumentenkameras. Glasfaserkabel wurden verlegt, es gibt Betreuung bei IT-Problemen. „Seitdem die Ausstattung da ist, ist es überhaupt kein Problem mehr, Lehrkräfte dazu zu motivieren, sich in diese Technik einzuarbeiten“, sagt Meidinger.

Lebensweltnahe Methoden sind zentral

In Baden-Württemberg begleitet Johannes Seiter (Name von der Redaktion geändert) das Thema Digitalisierung schon seit seiner Lehrerausbildung. Im Referendariat habe er die Methoden zwar erlernt, konnte sie dann aber zunächst gar nicht einsetzen. An der Schule, wo er vor etwa zehn Jahren als Lehrer anfing, gab es nur Tageslichtprojektoren, der Beamer war ständig verliehen. Heute unterrichtet er an einer Gemeinschaftsschule, dort sei die digitale Infrastruktur sehr gut – dank der finanziellen Mittel der Gemeinde.

„Die Viertelmillion aus dem Digitalpakt können wir größtenteils in digitale Smartboards investieren“, sagt Seiter. Bei anderen Schulen aber sei das Geld weg, bevor Geräte für den Unterricht gekauft werden könnten. Beim Digitalpakt, so sieht er es, hätte man differenzierter schauen müssen, welche Gemeinden und Landkreise finanziell schwächer sind als andere, um diese unterschiedlichen Voraussetzungen auszugleichen. Denn was bringt WLAN, wenn man dann keine Geräte hat, um es zu nutzen? Mit digitalen Tafeln könnte man direkt aufs Internet zugreifen – und so etwa im Geschichtsunterricht spontan historische Bilder einblenden oder Audiodateien abspielen. „Die Schüler leben in einer digitalen Welt“, sagt Seiter, deswegen sei es wichtig, „lebensweltnahe Methoden“ einzusetzen.

Das geforderte Medienkonzept brauchte ein halbes Jahr

So wichtig die Grundausstattung ist, so umfänglich scheint deren Beantragung zu sein. Um Fördermittel aus dem Digitalpakt zu bekommen, muss eine Schule zunächst darstellen, wie denn die digitalen Möglichkeiten den Unterricht verbessern sollen. Ein Medienkonzept – auch Medienentwicklungsplan genannt – muss beim Schulträger eingereicht werden. Erst dann kann etwa eine Gemeinde für ihre Schule Geld beantragen. An vielen Schulen stellte sich deshalb die Frage: Wer schreibt dieses Konzept? Wer hat die Zeit dafür, die Motivation, die Kompetenz?

An Seiters Schule in Baden-Württemberg etwa hat ein Lehrer, der sich bereits um die IT kümmert, ein Team aus Kollegen zusammengerufen, um das Medienkonzept zu verfassen. Auch Seiter ist dabei. „Ich habe von anderen Schulen gehört, dass sich dort keiner bereit erklärt hat“, sagt er. Man müsse sich dafür eben mit digitalen Medien auskennen, kollaborativ arbeiten und aufnehmen, was den jeweiligen Fachbereichen wichtig ist. Bis das Medienkonzept fertig war, ist ein halbes Jahr vergangen.

Verunsicherte Schüler, überlastete Clouds

Schulleiter Ingo Koch in Parey sagt, so ein Konzept könne Monate dauern. Ein weiteres mögliches Hindernis: Wenn etwa ein Landkreis, bevor er einen Antrag beim Land stellt, wartet, bis die Konzepte aller Schulen vorliegen. Das bedeutet, die langsamsten geben das Tempo vor. Der Landkreis Jerichower Land, der Kochs Schule trägt, hat jeder Schule eine Deadline gegeben, bis dahin muss das Konzept vorliegen. Der Landkreis hat eigens Mitarbeiter eingestellt, die die Schule bei IT-Problemen kontaktieren kann. Es zeigt sich, dass vom Digitalpakt jene Regionen profitieren, in denen alle Beteiligten, vom Lehrer bis zum Landrat, in gleichem Maße engagiert sind.

