Rezo und die Influencer - Das Geschäft der neuen Meinungsmacher

Als Werbebotschafter wurden Influencer bislang vor allem von Konzernen gebucht. Denn ihren Fans gelten sie, obwohl bezahlt, als extrem glaubwürdig. Neuerdings erleben auch Politiker deren Markt- und Meinungsmacht. Das Geschäft der Influencer ist heikel, denn es geht um mehr als nur Produkte

Erschienen in Ausgabe
Millenial als Multiplikator: Der Youtuber Rezo / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Ein wenig klang es so, als habe Annegret Kramp-Karrenbauer sich den Youtuber Rezo geradezu herbeigewünscht. „Wir brauchen kurze Sätze, präzise und griffig. Wir brauchen Emotionen. Und wir dürfen auch mal frech, überraschend oder einfach kommunizieren.“ So hatte die CDU-Vorsitzende Anfang dieses Jahres für das Fachportal politik & kommunikation ihre künftige Kampagnenstrategie umrissen. Demnach müsse die CDU ein „fragmentiertes Publikum zielgerichtet und verständlich, gleichzeitig auf unterschiedlichen Kanälen erreichen“. Sie sprach von „horizontalem Vertrauen“, von „Botschaftenmanagement über Influencer und Multiplikatoren“.

Wenige Monate später lassen sich die Union und ihre Vorsitzende kalt erwischen, mitten im digitalen Raum. Die Endgegner im Europawahlkampf sind keine anonymen Social Bots – mit Desinformationen und Fake News aus Russland. Für Turbulenzen sorgen junge deutsche Youtuber, allen voran ein junger Mann namens Rezo – mit Fakten samt Fußnoten aus der Wissenschaft, mit blauen Haaren, grünen Forderungen und millionenfacher Reichweite. Sein 55 Minuten langer Videoaufruf „Die Zerstörung der CDU“ endet mit den Worten: „Wählt bitte nicht die SPD! Wählt bitte nicht die CDU! Wählt bitte nicht die CSU! Und schon gar nicht die AfD!“ Es ist eine implizite Wahlempfehlung für die Grünen.

Rezos Ansage an die CDU

Dann das Wahlergebnis: Mehr als eine Million Wähler wanderten von der Union zu den Grünen. Noch mehr kamen von der SPD. Deren Vorsitzende Andrea Nahles ist nun Geschichte. Die Partei ringt ums Überleben, besonders im Osten. Auch die Umfragewerte von Annegret Kramp-Karrenbauer stürzen ab. Fast zwei Drittel der Deutschen finden, sie sei nicht die Richtige, um die CDU in die Zukunft zu führen. Noch vor einem Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft stellen beim K-Thema viele CDUler AKK infrage.

Sind all diese Verwerfungen auch auf die Macht von Influencern zurückzuführen? Mehr als ein Drittel der reichweitenstärksten von ihnen unterhalten mit Comedy, die anderen mit Musik, Gaming oder Beauty & Lifestyle. Kaum ein wichtiger Kanal beschäftigte sich mit Politik. Bis Rezo kam. Sind Youtuber und Instagrammer glaubwürdiger als Journalisten und Politiker? Sind sie in der Lage, Wahlergebnisse zu beeinflussen, indem sie Meinung machen und Stimmungen erzeugen? Welche Rolle spielen dabei die unternehmerischen Strukturen dahinter? Kann man sie kaufen? Braucht es neue Regeln für den digitalen Raum? Oder müssen Parteien und Medien nur endlich ankommen im Neuland?

Gab es einen „Rezo-Effekt“?

Es ist schwer zu messen, ob ein „Rezo-Effekt“ zum desolaten Wahlergebnis von CDU und SPD beigetragen hat. Die Werte aller Parteien wichen nicht wesentlich von den letzten repräsentativen Umfragen ab, die vor den Rezo-Videos veröffentlicht wurden. Nur der SPD fehlten 1 bis 2 Prozentpunkte mehr, die Grünen schnitten etwas besser ab.

