Reform des EU-Urheberrechts - Der wilde Kampf um Artikel 13

Am heutigen Dienstag stimmt das EU-Parlament über die Reform des Urheberrechts ab. Besonders an dem Artikel 13 und die dadurch möglichen Uploadfilter hat sich ein wütender Kulturkampf entzündet, der an einem Großteil der Bevölkerung aber komplett vorbei geht. Was ist da los?

Leider werden die meisten Debatten um die Reform des Urheberechts weniger humorvoll geführt / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Astrid Herbold arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Berlin.  hre Artikel erscheinen unter anderem bei Cicero Online, Tagesspiegel, Zeit und Zeit Online.

So erreichen Sie Astrid Herbold:

Anzeige

Autoreninfo

So erreichen Sie Constantin Wißmann:

Anzeige

Axel Voss sitzt seit 2009 für die CDU im Europäischen Parlament. Die Themen, mit denen er sich befasst, schaffen es selten in die Nachrichten. Fluggastdatenspeicherung zum Beispiel oder die Datenschutzgrundverordnung. Seit 2017 ist Voss EU-Berichterstatter zur Urheberrechtsreform, die das Europäische Parlament am heutigen Dienstag beschließen will. Seit dem Sommer 2018 erhält Voss Tausende hasserfüllte Mails und Anrufe. Ein Paket mit Kuhmist kommt bei ihm an, immer wieder gibt es Briefe mit übelsten Beschimpfungen. Einer droht an, ihn und seine Familie „auszulöschen“. Man muss sich das noch einmal vor Augen halten – wegen einer EU-Richtlinie. Was ist da passiert?

Wut auf beiden Seiten

Wohl kaum etwas verdeutlicht das Phänomen der Filterblasen im Internet deutlicher als der aktuelle Streit um die Urheberrechtsreform der EU. Während ein großer Teil der Bevölkerung sich mit der Thematik kaum befasst haben dürfte, stehen sich in der Debatte, die sich vor allem an Artikel 13 der EU-Richtlinie entzündet hat, zwei Fraktionen wutentbrannt gegenüber. Beide Seiten sind längst nicht mehr zimperlich. Man operiert mit Falschaussagen, Panikmache, Halbwissen. Die einen warnen vor nichts Geringerem als dem Untergang des freien Internets; die anderen sprechen von der Reform als Revolution zum großen Vorteil der Urheber und ihrer Werke. Im Hintergrund wirken die globalen Internetkonzerne mit ihren Lobbyisten. Auch Musikverlage und große Pressehäuser mischen mit. Die Wut der Artikel-13-Gegner entlud sich am vergangenen Wochenende bei Demonstrationen in zahlreichen europäischen Großstädten.

Worum aber geht es genau? Die Befürworter der Reform sagen, die Urheber von Inhalten im Netz sollen fairer entlohnt, das Urheberrecht europaweit vereinheitlicht und an das digitale Zeitalter angepasst werden. Geplant sind beispielsweise Möglichkeiten für Wissenschaftler, denen das Speichern von Datenbanken zu Forschungszwecken erlaubt wird. Museen und Archiven soll der Umgang mit digitalisiertem Kulturerbe erleichtert werden. Ein Artikel der Richtlinie erlaubt es Bildungseinrichtungen, urheberrechtlich geschützte Materialien unkomplizierter für pädagogische Zwecke nutzen zu können.

Der umstrittene Artikel 13

Doch all das wird überdeckt von der Diskussion um Artikel 13, in dem es um das Hochladen von Inhalten in soziale Netzwerke geht – etwa wenn Nutzer aus Musik- und Videoschnipseln eigene Beiträge für YouTube oder Instagram basteln. Bisher wird das weitgehend geduldet. Die Plattformen müssen erst handeln, wenn ihnen eine Urheberrechtsverletzung angezeigt wird, nach dem Prinzip „notice and take down“. Das soll sich ändern: Die Plattformen würden dann bei Urheberrechtsverstößen ihrer Nutzer automatisch haften. Bislang ist das erst der Fall, wenn ein Verstoß gemeldet, der betreffende Inhalt aber nicht entfernt wird. Um Klagen und Schadenersatzforderungen zu vermeiden, müssten die Plattformen deshalb bereits vor der Veröffentlichung sicherstellen, dass es zu keiner Urheberrechtsverletzung kommt. Um die Inhalte der Nutzer trotzdem weiter zugänglich machen zu dürfen, sollen die Plattformen von den Rechtsinhabern „eine Genehmigung“ einholen, „beispielsweise durch Abschluss einer Lizenzvereinbarung“.