Schulleiter Ingo Koch / Maurice Weiss

Im Physikraum in Parey unterrichtet Schulleiter Koch die Zehntklässler auch in Astronomie. Er steht vor der digitalen Schultafel. Die hat Koch unabhängig vom Digitalpakt beantragt. An der Fortbildung für diese Tafeln, auch vom Landkreis finanziert, musste die gesamte Lehrerschaft teilnehmen, das hat Koch angeordnet. Jetzt hat er eine App geöffnet, die ein interaktives Modell des Sonnensystems zeigt. Koch kann es drehen, heranzoomen, man kann das Modell aus verschiedenen Perspektiven betrachten, Planeten anklicken. Wie bei einer Art Riesentablet. In der Tafel sind zwei Rechner verbaut, Koch kann auf einen normalen Computer umschalten. Damit kann er online gehen, in Physik ein Video von der Kreisbewegung beim Hammerwurf abspielen. Koch sagt, es sei deutlich leichter, seine Schüler an diese Tafel zu zitieren als an die Kreidetafel, die danebenhängt.

Wie problematisch eine nicht zeitgemäße Ausstattung sein kann, hat Selma Roth erfahren. Während der Pandemie hat sie ihr Abitur an einer Leipziger Schule gemacht; sie ist außerdem Beraterin im sächsischen Landesschülerrat. Die Schulschließung fiel in die kritische Zeit der Prüfungsvorbereitung. Einige Abiturienten, sagt sie, seien total verunsichert gewesen – weil sie sich mögliche Prüfungsinhalte alleine erarbeiten mussten. Wie alleine gelassen sich die Schüler fühlten, hätte sich nicht nur von Schule zu Schule, sondern von Lehrer zu Lehrer unterschieden, sagt Roth. Einige Lehrer hätten per Skype Fragen beantwortet – andere habe sie das erste Mal zur schriftlichen Abiturprüfung wiedergesehen.

„Alles, was man gemacht hat, hat man sich per privater E-Mail hin und her geschickt, was dann in total verrückten Formaten ankam“, sagt Roth. Drei Wochen nach Schließung gab es dann erst eine Schul-Cloud, eingerichtet von den Informatiklehrern. Über die Cloud konnten die Lehrer Aufgaben hochladen, die Schüler sie herunter- und dann ihre Lösungen hochladen. Die Landes-Cloud „Lernsax“ des sächsischen Kultusministeriums sei überlastet gewesen, sagt Roth. Vor Corona hatte die Schule den Zugangscode ohnehin noch nicht an die Schüler verteilt. Die Begründung damals: Das brauche man erst irgendwann mal.

Auch die bayerische Schul-Cloud „mebis“ war im März überlastet und für die Nutzer nicht erreichbar, auch durch einen Hackerangriff. Dabei sind die Schul-Clouds elementarer Teil der Digitalisierung von Schulen. Einige Bundesländer haben eine eigene Cloud oder stellen eine Lernplattform zur Verfügung. Die Schulen sollten sie nutzen können, um Aufgaben online zu stellen, Material auszutauschen, teilweise sogar Videokonferenzen durchzuführen. Aus Datenschutzgründen ist die Nutzung bestimmter kommerzieller Anbieter nämlich untersagt.

Kritiker und Befürworter des deutschen Weges

Relikte als Anschauungsobjekte / Maurice Weiss

Eine Kritikerin des deutschen Weges zur Digitalisierung der Schulen ist Verena Pausder. Sie gehört zu Berlins Digitalszene und ist unter anderem Gründerin eines Unternehmens, das Apps für Kinder anbietet. Als Vertreterin eines ebenfalls von ihr gegründeten Vereins für digitale Bildung gibt sie Interviews, spricht auf Podien, in Podcasts und Talkshows. Pausder sieht es als einen Fehler, dass die Bundesländer, nachdem sie eine zentrale Cloud vom Bund abgelehnt haben, eigene Clouds gebaut hätten, statt eine gemeinsame Länder-Cloud zu entwickeln, die im nächsten Schritt jedes Bundesland für sich hätte anpassen können. „So wäre eigentlich Softwareentwicklung, die Sinn macht“, sagt Pausder.