Lutz Frühbrodt kennt die deutsche Influencer-Szene. Im April veröffentlichte die Otto-Brenner-Stiftung seine Studie „UnboxingYouTube – Im Netzwerk der Profis und Profiteure“. Er sagt: „Messbar ist Rezos Einfluss sicher nicht. Die bekannten Youtuber sind meist in den Zwanzigern, ihre Follower sind in aller Regel aber deutlich jünger, oft sogar noch Kinder.“ Er gehe davon aus, das Video könnte eher jene beeinflusst haben, die noch nicht wahlberechtigt sind. „Ich könnte mir aber vorstellen, dass eine langfristige Entwicklung angestoßen werden kann, wenn sie von ihren Protagonisten weiterverfolgt wird“ – eine „Repolitisierung der Jugend“.

Sozialmediale Kommentierung und massenmediale Berichterstattung

Rezo scheint das zu bestätigen: Regelmäßig diskutiert er nun auf Twitter mit CDU-Politikern, mit FAZ- und Focus-Redakteuren. Er kritisiert Innenminister Horst Seehofer (CSU) für dessen Satz, man müsse „Gesetze kompliziert machen“, oder Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Deren Social-Media-Video mit dem Nestlé-Deutschland-Chef sei zu werblich. „Hätte ich exakt diesen Tweet mit genau so einem Video gepostet, hätte ich es als Werbung kennzeichnen müssen“, schrieb er.

In der Spiegel-Titelgeschichte „Rezoluzzer: Die neue APO“ sagte Rezo, er habe nicht viel Energie aufgebracht. „Wenn eine Bowlingkugel auf dem Schrank liegt, reicht ein kleiner Schubs für eine krasse Auswirkung.“ Tatsächlich lag die metaphorische Bowlingkugel, also etwa die Klimaanliegen der Fridays-for-Future-Demonstranten und damit maßgeblich die Agenda der Grünen, seit Monaten bereit, um vom Schrank zu fallen und Kegel abzuräumen. Die „krassen Auswirkungen“ verstärkte die CDU zusätzlich durch nicht mehr endende Kommunikationsfehler, auch von ihrer Vorsitzenden. Und einmal ins Rollen gekommen, gewann die Bowlingkugel täglich weiteren Schwung durch Pannen der CDU, durch sozialmediale Kommentierung und massenmediale Berichterstattung.

Auch Regierung und Parteien nutzen Influencer

Eigentlich müssten Politiker um solche Dynamiken und die Marketingmacht von Influencern wissen. Immerhin bucht die Bundesregierung selbst regelmäßig Youtuber und Instagrammer für ihre Informationskampagnen. So gab etwa das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Jahr 2017 rund 85 000 Euro für zahlreiche Influencer aus, um auf fair produzierte Mode aufmerksam zu machen. Auch das Innenministerium ließ sich die Nachwuchsgewinnung für die Bundespolizei mit den Influencern Joey’s Jungle, Lisa Sophie Laurent oder Felix von der Laden 2016 und 2017 insgesamt mehr als 70 000 Euro kosten. Die Kooperationen erwiesen sich in der „Zielgruppe der Generation Z“ als „effektives Instrument, um den Bekanntheitsgrad der Bundespolizei als vielfältigen und attraktiven Arbeitgeber sowie die Imagebildung der Behörde“ zu steigern, schreibt das BMI. Im Bundestagswahlkampf 2017 startete die CDU die Kampagne „I love Raute“ mit vielen Prominenten, darunter auch die Influencerin Cathy Hummels. Ihr Instagram-Account hat eine halbe Million Follower. Sie wähle Angela Merkel, „weil sie stark, sympathisch und authentisch ist“, sprach sie in eine Kamera. Eine Empörung blieb aus. Der Effekt aber wohl auch. Das Video im CDU-Youtube-Kanal wollte kaum einer sehen. Bis heute wurde es kaum mehr als 1000 Mal aufgerufen.