Artikel 13 sieht als erstes Mittel der Wahl ausdrücklich die Lizenzierung vor. Doch gelingt die nicht, müssen die Plattformen nachweisen, dass sie sich „nach besten Kräften“ bemüht haben, „die Nichtverfügbarkeit bestimmter Werke (...) zu gewährleisten“, wenn „die Rechtsinhaber (...) die dazu relevanten und notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt haben“. Außerdem müssen die Plattformen beweisen, dass sie „alle Anstrengungen“ unternommen haben, um künftige Uploads dieser Werke zu verhindern. Genau das ist der springende Punkt. Denn wie soll das in der Praxis funktionieren? Doch nur mithilfe gigantischer Datenbanken, komplexer Algorithmen – und über automatisierte Vorabprüfungen, sagen die Artikel-13-Gegner. Kurz gesagt: mit Uploadfiltern.  

Zerstören Uploadfilter die Netzkultur?

„Artikel 13 ist zum Mühlstein um den Hals der dringend notwendigen Aktualisierung des europäischen Urheberrechts geworden“, schreiben etliche zivilgesellschaftliche Akteure, darunter Wikimedia Deutschland, Betreiber des Online-Lexikons Wikipedia und der Bundesverband der Verbraucherzentralen in einem offenen Brief an die Politik: Sollte die Betreiberhaftung ausgeweitet werden, würden „klare Anreize gesetzt, um auch solche Inhalte zu blockieren, die rechtmäßig eingestellt wurden“. Um ihr Haftungsrisiko für die Inhalte der Nutzer zu minimieren, könnten die Plattformen „nur noch ihnen bekannte und geprüfte Inhalte erlauben“, heißt es.

Uploadfilter sind, soweit überhaupt schon verfügbar, unausgereift und fehleranfällig. Ob rechtswidrige Verbreitung eines geschützten Werks oder zulässiges Zitat, erlaubte Satire oder eigener künstlerischer Beitrag – das können die Algorithmen nicht unterscheiden. „Zensur“ fürchten daher die Gegner der Filter. Außerdem greife die Vorabfilterung in die Privatsphäre der Nutzer ein und beschränke das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
Aber von Filtern stehe doch gar nichts in der Richtlinie, halten die Befürworter von Artikel 13 dagegen. Die angestrebte Lizenzierung käme finanziell den Urhebern zugute. Sie würden endlich angemessener an den Einnahmen der Plattformen beteiligt. Und Nutzer seien künftig vor Abmahnungen geschützt. Auf den Vorwurf, man zerstöre die lebendige Netzkultur, entgegnen sie, dass Memes, Blogs, Start-ups und nicht-kommerzielle Webseiten ausdrücklich ausgenommen seien.

Ein Kulturkampf

Wie also wird das EU-Parlament entscheiden? Theoretisch können die Parlamentarier noch einzelne Artikel der Richtlinie ändern oder streichen; in der Praxis kommt das selten vor. Dennoch hoffen die Protestierenden darauf, dass der umstrittene Artikel in buchstäblich letzter Sekunde verhindert wird. Sonst, so die Befürchtungen, würde sich das Internet in der Folge massiv verändern: Die sogenannte Mashup-Kultur aus Mixes, Collagen, Zitaten, Parodien und Montagen könnte aussterben. Viele Autoren, Musiker und Künstler wiederum fürchten, dass sie ohne Artikel 13 weiterhin leer ausgehen – obwohl ihre Werke im Netz verbreitet werden und für reichlich Werbeumsatz sorgen. Und so ist aus dem Streit um eine EU-Richtlinie ein Kulturkampf geworden.

Anzeige