Anders sieht es Ralf Lankau. Der Professor für Mediengestaltung an der Hochschule Offenburg arbeitet als Grafiker seit Mitte der achtziger Jahre mit Computern. „Wir müssen IT neu denken“, sagt er. Er plädiert gerade für kleine Schul-Clouds, die nur dem Lernprozess dienen, dem, was Schüler und Lehrer vor Ort benötigen. So könnten die Schulen auch die Kontrolle über ihre Daten behalten. Er befürchtet in der aktuellen Pandemie-Situation überstürzte und „technikgesteuerte“ Entscheidungen.

Nicht ohne Grund, denn gerade ist viel Geld verfügbar – und auf den Bildungsmarkt drängen auch Konzerne, deren Geschäftsmodell darin besteht, Daten zu sammeln und auszuwerten. Google etwa bietet eine eigene Lernplattform an. „Schulen sind nicht dazu da, Datenprofile von Schülern zu generieren“, sagt Lankau. Natürlich könne man digitale Medien einsetzen – wo es den Schülern beim Lernen nütze. Aber es müssten, als Beispiel, nicht alle in einer hoch technisierten Welt programmieren können. Das wäre so, als müsste jeder, der Auto fahren will, eine Bremsanlage bauen können. „Aber wir müssen am Verkehr teilnehmen können“, sagt Lankau. Egal, wie in zehn Jahren die Berufswelt aussehe, müssten die Kinder logisches Denken, Sprachvermögen, Sozialverhalten, Neugier, Stressresistenz erlernen. Das könne man auf unterschiedliche Weise vermitteln: „Aber nicht, indem ich ihnen Techniken beibringe, die in fünf oder zehn Jahren nicht mehr aktuell sind.“

Was versprechen wir uns von der Digitalisierung?

Dahinter steht auch die Frage: Wem soll die Digitalisierung der Schulen eigentlich dienen? Verena Pausder befürchtet, dass Kinder und Jugendliche an den Schulen nicht genug „Zukunftskompetenzen“ erlernen. Die Kinder könnten zwar alle „intuitiv konsumieren“, also spielen oder Videos anschauen. „Digitales Kreieren“ müsse man ihnen aber beibringen. Ein Beispiel dafür: In Deutsch würden die Kinder dann nicht nur ein Gedicht auswendig lernen. Sondern die Aufgabe wäre, eine Inszenierung zu überlegen, mit dem Tablet ein Video aufzunehmen und zu bearbeiten. Medienkonsum sei eben etwas anderes als Medienkompetenz und -gestaltung. Letzteres könne nur in der Schule stattfinden. Denn zu Hause sei es Glückssache, ob den Eltern das Thema wichtig sei, ob sie Bildschirmzeit begrenzen.

Die Robotik-AG ist freiwillig / Maurice Weiss

Im sachsen-anhaltischen Parey zeigt Schulleiter Koch, was mit persönlichem Engagement möglich ist. Früher hat er den Schülern Löten beigebracht, aber er ging mit der Zeit. Das Programmieren brachte er sich einst selbst bei. Koch steht in dem Computerraum, wo sich vor den Kontaktbeschränkungen jeden Mittwoch die Robotik-AG getroffen hat. Koch hat sich bei einem Fraunhofer-Projekt beworben, so hat er die Sets mit Materialien bekommen, eine Kollegin und er die Fortbildung dazu. Weil er beobachtet hat, dass die Mädchen im gemischten Kurs etwas untergegangen sind, hat die Kollegin für sie einen eigenen Kurs angeboten. „Die Mädchen gehen langsamer vor, sie durchdenken vorher mehr“, sagt Koch. Seine Robotik-AG ist freiwillig, dennoch haben sich vergangenes Jahr neun Schüler angemeldet.