Dagi Bee hat 4 Millionen Abonnenten auf Youtube

Vor allem Unternehmen engagieren Akteure wie Dagi Bee, Julien Bam, Gronkh oder Sami Slimani auf Instagram und Youtube. Influencer sind zum entscheidenden Faktor für die Werbeindustrie geworden. Den Grund für deren Wirkmacht sehen Wissenschaftler in den sogenannten „parasozialen Beziehungen“ der Fans zu den bewunderten medialen Personen. „Gerade Jugendliche nehmen gegenüber Vorbildern sogenannte soziale Aufwärtsvergleiche vor, schauen also zu ihnen auf“, heißt es in der Youtube-Studie der Brenner-Stiftung. Bei Superstars aus Film und Musik sei dieses Gefälle viel größer als gegenüber einem Influencer, „der aus seinem Wohnzimmer oder seiner Küche zu einem spricht“.

Ob die Drogeriekette dm, der Nahrungsmittelkonzern Dr. Oetker, ob der Discounter Aldi oder der Autobauer Mercedes-Benz – sie alle zahlen für Kampagnen mit Influencern, um die Verkaufszahlen zu steigern. Der Werbemarkt des Influencer-Marketings wird für Deutschland auf rund 500 Millionen Euro geschätzt. Die Wirkmacht zeigt sich etwa an der Youtuberin Bianca Heinicke. Als sie 2015 auf ihrem Kanal „Bibis ­Beau­ty Palace“ den Duschschaum ihrer eigenen Marke „bilou“ (Bibi loves you) bewirbt, ist der exklusiv nur bei dm zu finden. Noch am selben Tag ist das Produkt ausverkauft. Für Düfte wie „Donuts mit Erdbeerglasur“, „Zuckerwatte“ oder „Yummy Lemon“ weckt Bibi einen Bedarf, den es zuvor nicht gab.

Rent a Rezo – auch für politische Kampagnen?

In viel geringerem Umfang verkauft auch Rezo über seinen „Rezo-Shop“ Mützen, T-Shirts und Turnbeutel. Geld verdient er mit über Google Ads geschaltete Anzeigen in seinen Unterhaltungs- und Musikvideos. Der jährliche Ertrag dürfte sich wohl einem sechsstelligen Betrag nähern. Hinzu kommen Werbedeals, bei denen er Produkte des chinesischen Smartphoneherstellers Huawei empfiehlt, den Medienkonzern Sky und das Ego-Shooter-Computerspiel Destiny 2. Die Videos werden millionenfach geklickt und sind als Werbung gekennzeichnet.

Rezos erfolgreichstes Video aber ist nun ein politisches. Mehr als 15 Millionen Mal wurde es aufgerufen. Kurz vor der Europawahl warb Rezo darin für Forderungen, wie sie Grüne und Linke kaum besser hätten formulieren können. Unter den Zuschauern sehr viele, die ihn bislang gar nicht kannten, insbesondere Politiker und Journalisten. Fragen werden gestellt: War das Rezo-Video etwa gekauft? Rent a Rezo – womöglich eine versteckte Kampagne der Grünen, Linken oder einer NGO?

Tatsächlich bietet der Werbe-, Vermarktungs- und Medienkonzern Ströer über seine Tochterfirma, die Tube One Networks GmbH, Werbedeals mit Youtubern als „Social Influencer Advertising“ an, darunter auch Rezo. Im Kundenprospekt wirbt Tube One für den bald 30 Jahre alten Youtuber aus Aachen in der Sparte Entertainment: „Individuell auf die Marke abgestimmt, begleiten wir die gesamte Kampagne“, heißt es, und weiter: „Die definierten Inhalte produzieren wir in Abstimmung mit Ihnen und dem Influencer.“ Garantierte Reichweite inklusive. Kunden zahlen für die Kampagnen auf Instagram, Youtube, Snapchat, Twitter oder Facebook zwischen 15 000 und 70 000 Euro.

