Sanktionen als Druckmittel - „Eine Radikalisierung der Politik“

Weil internationale Konflikte zunehmen, werden immer häufiger wirtschaftliche oder politische Sanktionen verhängt. Zuletzt sollte so der belarussische Präsident Lukaschenko zum Einlenken gebracht werden. Aber führen diese Maßnahmen zum Erfolg? Der Sanktions-Experte Sascha Lohmann hat Zweifel.

Das russische Verlegeschiff „Akademik Tscherski“ im Hafen Mukran auf Rügen könnte bald von Sanktionen betroffen sein / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Sascha Lohmann ist Politikwissenschaftler an der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Herr Lohmann, die EU erwägt Sanktionen gegen Weißrussland. Nur wegen eines Vetos von Zypern kamen diese letztlich nicht zustande. Halten Sie Sanktionen gegen das Regime von Lukaschenko für sinnvoll?

Das kommt darauf an, worin der Sinn bestehen soll. Wenn es darum geht, das Verhalten von Präsident Lukaschenko in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, würde ich die Sinnhaftigkeit von Sanktionen eher bezweifeln. Denn nach vielen empirischen Studien wissen wir, dass es sehr schwierig ist, bestimmte Verhaltensweisen herbeizusanktionieren. Wenn es aber darum geht, Repressionen des weißrussischen Regimes gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung zu minimieren, indem man ihm Ressourcen entzieht – etwa in Form von Ausrüstung für die Polizei –, dann sind Sanktionen sicherlich ein probates Mittel. Auch sollte nicht unterschätzt werden, dass durch Sanktionen ein Signal an die dortige Bevölkerung gegeben wird, dass man von außen nicht tatenlos zuschaut. Es handelt sich dabei auch einfach um eine moralische Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen, die dort tagtäglich passieren.

Also ganz konkret: Welche Art von Sanktionen würden tatsächlich das Regime treffen – und nicht die Bevölkerung?

Sascha Lohmann / Foto Jens Meyer

Da geht es dann in erster Linie um gezielte Finanz-Sanktionen. Zum Beispiel, indem die Auslandsguthaben bestimmter Regimeunterstützer oder Regierungsmitglieder bis hin zum Präsidenten selbst eingefroren werden. Das erstreckt sich auch auf Finanztransaktionen einiger Wirtschaftsunternehmen, die eng mit den genannten Personen verbunden sind. Diese Firmen würde man auf diese Weise in die Bredouille bringen, wenn es darum geht, internationale Geschäfte zu finanzieren. Trotzdem dürfte es schwierig sein, mit solchen Methoden wirklich starken Druck auszuüben, denn auch hier zeigen die Erfahrungen mit Ländern wie etwa Iran oder Kuba, dass die Wirkung entsprechender Sanktionen eher gering ist. Das gilt insbesondere, wenn eine große wirtschaftliche Verbundenheit gegenüber Dritten besteht, die diese Sanktionen nicht beachten.

Kann es sein, dass viele Sanktionen kontraproduktiv wirken, weil sie dafür sorgen, dass die Bevölkerung sich unter Druck gesetzt fühlt und sich letztlich dann doch wieder hinter die Regierung stellt?

Das Phänomen ist als „Rally round the flag“-Effekt bekannt. Dieser Aspekt von Sanktionen ist in der Tat sehr wichtig. Das heißt: Zur politischen Feinsteuerung taugen Sanktionen eher selten.

Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen der Besetzung der Krim und der Ostukraine haben offensichtlich nicht viel gebracht. Weder hat sich Russland aus den besetzten Gebieten zurückgezogen, noch ist Putins Herrschaft ins Wanken geraten. Ein Fehlschlag also?

Mit Blick auf den gewünschten Effekt einer Verhaltensänderung würde ich sagen: ja. Die Frage ist aber, ob das überhaupt das Hauptziel der Sanktionen war. Mit Blick auf andere Ziele, also beispielsweise Russland vor weiteren Geländegewinnen in der Ost-Ukraine abzuschrecken, stellt sich die Sache womöglich schon anders dar. Wobei natürlich schwer nachzuweisen ist, ob es ohne Sanktionen anders gekommen wäre. Allerdings wurde durch die Maßnahmen gegenüber Russland eine Geschlossenheit im Europäischen Rat demonstriert. Und das ist nicht zu unterschätzen. Diese Geschlossenheit ist ja gerade im aktuellen Fall mit Weißrussland nicht vorhanden.

