Psychologie des Hamsterns - Warum ist Klopapier ausverkauft, Frau Gilan?

In Zeiten der Coronakrise ist Klopapier Mangelware. Die Nachfrage ist so groß, dass der Einzelhandel die Zahl der Packungen pro Käufer schon rationieren musste. Die Psychologin Donya Gilan über einen Trend, der auch etwas über das Verhältnis der Bürger zur Politik verrät.

Friedliche Klo-Existenz mit ausreichend Papiervorrat / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Donya Gilan ist wissenschaftliche Leiterin des Bereichs „Resilienz & Gesellschaft“ im Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz. Sie forscht zu der Frage, wie sich psychische Gesundheit aufrechterhalten lässt, wenn etwas Einschneidendes im Leben geschieht.  

Frau Gilan, haben Sie zu Hause schon Klopapier für schlechtere Zeiten zurückgelegt?
Nein, ich habe keine größeren Vorratskäufe getätigt. Ich habe zwei Packungen da, damit komme ich, glaub ich, erstmal gut über die Runden.

Dass Menschen Nudeln für schlechtere Zeiten hamstern, leuchtet noch halbwegs ein. Aber warum gerade Klopapier?
Es gibt verschiedene Erklärungen. Aber ich glaube, dass das Prinzip der Ansteckung die größte Rolle spielt. Erst waren es vielleicht nur Wenige, die die Regale leergekauft hat. Dann haben das andere gesehen und sich von der Angst anstecken lassen. Bilder von leeren Regalen in den Medien haben diese Angst befeuert. Die Leute denken: „Diese Ware wird knapp. Ich muss jetzt viele Artikel horten, sonst könnte ich nicht überleben." So entwickelt sich ein sich selbst verstärkender Prozess. 

Aber das ist ja eine trügerische Sicherheit.
Menschen versuchen ihre Ängste aber, durch solche Verhaltensweisen zu kompensieren.Sie können Unsicherheiten nur schwer ertragen. Es sind evolutionsbedingte Mechanismen, die da greifen. Deswegen sind sie vielleicht irrational, aber nachvollziehbar. Auch die Vermeidung von Ekel oder Scham könnte dabei eine Rolle spielen. 

Inwiefern?
Für den Fall, dass man die Wohnung über einen längeren Zeitraum nicht verlassen kann, möchte man die Sicherheit haben, sich nicht ekeln zu müssen, weil Hygiene-Artikel wie Klopapier fehlen. 

Trotzdem mutet der Run aufs Klopapier befremdlich an. 
Eventuell liegt es auch daran, dass Klopapier den Vorteil hat, dass es nicht so teuer ist und lange haltbar ist. Aber das sind Spekulationen. Um eine klare Aussage zu treffen, müsste man das Konsumentenverhalten untersuchen. Letztendlich verschafft es den Käufern aber nur eine kurzfristige Beruhigung. Ein Sicherheitsgefühl lässt sich durch einen Einkauf schneller herstellen, als wenn man Sport treibt, Entspannungsübungen macht oder sich mit seinen Ängsten auseinandersetzt. 

In einigen Läden hat es regelrecht Schlägereien um Klopapier gegeben. Ist das noch normal?
Ich kenne diese Berichte, aber ich gehe davon aus und hoffe, dass solche Szenen eher selten geschehen. Solche Handlungen sind entweder Ausdruck von übermäßiger, nicht mehr kontrollierbarer Angst oder von einem überhöhten Aggressionspotenzial. 

obwohl man ja eigentlich weiß, dass es völlig irrational ist. Warum fällt es so schwer, sich diesem Trend zu widersetzen?
Da greift ein evolutionär bedingter Reflex, der Herdentrieb. Das Angstsystem signalisiert, dass man in Gefahr stecke. 

Man sieht in den sozialen Netzwerken Fotos von leeren Regalen, und das Hirn befiehlt: Kaufen?
Genau, solche Bilder befeuern die Angst. Bilder wirken sehr schnell in den Köpfen, schneller als Informationen, die schriftlich oder akkustisch vermittelt werden. 