Debatte um die Verbindungen zu Ströer

Folglich sprach der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach in einem Deutschlandfunk-Interview dann vom „Rezo/Ströer-­Video“. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU sagte vor mehr als 1000 Gästen beim Sommerfest des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom), man könne Kampagnen mit Rezo und anderen Influencern heute ja „bei Ströer buchen“. Rezo hat inzwischen mehrfach öffentlich dementiert: „Kein Unternehmen oder Institution oder Partei hat die Initiative/Idee für diese Videos geliefert oder gar Organisation/Planung gemacht. Die Ideen und der Drive kam von mir persönlich und sonst von keinem“, teilte er über Twitter mit.

Ströer und Tube One hingegen beantworteten journalistische Anfragen zur Genese des Videos oder zur Geschäftsbeziehung aus unbekannten Gründen bislang nicht. Auch Cicero erhält keine Antworten, auch keine Absage. Ströer, der Profi im Marketing für andere, schweigt eisern, wenn es um eigene Belange geht.

Das börsennotierte deutsche Unternehmen mit Hauptsitz in Köln beschäftigt heute mehr als 12 000 Mitarbeiter. Seinen Umsatz von 1,58 Milliarden Euro im Jahr 2018 macht der Konzern mit der Vermarktung von Werbeflächen in Bahnhöfen, an Hauswänden, in Bussen und Bahnen. Auch das Nachrichtenportal t-online.de gehört zu Ströer. Hinter Bild, Spiegel Online und Focus Online ist es Deutschlands derzeit viertgrößte redaktionelle Medienmarke, mit einer Reichweite von monatlich 30 Millionen einzelnen Nutzern. Seit März 2018 betreibt Ströer auch das Newsportal watson.de.

Noch mehr Reichweite durch t-online.de

T-online.de trieb mit Kommentaren, Newslettern, Analysen und Gastbeiträgen, alle mit Verlinkungen zum Originalvideo, die Klick- und Abonnentenzahlen für Rezo in die Höhe. Allerdings nur einmal mit dem Hinweis, so der Vorwurf, dass dieser von Tube One gemanagt werde und so zum selben Mutterkonzern gehört. Dass t-online.de generell als verlängernder Arm Influencer von Tube One redaktionell pusht, ist aber nicht der Fall. Es finden sich keine nennenswerten Inhalte zu anderen ­Ströer-Youtubern auf t-online.de.

Den Rezo-Hype gestartet hat das Portal nicht. Die erste Welle besorgten die vernetzten Youtuber am 18. Mai selbst, darunter viele mit Hunderttausenden Followern auch beim Nachrichtendienst Twitter. Das Video war bereits 2,5 Millionen Mal aufgerufen worden, als das reichweitenstarke Spiegel Online am Abend des 21. Mai erstmals darüber berichtete. Üblicherweise ziehen andere Medien dann nach. Am nächsten Morgen, vier Tage nach Rezos Veröffentlichung, schrieb dann auch T-on­line.de-­Chefredakteur Florian Harms in seinem Newsletter „Tagesanbruch“ folgenden Satz: „Dieser Film hat das Potenzial, den Ausgang der Europawahl stärker zu beeinflussen als Zigtausende nichtssagende Wahlplakate und langatmige Debatten im Fernsehen.“

Klassische Medien pushen neue Medien

Der Newsletter erreicht Hunderttausende Abonnenten per Mail. Als Artikel erscheint er auf der Website. Eine Audio­version hört man auf Amazon Ale­xa, Spotify und iTunes. Auch auf den „Public Video Screens“ von Ströer an hochfrequentierten Stationen der U- und S-Bahnnetze, in Bahnhöfen und in Shopping-Centern wird der T-online.de-Newsletter ausgespielt. Die Vorteile dieser Werbeflächen laut Ströer: „Gerade junge Menschen reagieren besonders affin auf Bewegtbild und werden über Public Video besonders gut erreicht.“