Wie steht es eigentlich derzeit um die Sanktionen gegen Iran? Der amerikanische Außenminister Pompeo vertritt den Standpunkt, die einst ausgesetzten UN-Sanktionen seien wieder in Kraft, und auch Deutschland müsse sich daran halten?

Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die US-Regierung vertritt in diesem Fall eine sehr enge Auslegung des Textes der Sicherheitsresolution 2231, die den „Joint Comprehensive Plan of Action“ indossiert, also den sogenannten Nuklear-Deal der Ständigen Vertreter im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen plus Deutschland mit Iran. Bis auf wenige Ausnahmen vertreten alle anderen Länder die Auffassung, dass die US-Regierung ihr Recht verwirkt hat, diese Sanktionen zurückzuschnappen. Allerdings sind die USA gar nicht so sehr auf die UN-Sanktionen angewiesen, weil ihre eigenen nationalen Sanktionen gegen das Land schon sehr stark wirken. Es geht ihnen also eher um eine allgemeine politische Legitimation, um den Iran weiter unter Druck zu setzen. Bisher hat sich die Strategie des maximalen Drucks gegen die Führung in Teheran jedoch als nicht sonderlich nützlich erwiesen, weil die Iraner jetzt an der Seite von China, Russland und der EU gegen die USA stehen. Da hat sich die US-amerikanische Regierung eigentlich ins eigene Knie geschossen.

Jetzt erwägen die USA wegen des Baus der Ostseepipeline Nordstream 2 sogar Sanktionen gegen den Hafen von Sassnitz. Wie ernst sind solche Drohungen zu nehmen?

Die sind sehr ernst zu nehmen, zumal die entsprechenden Gesetzentwürfe im US-Kongress schon kursieren und aller Voraussicht nach im Dezember im Rahmen des militärischen Ausgabengesetzes auch verabschiedet werden. Das heißt, die Bedrohung ist real und sie zeigt bereits Wirkung: Die Akteure vor Ort, also die Unternehmen, die mit der Hafengesellschaft in Sassnitz Transaktionen machen sowie diese selbst, sind äußerst verunsichert. Und es ist tatsächlich nicht ausgeschlossen, dass die beabsichtigten US-Sanktionen das ganze Pipeline-Projekt noch stoppen können. Aber grundsätzlich erleben wir da die Radikalisierung einer Politik, die schon seit langem läuft. Dass europäische Unternehmen mit US-amerikanischen Sanktionen in Konflikt geraten, gibt es eigentlich schon seit den 1950er Jahren.

Wer ist überhaupt befugt, Sanktionen zu erlassen? Gibt es da ein festes Prozedere?

Sanktionen sind ein Oberbegriff, der verschiedene Aspekte von Rechtserhaltung oder politischer Steuerung umfasst. Zum einen sind das Maßnahmen unter Kapitel 7 der UN-Charta, wenn es darum geht, den Frieden auf der Welt zu sichern. Solche multilateralen Sanktionen erlässt der UN-Sicherheitsrat, und die sind dann für alle Mitgliedstaaten bindend. Aber natürlich steht es jedem Staat frei, im Rahmen seiner eigenen Außenpolitik auch unilaterale Sanktionen zu erlassen. Da gibt es im Völkerrecht eine gewisse Grauzone: Es besteht nämlich kein explizites Verbot unilateraler Sanktionen; die Vereinigten Staaten sind übrigens nicht das einzige Land, das diese Möglichkeit sehr expansiv nutzt – auch die EU bedient sich solcher Druckmittel.

Gibt es eigentlich eine Möglichkeit nach internationalem Recht, sich gegen Sanktionen zur Wehr zu setzen?