Laptopklassen im Schnitt etwas besser

Wie zielführend Schüler Computer nutzen können, dazu gibt es mittlerweile die internationale ICILS-Studie. Dabei schneidet Deutschland – verglichen etwa mit Dänemark – mittelmäßig ab. Dänemark gilt, was die Digitalisierung der Schulen angeht, als besonders vorbildlich. Dem jüngsten internationalen ICILS-Bericht zufolge haben Regierung und Kommunen dort seit den neunziger Jahren finanzielle Mittel für IT in Schulen zur Verfügung gestellt. Von 2012 bis 2017 gab es eine nationale IT-Strategie für die „Folkeskole“ von Vorschule bis Sekundarstufe I. Kommunen und Regierung finanzierten WLAN und Zugang zu Lernplattformen in den öffentlichen Schulen. Laut Nationaler Agentur für IT und Lernen im Bildungsministerium sähen die Lehrer positive Auswirkungen – dass die Schüler motivierter seien, dass individuelleres Unterrichten möglich sei. Gleichzeitig seien die Effekte auf den Lernerfolg nicht eindeutig – und noch mangele es in Dänemark an Forschung zu dem Thema.

Eine andere Frage ist, was die Digitalisierung für den Fachunterricht bringt – also ob die Schüler dadurch besser rechnen, schreiben, lesen können. Heike Schaumburg ist Ko-Autorin der deutschen ICILS-Studie. Die Psychologin forscht an der HU Berlin am Institut für Erziehungswissenschaften. Schon vor etwa 20 Jahren hat sie untersucht, ob Schüler in Laptopklassen besser abschneiden als Kontrollgruppen ohne Gerät. Sie hat auch einen Überblick zur Studienlage insgesamt. „Das Gros der Studien zeigt, dass Schüler, die mit digitalen Medien lernen, etwas besser abschneiden“, sagt Schaumburg.

Aber der Effekt sei nicht so groß, wie es manchmal von Befürwortern digitaler Medien dargestellt werde. Er sei „messbar, aber nicht gigantisch groß“. Das digitale Medium an sich habe keinen Rieseneffekt – die Frage sei, wofür es wie eingesetzt werde. „Entscheidend ist, was die Lehrkräfte am Ende damit machen“, sagt sie. Bei ihren Untersuchungen hat Schaumburg festgestellt, dass die Lehrer den Schülern in den Laptopklassen mehr Freiräume gegeben haben, problemorientiert zu lernen. Und problemorientierter Unterricht sei generell lernförderlicher. Selbst leistungsschwächere Schüler, die etwas mehr Struktur brauchen, könnten so auf dem entsprechenden Niveau profitieren.

Nicht alle haben den Weg zur digitalen Schule schon gefunden

Ampelschaltungen im Unterricht
/ Maurice Weiss

Im Vergleich zu anderen Ländern habe man in Deutschland seit mindestens zehn Jahren verschlafen, dass digitale Infrastruktur Teil einer modernen Schule sein müsse, wo digitale neben anderen Medien existieren. Neben dem Bildungsföderalismus liege das auch an einer gewissen „bildungsbürgerlichen Medienfeindlichkeit“ jener, die das Bildungssystem steuern. Auch seien viele Lehrer nicht von Anfang an mitgenommen worden – das beginne schon in der Ausbildung, das sieht Schaumburg nach wie vor auch an ihrer Uni: „Bei uns ist es noch immer nicht selbstverständlich, dass in allen Fächern verbindlich der Umgang mit digitalen Medien Teil des Lehramtscurriculums ist“, sagt Schaumburg.

In Pareys Schule „An der Elbe“ können Zehntklässler derweil bei einem Lehrerkollegen von Koch lernen, wie man Ampelschaltungen programmiert. Wenn die Schüler die Aufgabe richtig gelöst haben, leuchten eigentlich auf einer Leiterplatte Dioden – rot, gelb, grün. Aber Kochs Motto lautet: „Motivation ist alles.“ Links und rechts in den Ecken des Computerraums hängen echte, große Ampeln. Der Kollege hat sie günstig im Internet ersteigert. Koch hat dann die Schnittstelle von den Verkehrsampeln zu den Computern gebaut, sodass sie leuchten, wenn die Schüler richtig programmiert haben. Er sagt, die kleinen Dioden seien nicht eindrucksvoll genug gewesen. 

Es gibt einen Weg zur digitalen Schule. An zu vielen Orten in Deutschland muss man ihn noch immer suchen – ob an Schulen, in Behörden oder in der Politik. In Parey haben sie ihn gefunden.

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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