Am Montag nach der Europawahl verkündete Harms seinen Leserinnen und Lesern: „Heute verdienen Sie zuerst ein großes Dankeschön. In der vergangenen Woche hat der Tagesanbruch erstmals eine Leserzahl von mehr als 333 000 erreicht, damit ist er das meistgelesene Morning Briefing in Deutschland.“ T-online.de berichtete über Rezo zwar viel, aber auch nicht viel mehr als andere reichweitenstarke Medien. Martin Hoffmann, verantwortlich für Business Development bei t-online.de, brachte die entstandene Dynamik auf den Punkt, als er twitterte: „Es ist wie (fast) immer bei viralen Youtube-Videos, denen man plötzlich politische Bedeutung zuspricht: So richtig deutschlandweit bedeutend werden sie erst durch die Berichte der ‚klassischen Medien‘.“

Das Geschäftsmodell Social-­Media-Vermarktung der Influencer-Agenturen ist in der Medienbranche längst eta­bliert. Als Social-Media-Vermarkter konkurriert Tube One von Ströer hierzulande mit Axel Springer Media Impact, SevenOne Media von ProSieben/Sat1, mit Burda Forward und IP Deutschland, das zu RTL gehört. Das klassische Influencer-Management von Tube One ähnelt zugleich der bekannten, ebenfalls in Köln ansässigen Mediakraft Networks GmbH, der Hamburger Agentur Lucky Shareman oder 2ndwave aus Berlin, das Youtuber wie LeFloid managt.

LeFloid interviewte 2015 Angela Merkel

Journalist, Nachrichtensprecher oder Youtuber?

Auf deren Webseite ist über ihn zu lesen: „Wichtiger als die Tagesschau, relevanter als Spiegel Online: Für seine über 3 Millionen Abonnenten ist LeFloid die Anlaufstelle für Nachrichten und Entertainment im Stil der neuen Generation.“ Journalist will LeFloid aber nicht sein. Er sei „Youtuber aus Leidenschaft mit dem Hang zur eigenen Meinung und Spaß am Provozieren“, schreibt er. Es sind Nachrichten ohne Verantwortlichen im Sinne des Presserechts. Der Nichtjournalist LeFloid durfte 2015, organisiert vom Bundespresseamt, die Bundeskanzlerin öffentlichkeitswirksam und handzahm interviewen – Geld gab es dafür nicht.

Brauchen wir Regeln gegen „Meinungsmache“ im Netz, wie Annegret Kramp-Karrenbauer wenig überlegt ansprach? Fest steht, für Journalisten gilt ein Pressekodex, für PR-Leute ein Kommunikationskodex. Einen Influencerkodex gibt es bislang nicht. Aber immer mehr Menschen konsumieren News über Youtube und Instagram. Dies bestätigte erst jüngst der aktuelle Reuters Digital News Report.

Rezo hat hunderttausende Follower hinzugewonnen

Die Währung der Youtuber ist Aufmerksamkeit. Sie bringt mehr Klicks, mehr Abonnenten und mehr Wert für potenzielle Werbekunden. Dennoch soll „die anfängliche Euphorie in der Branche verflogen“ sein, schreiben die Autoren der Youtube-Studie. Viele Agenturen schreiben rote Zahlen. Der Wettbewerb sei hart, die Margen klein. Die Youtuber selbst würden aber profitieren.

Im CDU-Video hat Rezo keine Werbung geschaltet und somit auf dem Anzeigenweg kein Geld verdient. Immerhin ließ die Aufmerksamkeitsdynamik aber seine Abonnentenzahl explodieren. Einen Tag, bevor er das Video veröffentlichte, besaß sein Kanal „Ja lol ey“ noch 608 270 Abonnenten, Mitte Juni fast eine Million. Auch Rezos zweiter Kanal wuchs um 60 000 Abonnenten viel schneller als sonst. Seine im Ströer-Prospekt im Schnitt 210 Millionen beworbenen Video Views pro Monat steigen weiter, ebenso sein Wert für Ströer/Tube One.