Es gibt natürlich internationale Verträge, auf deren Grundlage dann immer geschaut wird, ob etwa der Einsatz von Sanktionen zwischen zwei Staaten gedeckt ist. Das könnte beispielsweise ein Freundschaftsvertrag sein, weshalb im Fall der Sanktionen gegen Iran die USA ihren Freundschaftsvertrag mit diesem Land auch gekündigt haben. Aber im Prinzip gibt es nur wenige Möglichkeiten, vor Gerichten gegen Sanktionen vorzugehen. Betroffene können sich zum Beispiel gegen individuelle Listungen im Rahmen von UN-Sanktionen wehren, indem diese sich an die entsprechenden Ausschüsse oder Ombudspersonen bei den Vereinten Nationen wenden. Ich persönlich glaube, dass sich europäische Unternehmen vor US-amerikanischen Sanktionen nur wirksam schützen können, indem sie vor US-Gerichte ziehen und auf diesem Weg der amerikanischen Exekutive Einhalt gebieten. Aber grundsätzlich sind Regierungen beim Erlassen von Sanktionen weitgehend unbeschränkt, weil die Gerichte sich nicht anmaßen zu beurteilen, ob Gründe der nationalen Sicherheit, die da in Stellung gebracht werden, tatsächlich justiziabel sind.

Wirtschaftssanktionen treffen ja immer beide Seiten. Ist eine Exportnation wie Deutschland besonders sensibel, wenn es darum geht, Sanktionen zu erlassen?

Man kann auf jeden Fall sagen, dass Deutschland auf die neuen geo-ökonomischen Entwicklungen eher schlecht vorbereitet ist. Weil nämlich die Verletzlichkeit durch die ökonomischen Verflechtungen mit dem Rest der Welt außerordentlich groß ist. Deutschland ist auf ein regelbasiertes System im Handel und insbesondere auch im Finanzbereich angewiesen. Und je mehr diese wirtschaftlichen Verflechtungen von anderen für politische Ziele instrumentalisiert werden, desto mehr zeigt sich, welch ein zweischneidiges Schwert Sanktionen eben auch für die Bundesrepublik als Exportnation sind.

Gibt es Evaluationen über die volkswirtschaftlichen Gesamtschäden aufgrund von Sanktionen?

Die gibt es zuhauf; die Wirtschaftswissenschaft hat sich auf diesem Gebiet mit sehr elaborierten Modellen hervorgetan. Ich bin da allerdings recht skeptisch, weil letztlich immer wieder das methodische Problem besteht, wie man die Effekte von Sanktionen wirklich sauber trennen kann von anderen wirtschaftlichen Effekten oder politischen Eingriffen, die auf ein Land einwirken.

Existieren Beispiele aus der Geschichte, wo Sanktionen tatsächlich zum Erfolg geführt hätten, weil das sanktionierte Land schließlich auf die Forderungen von außen eingegangen ist?

Viele Sanktionsandrohungen sind womöglich gar nicht öffentlich geworden, so dass wir entsprechende Effekte auch gar nicht kennen können. Es gibt aber den Fall von Südafrika in den 1980er Jahren, bei dem immer wieder darauf verwiesen wird, dass Sanktionen zum Ende des Apartheid-Systems entscheidend beigetragen hätten. Tatsächlich haben Sanktionen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle gespielt. Die Frage ist nur: Haben sie die innenpolitische Opposition mobilisiert? Haben Sie internationale Unternehmen dazu gebracht, sich aus Südafrika zurückzuziehen? In den 1970er Jahren hatte US-Präsident Richard Nixon bei der Umsetzung der UN-Sanktionen gegen Südafrika ja bestimmte Ausnahmen erwirkt, um Rohstoff-Importe zu sichern. Ganz so wasserdicht kann das alles also nicht beurteilt werden. Aber sicher hat dieser Fall gezeigt, wie wichtig Sanktionen auch für die Zivilgesellschaft sein können.

Wann gab es überhaupt zum ersten Mal Sanktionen – und wie gingen sie aus?

In der Geschichtswissenschaft wird da meist der Fall athenischer Sanktionen gegen die Megarer genannt: 432 vor Christus hat der Stratege Perikles ein Dekret erlassen, wonach die Megarer von den Häfen Athens ausgeschlossen wurden – was von einigen Althistorikern sogar als ein Auslöser des peloponnesischen Kriegs gesehen wird. Auch Päpste haben im Mittelalter spirituelle Sanktionen gegen Ungläubige erlassen. Die Geschichte ist voll von Beispielen, bei denen wirtschaftliche oder politische Beziehungen instrumentalisiert wurden, um eigene Ziele zu erreichen.

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