Gibt es Menschen, die für diesen Herdentrieb besonders empfänglich sind?
Es gibt individuelle Unterschiede im Ausmaß von Ängstlichkeit. Das hängt von genetischen Faktoren, aber auch von der Biographie oder vom Umfeld ab. Menschen, die soziale Unterstützung erhalten, fühlen sich in der Krise sicherer. Ihnen gelingt es unter Umständen schneller, sich weniger emotional als rational mit dem Problem zu beschäftigen. 

Der Austausch mit anderen leidet aber gerade unter der Quarantäne.
Das führt dazu, dass Menschen leider zu viel Zeit im Internet verbringen und Fake News konsumieren. Das kann die Angst noch verschärfen. Viele Menschen versuchen, ihre Angst durch den übermäßigen Konsum von Medien zur regulieren. Leider sind es häufig wenig fundierte Informationen, die das Unsicherheitsgefühl verstärken und zur Reizüberflutung führen.  

Wir erleben jetzt gerade eine Pandemie, die in Italien in kurzer Zeit Tausende Tote gefordert hat. Ist es da nicht ganz natürlich, dass man Angst hat?
Doch, klar. Es prasseln täglich neue Informationen auf uns ein. Seit Sonntag gilt eine Kontaktsperre. Dass so etwas negative Gefühle auslöst, ist nachvollziehbar. Aber es gibt individuelle Unterschiede, wie schnell sich Menschen aus so einer Situation wieder herausholen und wie schnell sie die aktive Steuerung ihres Lebens übernehmen können.

Das heißt, der Run auf das Klopapier ist ein Indikator für den Stresstest, dem die Bürger durch die Coronakrise gerade ausgesetzt sind?
Gute Frage. In gewisser Weise zeigt das Ausmaß des Hortens, wie stark man sich mit den wirklichen Gefahren der derzeitigen Situation befasst und wie gut es einem gelingt, effektive Bewältigungsstrategien zu aktivieren. Übermäßige Hamsterkäufe wirken nicht. Sie vermitteln nur eine scheinbare Sicherheit. 

Dabei hat die Bundesregierung versichert, die Versorgung sei gesichert. Trauen die Bürger der Regierung nicht mehr?
Das könnte ein weiterer Faktor sein, der Menschen in ihren Ängsten bestärkt, weil sie den Aussagen der Politiker nicht mehr 100-prozentig vertrauen. Diese Entfremdung hat nicht erst gestern begonnen. Deshalb sollte die Politik diese Krise als Chance betrachten, das Vertrauen zurückzugewinnen.

Wie soll das gehen?
Nachdem sich die Politiker anfänglich den Vorwurf gefallen lassen mussten, dass sie zu spät reagiert haben, gehen sie jetzt sehr besonnen mit der Situation um. Sie versuchen, in dieser schwierigen Situation Ruhe zu bewahren.

Kein Mensch weiß, wie lange der Zustand noch dauert. Vielen Menschen fällt jetzt zu Hause die Decke auf den Kopf. Ist der Kampf um Klopapier auch symptomatisch für den Quarantänekoller?
Ja, dieser Quarantänekoller kann dazu führen, dass man sich auf Aspekte des Lebens konzentriert, die sonst vielleicht keine so große Rolle spielen. Dazu gehören auch Nahrungsmittel. Man sieht ja, dass sich das Kaufverhalten insgesamt verändert hat. Es konzentriert sich nicht nur auf Klopapier, sondern auch auf Medien, Bücher, Computer- oder Gesellschaftsspiele.

In Deutschland ist Klopapier ausverkauft. In den USA sind es Waffen, in Frankreich Rotwein – und in Deutschland Klopapier. Welche Rückschlüsse erlaubt das auf die Mentalität der Deutschen?
Hier eine Verbindung zur Kultur herzustellen, wäre spekulativ. Ich würde sagen: Wer Klopapier kauft, geht zumindest auf Nummer sicher. Er geht kein großes finanzielles Risiko ein, wenn er es auf Vorrat kauft.

Kann es nicht vielleicht sein, dass die Deutschen einfach gerne viel Zeit auf dem Klo verbringen – und jetzt vielleicht noch mehr als vorher?
(lacht) Eine interessante Theorie. Dazu müsste man mal eine Feldstudie machen.

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