All das aber ist Geschäft und macht das CDU-Video nicht zu rechtswidriger Parteienwerbung für Grüne, auch wenn Rezo im Sinne von deren Agenda warb. Das Problem liegt in der Natur des Influencers, er ist ein Mischwesen. Mal beeinflusst er auftragsgemäß gegen Geld, mal aus eigener Überzeugung. Und der Betrachter weiß nicht mit letzter Sicherheit, wann das eine und wann das andere der Fall ist. Diese Grauzone als Geschäftsgrundlage eröffnet Räume für Skepsis.

„Der Vorfall wird die Kommunikation für immer verändern.“

Für die Grünen ist Rezo als „Brand Advocate“, als Markenbotschafter, gleichwohl ein unbezahlbarer Glücksfall. Der ideale Brand Advocate für politische Inhalte arbeitet ohne Bezahlung, aber mit Überzeugung, sagt Björn Wenzel. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Lucky Shareman in Hamburg, einer der führenden Agenturen für Influencer-Marketing. Parteien haben bei ihm noch nicht angeklopft. Doch das, sagt er mit Blick auf den Erfolg von Rezo, werde sich jetzt wohl ändern. „Dieser singuläre Vorfall mit allen Konsequenzen wird die Kommunikation für immer verändern.“

Wenzel rechnet aber damit, dass keiner in den Parteizentralen wirklich verstehen werde, wie Einflussnahme im Internet funktioniert. Dass die CDU nun eigene Influencer aufbauen will, hat ihn nur bestätigt. „So funktioniert klassische, politische Kommunikation: Wir, die Parteien, bestimmen die Debatte, bevor es ein anderer tut.“ Dieser Ansatz würde scheitern. Um junge Wähler zu erreichen, müssten Parteien herabsteigen. „Heute geht es um Dialog, nicht um Diktat.“

Rezos bislang einziger Talkshow-Auftritt bei Jan Böhmermann

Youtuber sind Chief Entertainment Officers

In der digitalen Revolution funktioniert die Mediendemokratie alten Typs nicht mehr. Presse, Fernseh- und Radiosender geben nicht mehr ausschließlich den Ton an. In der Radikaldemokratie hat jeder das Potenzial, millionenfach gehört zu werden, was insbesondere extreme Rechte für sich nutzen. Leitmedien, Politiker und Konzerne sind in Bedrängnis. „Die vierte Gewalt des klassischen Journalisten wird durch die fünfte Gewalt der vernetzten vielen ergänzt“, schrieb der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in der Süddeutschen Zeitung. Hier regierten Konnektive statt Kollektive.

Youtuber wie Rezo sind Menschen und auch Marken. Bislang boten die meisten Musik und Mode, jetzt auch Meinung. Ihre Crowd ist zugleich die Marketing­abteilung. Rezo und Co. sind die Chief Entertainment Officers unserer Zeit. Deren Politisierung entspricht einem weltweiten Megatrend, wie er bei herkömmlichen Marken zu beobachten ist. Auch Unternehmen und CEOs sehen sich immer häufiger als politische Akteure. Ben & Jerrys setzt sich ein für Klimaschutz und Inklusion, Edeka für Vielfalt, Rossmann für die Rossfrau. In Zeiten der Shitstorms suchen Firmen die neuen Öffentlichkeiten, um zu bestehen. Dazu sind sie mit möglichst vielen der diversen Akteure ständig im Gespräch, ob mit Kunden, kritischen NGOs oder Mitarbeitern. Dies schafft jenes „horizontale Vertrauen“, von dem Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang dieses Jahres zumindest gesprochen hatte.

Dieser Text erschien in der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

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